Ist der „Rosa Schein“ für 65plus bald Geschichte?
Der Vorschlag der EU-Kommission, dass Menschen ab 70 Jahren alle fünf Jahre eine medizinische Untersuchung durchführen oder eine Selbsteinschätzung ihrer Fahrtauglichkeit abgeben müssen, um weiterhin im Besitz ihres Führerscheins zu bleiben, sorgt für heftige Diskussionen. prima! bat zwei Experten um ihre Einschätzung.
Foto©ARBÖ
In den Fahrsicherheitszentren des ARBÖ gibt es für ältere Verkehrsteilnehmer spezielle Fahrtrainings. Der ARBÖ sieht jedoch eine Verpflichtung als diskriminierend und unverhältnismäßig und setzt auf Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer.
Die Statistik spricht einmal mehr eine deutliche Sprache. Die Zahl jener Autofahrerinnen und Autofahrer der Altersgruppe 65plus ist nicht jener Personenkreis, der die meisten Unfälle verursacht. Ausgehend von der Unfallstatistik aus dem Jahr 2021 ergibt das für diese Gruppe eine Gesamtzahl von 6.130 Unfällen pro Jahr. Demgegenüber steht die Zahl der Unfälle in der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre mit 10.012 Unfällen. Die Altersgruppe der 45 bis 54-Jährigen weist eine Zahl von 5.917 auf. Trotzdem wird auf Vorschlag der EU-Kommission diskutiert, ob Menschen ab 70 Jahren alle fünf Jahre zum medizinischen Check müssen oder selbst eine Einschätzung über ihre Fahrtauglichkeit abgeben.
„Diskriminierend und unverhältnismäßig“
Für den Sprecher des ARBÖ Burgenland, Christian Frasz, ist eine gesetzliche Verpflichtung aus Sicht des ARBÖ nicht denkbar. „Die Geburtsurkunde ist ein schlechter Maßstab, um die Fahrtauglichkeit zu überprüfen. Aus Sicht des ARBÖ ist eine solche Maßnahme unverhältnismäßig und diskriminierend“, so Frasz gegenüber prima!. Man kann nicht auf Grund des Alters alle Verkehrsteilnehmer über einen Kamm scheren und es sei erwiesen, dass „ältere Verkehrsteilnehmer sich in ihrem Fahrverhalten durch eine situationsangepasste und vorausschauende Fahrweise auszeichnen.“
Marcus Martschitsch ist Bürgermeister der Stadtgemeinde Hartberg und Fahrschulbesitzer. Eine generelle medizinische Pflichtüberprüfung lehnt auch er ab, plädiert aber für die Bewusstseinsbildung bei den Betroffenen. Wenn es Auffälligkeiten gibt, dann kann die Behörde (BH) nach Rücksprache und nach einem Hinweis der Polizei bereits jetzt eine Beobachtungsfahrt festsetzen. „Wir führen im Beisein eines Amtsarztes und unter Heranziehung eines Gutachters eine Beobachtungsfahrt durch und die Behörde muss nach Prüfung aller Fakten eine Entscheidung treffen“, so Martschitsch. Hier besteht allerdings das Problem, dass es in den einzelnen Bezirkshauptmannschaften immer schwieriger ist, die Stelle des Amtsarztes durch die Verwaltungsebene der Bezirkshauptmannschaften dauerhaft zu besetzen. Daher können Termine nicht zeitnah vergeben werden. Hier sei die Überprüfung des Gesundheitszustandes, der die Fahrtauglichkeit sicherstellt, durch den Haus- oder Facharzt durchaus eine sinnvolle Alternative. „Ältere Menschen gehen im Durchschnitt öfter zum Arzt und könnten die Überprüfung bei der Gelegenheit gleich durchführen“, so Martschitsch.
Eigenverantwortlichkeit ist gefragt
Christian Frasz appelliert an die Eigenverantwortung und sieht die Selbsteinschätzung als wichtiges Kriterium. Bereits jetzt zielen die gesetzlichen Vorschriften im Führerscheingesetz (FSG) darauf ab, dass jene Menschen, die nicht über die geistigen und körperlichen Voraussetzungen verfügen, eigentlich kein Fahrzeug in Betrieb nehmen dürfen.
„Die Selbsteinschätzung und die Eigenverantwortung spielen eine sehr wichtige Rolle. Auch wenn man Medikamente eingenommen hat, die die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen oder unter Drogen- und Alkoholeinfluss steht, darf man kein Fahrzeug in Betrieb nehmen“, so Frasz. Trotzdem, so der ARBÖ-Sprecher, halten sich viele nicht daran und fahren. „Jeder muss so ehrlich sein, selbst einzuschätzen, ob er in der Lage ist, ein Fahrzeug zu lenken oder nicht. Denn man gefährdet nicht nur sich, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer.“
Mobilität bedeutet Freiheit
In der gesamten Diskussion sieht der Pressesprecher des ARBÖ aber einen zusätzlichen wesentlichen Aspekt: „Man darf nicht vergessen, dass gerade in ländlichen Regionen das Auto ein wesentliches Fortbewegungsmittel ist, um Wege zu erledigen und es bedeutet für viele Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben.“ Wenn man älteren Verkehrsteilnehmern echte Alternativen bieten will, so müssen der öffentliche Nahverkehr oder die Sammeltaxis deutlich ausgebaut werden. „Solange das nicht der Fall ist, sei das Auto als Transportmittel gerade für die ältere Generation unverzichtbar.
Neue Verkehrssituationen oft ein Problem
Ein zusätzliches Problem sieht Martschitsch allerdings in neuen Verkehrssituationen, die rasch zu einer Überforderung führen können. „Viele Dinge, wie Kreisverkehr, Begegnungszonen oder Radfahrstreifen mit Vorrangregelung hat es zu der Zeit, wo diese Personengruppe den Führerschein gemacht hat, gar nicht gegeben. Entsprechend kompliziert und herausfordernd ist das richtige Verhalten in solchen Situationen.“ Er ist aber auch der Ansicht, dass gerade Menschen, wenn sie im Straßenverkehr nicht sicher sind, von Haus aus langsamer und vorausschauender fahren.
Das letzte Wort ist in dieser Debatte noch nicht gesprochen. Aber ein altes Sprichwort sagt: „Übung macht den Meister“. Die Fahrschulen bieten spezielle Fahrtrainings für Seniorinnen und Senioren an. In der Fahrschule hat man beispielsweise schon Kurse auf freiwilliger Basis abgehalten. Die Resonanz ist bisher leider gering. Auch beim ARBÖ gibt es in den Fahrtechnikzentren spezielle Fahrsicherheits-Trainings für ältere Verkehrsteilnehmer. Die neuerliche Umsetzung der schon einmal erfolgreichen ARBÖ-Aktion „Sicher mit 60plus“, wird überlegt.
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„Rosa Schein“