Nicole MÜHL / 26. September 2024
© Nicole Mühl
Pfarrerin Sieglinde Pfänder (mit ihrem Hund Baloo) hat eine große Familie, weil ihre Schützlinge für sie dazugehören. Foto v. links: Omid Mohammadi (Restaurantfachmann), Ayham Ayash (absolviert Ausbildung zum Sozialpädagogen), Azad Hussein (Metall- und Elektrotechniker) und Jamil Majdo (Elektriker) haben in Oberwart eine neue Heimat gefunden.
Alle jungen Männer, die sich hier im evangelischen Pfarrhaus getroffen haben, sind aus ihrer alten Heimat Syrien bzw. Afghanistan geflüchtet. Sie haben in Österreich eine Ausbildung absolviert, haben Jobs und Ziele. Sie haben österreichische Freunde, Oberwart ist zu ihrer Heimat, Sieglinde Pfänder und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonie zu einem Stück Familie geworden. „Wenn Frau Sieglinde etwas braucht, sind wir da“, sagt Azad Hussein. Die anderen nicken. Wenn es sich irgendwie mit ihrer Arbeit vereinen lässt, springen sie ein, wenn schnell ein Fahrer für „Essen auf Rädern“ oder ein Dolmetscher gebraucht wird. „Dadurch können wir ein klein wenig von dem zurückgeben, was wir an Unterstützung erfahren haben“, sagen sie.
Das evangelische Gemeindezentrum A.B. in Oberwart ist den Männern vertraut. Es sei eine Art Ankerplatz gewesen in einer schwierigen Zeit. „Die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion bzw. die Frage, ob jemand an Gott glaubt oder nicht, ist nicht ausschlaggebend für unsere Haltung zu Menschen – wir sind eine weltoffene Gemeinschaft, die davon überzeugt ist, dass Gott ausnahmslos alle Menschen geschaffen hat, das versuchen wir, so gut es geht, zu leben,“ sagt Sieglinde Pfänder. „Menschlichkeit, Akzeptanz und Begegnung auf Augenhöhe“ finde man, wenn man im Pfarrhaus und der Diakonie andockt, erzählen die Männer, die alle aus eigener Erfahrung wissen, dass das nicht überall so ist. Meist kennt die Pfarrerin nur Teile der einzelnen Lebensgeschichten. Aber sie weiß, dass Krieg und Terror die Kindheit und Jugend der vier Männer, die an diesem Vormittag gemeinsam mit ihr am Tisch sitzen, geprägt haben. „Wie könnte ich da Hilfe verwehren?“, fragt sie.
Sprache, Arbeit und Regeln
Die vier jungen Männer, die seit rund einem Jahrzehnt in Österreich leben, sind sich in einem entscheidenden Punkt einig: Die Grundlage für eine erfolgreiche Integration ist die Sprache. Für sie steht fest, dass jeder Mensch, der in ein fremdes Land kommt, die Sprache des neuen Heimatlandes so schnell wie möglich erlernen muss. „Ohne Sprache funktioniert Integration einfach nicht“, betonen sie. Sie selbst haben es geschafft, Deutsch ohne Unterstützung zu erlernen. YouTube sei ihre Lernplattform gewesen, was zeigt, wie wichtig moderne Technologie, insbesondere das Smartphone, für den Lernprozess sein kann. Doch die Sprache allein reiche nicht aus. Ebenso entscheidend für eine gelungene Integration sei die Möglichkeit, schnell in den Arbeitsmarkt integriert zu werden und in Kontakt mit Einheimischen zu kommen. Arbeit, so erklären die Männer, sei der Schlüssel zu einer umfassenden Eingliederung in die Gesellschaft. „Durch die Arbeit lernst du die Sprache, die Menschen, die Regeln und Gesetze des Landes kennen und verstehen. Du trägst aktiv zum Gemeinwohl bei und fühlst dich als Teil der Gesellschaft“, erklären sie. Besonders schwierig empfanden sie die Zeit, in der ihnen als Neuankömmlinge keine Möglichkeit zur Erwerbstätigkeit gegeben wurde. Diese Phase, in der sie keiner Beschäftigung nachgehen durften, wurde als besonders frustrierend und hemmend für den Integrationsprozess und die Weiterentwicklung erlebt.
Lebenswege
Omid Mohammadi kam vor etwa zehn Jahren als 16-Jähriger aus Afghanistan nach Österreich. Seine Flucht nach Europa begann, als die Situation in seiner Heimat immer gefährlicher wurde. Omid kam allein. An der ungarisch-österreichischen Grenze wurde er von der Polizei festgenommen und in die Erstaufnahmestelle Traiskirchen gebracht. Dort verbrachte er sechs Monate, oft im Freien, da es keine Schlafplätze mehr gab. In dieser Zeit war er völlig auf sich allein gestellt und sprach auch kein Deutsch. Über YouTube brachte er sich selbst die Sprache bei. Die Begegnung mit Sieglinde Pfänder veränderte sein Leben. Omid schloss die Pflichtschule ab und begann eine Lehre als Gastronomiefachmann in Bad Tatzmannsdorf. Seit zwei Jahren arbeitet er als Kellner in einem Tourismusbetrieb. Er liebt seine Arbeit und fühlt sich gut integriert. In Österreich fand Omid nicht nur eine berufliche Perspektive, sondern auch seinen Glauben. Er wurde evangelisch und ließ sich taufen. Sein Asylverfahren dauerte sechs Jahre.
