Bericht

Die Unbesiegten

Etwa jedes hundertste Baby kommt mit einem Herzfehler auf die Welt. Bis zum Jugendalter haben diese jungen Menschen meist schon zahlreiche Operationen und wochenlange Spitalsaufenthalte hinter sich. Einmal im Jahr sticht der Verein „invictus – Segeln mit Herz“ aus Markt Allhau mit zwölf herzkranken Jugendlichen in See. Eine Woche lang Unbeschwertheit. Grenzen überschreiten. Ins Meer springen. Lachen.

Foto©invictus

Eine Woche verbringt die „invictus“-Crew mit herzkranken Jugendlichen am Schiff entlang der Dalmatinischen Küste.

 

Urlaub machen ohne Eltern und unter Sternenhimmel schlafen. Neue Freunde gewinnen. Viele der zwölf Jugendlichen, die Petra und Wolfgang Brenner aus Markt Allhau heuer im Sommer eine Woche lang begleitet haben, haben diese Dinge das erste Mal erlebt. Was sie dafür kennen, sind Krankenhausaufenthalte, Operationen, Behandlungen. Viele müssen deshalb lange von der Schule wegbleiben. Die Integration in die Klasse ist dann oft schwierig. Diese jungen Menschen sind „Herzkinder“. Sie wurden mit einem Herzfehler geboren. Chirurgische Eingriffe und lange Krankenhausaufenthalte gehören zu ihrer Kindheit und Jugend. Das hinterlässt Narben. Nicht nur am Körper. 

 

Segeln mit Herz 

Petra und Wolfgang Brenner führen in Markt Allhau die „courage factory“ – eine Unternehmensberatung für Coaching und Training und sie sind außerdem erfahrene Segler. Workshops für Unternehmer werden auch am Schiff angeboten. „Weil du am Meer alles leichter über Bord werfen kannst“, weiß die Resilienztrainerin. Im Jahr 2016 ist Wolfgang Brenner das erste Mal  mit der „Friedensflotte“ als Skipper mitgefahren. Von da an war er gefangen von der Idee, selbst ein Projekt für Jugendliche aufzustellen. Ein Herzensprojekt im wahrsten Sinn des Wortes. Der Name: „invictus“– unbesiegt. „Und das sind sie auch, diese jungen Menschen“, sagt Petra Brenner unmittelbar nach ihrer Rückkehr vom Segeltörn. Wieder einmal sei sie, die gesunde Erwachsene, diejenige gewesen, die viel lernen durfte. „Wir begleiten die Jugendlichen zwar dabei, wenn sie vielleicht zum ersten Mal im Meer baden. Oder wenn sie das erste Mal Muscheln essen. Aber diese jungen Menschen in ihrem Mut zu erleben, das rückt dein Weltbild wieder zurecht. Ich komme jedesmal unheimlich beschenkt und bereichert zurück“, erzählt Brenner. 

Zum vierten Mal hat sie mit ihrem Mann einen Segeltörn entlang der Dalmatinischen Küste für zwölf herzkranke Jugendliche organisiert. Immer in der dritten Augustwoche. „Für mich ist das die anstrengendste, aber auch die erfüllendste Woche des Jahres“, sagt sie. 

Was die Kommunikationsexpertin immer schon im Vorfeld weiß: Es wird eine Woche, in der die Jugendlichen Grenzen überschreiten. In der sie Selbstvertrauen gewinnen. Es ist eine Woche, in der sie ein Leben führen, wie es für Kinder sein sollte. Unbeschwert. Immer wieder sind Jugendliche dabei, die ihre Narben verstecken. Weil sie das im Umgang mit gesunden Gleichaltrigen so gewohnt sind. Weil sie nicht anders sein möchten. „Wenn dann das erste Mal das T-Shirt fliegt und die Narben keine Rolle spielen, weiß ich, dass sie jetzt etwas ganz Schweres loslassen konnten“, erzählt Petra Brenner. An Bord nennen sie solche emotionalen Momente lachend „Sonnenbrillen-Alarm“. Wenn Tränen aus Stolz und Freude fließen, findest du keine Worte, sagt Brenner. 

 

„Selbstvertrauen, Selbstwert.
Das möchten wir den Kindern mitgeben.“

 

Die Krankheit steht nicht im Vordergrund. Was die Jugendlichen lernen, ist, Teil eines Teams zu sein. „Am Schiff muss sich jeder an Regeln halten. Alle haben ihre Aufgaben und tragen Verantwortung“, erklärt die erfahrene Seglerin. Jeder und jede nach den individuellen Möglichkeiten, denn bei vielen ist die Herzerkrankung nur ein Teil der Krankheitsgeschichte. Bei manchen kommen körperliche Einschränkungen dazu. Mobbing im Schulalltag ist für die Kinder keine Seltenheit. Manche erleben es sogar in der Familie. Andere wiederum wachsen überbehütet auf. „Sie trauen sich dadurch aber auch nicht viel zu“, weiß Petra Brenner. Am Schiff sind alle gleich. Narben sind nichts Besonderes. Keiner achte darauf. Manchmal sei es einfach gut, über die Krankheit „drüberzublödeln“, erklärt Brenner.

 

Die Crew

Der Aufwand für den einwöchigen Aufenthalt ist kein geringer. Der Verein „invictus“ arbeitet eng mit dem Verein „Herzkinder Österreich“ zusammen. Rund 4.000 herzkranke Kinder betreut der Verein in ganz Österreich. Ohne dieses Know-how wäre das invictus-Segel-Projekt nicht möglich, wissen Petra und Wolfgang Brenner. 

Die Crew besteht nicht nur aus Skipper und Co-Skipper. Notfallsanitäter und Kinder-Kardiologe gehören ebenfalls zum Team. Die beiden Katamarane sind medizinisch für den Akutfall ausgestattet. „Außerdem segeln wir entlang der Küste. Wenn nötig, könnten wir immer sehr schnell eine kardiologische Notfallstation an Land erreichen“, gibt die Projektleiterin Einblick in die Organisation. Die Vorbereitungen sind intensiv und beginnen Monate vor dem Törn. Auch das Kennenlernen der Jugendlichen. Letztlich entscheidet der Kinder-Kardiologe über die individuelle Teilnahme. Die Kinder bezahlen nichts. „Auch nicht für die Verpflegung“, sagt Brenner. Die Teilnahme dürfe nicht vom Einkommen der Eltern abhängen. 

 

Sonnenbrillen-Alarm

Petra Brenner ist zum Zeitpunkt des Interviews erst vor einer Woche vom invictus-Segeltörn zurückgekehrt. Die Haut ist immer noch braungebrannt. Die Haare sind noch leicht ausgetrocknet vom Meerwasser. Ihr Lächeln wirkt entspannt – wie es bei Reisenden ist, die mit vielen Eindrücken und Erlebnissen zurückkehren. Ihre Gedanken kreisen immer noch um den jungen Mann, den sie in dieser Segel-Woche intensiv begleitet hat. Ihrem Herzenskind. „Jedes Kind findet in einem Crew-Mitglied eine Bezugsperson“, weiß Petra Brenner. Das passiere automatisch und dieser Rückhalt sei auch wichtig, damit die Jugendlichen Neues ausprobieren und ihre Grenzen erweitern. 

„Da war dann dieser junge Mann, der schon so viele Herzoperationen hinter sich hat, dass man sie kaum zählen kann. Der teilweise im Rollstuhl sitzt, der spezielle Kraftnahrung zu sich nehmen muss. Der spastische Lähmungen hat und so viel mehr. Aber er war der Sonnenschein an Bord. Hat sich um alle gekümmert. Wollte überall mithelfen, auch wenn es ihm oft sichtlich schwer fiel. Der hat so viel Humor und ist so unglaublich empathisch. Es ist so ein Geschenk, dass ich ihn kennenlernen und erleben durfte“, erzählt Brenner, schluckt und greift automatisch zur Sonnenbrille. Am Ende der Woche erhalte jedes Kind ein Feedback darüber, wo andere ihn oder sie in den individuellen Stärken erlebt haben. Dafür gibt es dann einen Klatscher. „Bei meinem Herzenskind haben wir alle leidenschaftlich und aus voller Kraft applaudiert“, sagt Petra Brenner und wischt sich unbemerkt über die Wange. Was die Crew von dieser Woche mitnehmen und von den jungen Menschen lernen dürfe, könne sie nicht in Worte fassen. „Aber was wir diesen mutigen Jugendlichen mitgeben möchten, ist Selbstvertrauen und Selbstwert und ein Gefühl dafür, dass sie selbst der Kapitän ihrer Seele und ihrer inneren Stärke sind“, erklärt Brenner und nimmt die Sonnenbrille ab. Spätestens jetzt hilft auch die nichts mehr. 


invictus – Segeln mit Herz
Wolfgang und Petra Brenner führen in Markt Allhau die „courage factory“ – eine Unternehmensberatung für Coaching und Training und haben 2016 den Verein „invictus – Segeln mit Herz“ gegründet. Segeln ist nicht nur ihre Leidenschaft, sondern auch Teil ihrer Coaching-Agentur. „invictus“ ist ihr Herzensprojekt.
In Zusammenarbeit mit dem Verein „Herzkinder Österreich“ startet das Unternehmerpaar mit einer Crew und herzkranken Jugendlichen jede dritte Augustwoche zu einem Segeltörn entlang der Dalmatinischen Küste.
Die Teilnahme ist für die Jugendlichen kostenlos. Alle Crew-Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Für das Projekt werden immer wieder Sponsoren gesucht.
Infos: https://www.invictus.co.at

In Österreich kommen jährlich etwa 700 Babys mit einer Herzfehlbildung zur Welt – das heißt, jedes hundertste Baby hat ein Herzproblem. Der Verein „Herzkinder Österreich“ begleitet rund 4.000 Kinder und deren Familien wie etwa durch die Teddyhäuser (Eltern können hier während der OP ihres Kindes neben den Herzzentren kostenlos wohnen) oder das Projekt „invictus – Segeln mit Herz“. www.herzkinder.at

Die beiden Katamarane von „Pitter Yachtcharter“ aus Hartberg sind ausgestattet mit medizinischen Geräten für eine Notfallversorgung. DIe „Herzkinder Österreich“ und „Kinderpatenschaft Österreich“ machen dieses Projekt gemeinsam mit dem Verein „invictus – Segeln mit Herz“ möglich.

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