Jamil Majdo floh 2013 als 20-Jähriger aus Syrien nach Österreich. In Stinatz angekommen, fand er nur begrenzte Integrationsmöglichkeiten. Erst in Oberwart, wo er über das Diakonie-Forum und den Flüchtlingsdienst Kontakte knüpfte, lernte er rasch Deutsch. Ehrenamtlich half er bei der Diakonie und war später auch als Übersetzer tätig. Durch die Unterstützung einer Oberwarter Familie konnte er eine Ausbildung als Elektriker in Neutal absolvieren. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten mit der Fachsprache hielt er durch und schloss 2018 erfolgreich seine Lehre ab. Jamil erlangte 2021 die österreichische Staatsbürgerschaft und leistete anschließend seinen Zivildienst im Demenzzentrum der Diakonie. Er engagierte sich auch bei „Essen auf Rädern“ und gibt heute noch gern etwas an jene zurück, die ihm geholfen haben. Er ist inzwischen mit einer Syrerin verheiratet, die eine Lehre als Frisörin macht. Jamil arbeitet als Montagetechniker einer oststeirischen Firma und ist wochentags für dieses Unternehmen in Berlin im Einsatz. Obwohl er nun in Linz wohnt, kommt er regelmäßig nach Oberwart, das er als seine zweite Heimat betrachtet. Für Jamil waren das Erlernen der Sprache und das Verständnis der österreichischen Kultur der Schlüssel zu seiner erfolgreichen Integration. „Ich denke, es wäre wichtig, dass die Mindestsicherung an die Bedingung geknüpft ist, die Sprache zu können und eine Ausbildung zu machen“, sagt er. Auch eine einheitliche Regelung in allen Bundesländern erachtet er als wichtig. „Subsidiär Schutzberechtigte sind in Wien finanziell bessergestellt als in anderen Bundesländern. Dies führt dazu, dass viele Menschen in die Hauptstadt drängen, was negative Konsequenzen haben kann“, sagt er. „Viele kommen in Wien leichter auf den falschen Weg“, erklärt er, das könnte verhindert werden, wenn es in allen Bundesländern die gleichen Regelungen gäbe.
Azad Hussein, 26 Jahre alt, stammt aus Syrien und floh im Alter von 16 Jahren während des syrischen Bürgerkriegs. Als Kurde, der an der türkischen Grenze lebte, war er massiven Angriffen ausgesetzt, sowohl von der türkischen Armee als auch von IS-Truppen. Seine Eltern entschieden, dass er nach Europa flüchten sollte, um in Sicherheit zu sein. Im Jahr 2014 begann seine Flucht, die ihn schließlich, eingepfercht in einem LKW mit 36 anderen Flüchtlingen, nach Österreich führte. „Ich hatte Todesangst“, sagt er heute. „Aber auch keine Alternative.“ Nach seiner Ankunft wurde er nach Traiskirchen gebracht und verbrachte dort einen Monat in einem Heim für unbegleitete Minderjährige. Diese Zeit war für ihn psychisch extrem belastend, doch dank der Unterstützung von Betreuern und psychologischer Hilfe konnte er sich stabilisieren. Danach kam Azad in das Haus der Diakonie nach Rechnitz und begann eine Ausbildung als Metalltechniker mit Spezialisierung auf Maschinenbau, die er erfolgreich abschloss. Trotz anfänglicher Sprachbarrieren brachte er sich Deutsch weitgehend selbst bei und konnte seinen Lehrabschluss mit Auszeichnung meistern. Nach seiner Ausbildung arbeitete er in einer Stahlbaufirma und einem großen Energietechnikunternehmen in Pinkafeld, wo er heute noch beschäftigt ist. Nach Erhalt der Staatsbürgerschaft absolvierte er seinen Zivildienst beim Diakonie Flüchtlingsdienst. Kürzlich heiratete Azad seine syrische Frau, eine ausgebildete Pharmazeutin, die seit Kurzem in Österreich lebt. Azad betont, dass das Erlernen der Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Trotz der vielen Herausforderungen hat er positive Erfahrungen gemacht und empfindet die Menschen in Österreich als offen und hilfsbereit.
Ayham Ayash stammt aus Syrien und lebt seit 2020 in Österreich. Fünf Monate dauerte seine Flucht – die Strecke legte er zu Fuß zurück. Auch er wurde in Traiskirchen aufgenommen und kam schließlich nach Oberwart, wo er begann, Deutsch über YouTube zu lernen. Um seine Sprachkenntnisse zu verbessern, arbeitete Ayham ehrenamtlich im Demenzzentrum der Diakonie. „Das half mir, meine Deutschkenntnisse im Alltag anzuwenden und wichtige Verbindungen zu knüpfen“, sagt er. Nach etwa sechs Monaten fand er eine Stelle als Kellner in einem großen Kurbetrieb in Bad Tatzmannsdorf. Seine Mehrsprachigkeit – er spricht Arabisch, Englisch und Deutsch – ermöglichte ihm später eine Anstellung als Sozialbetreuer beim Flüchtlingsdienst der Diakonie. Ayham erkannte die Bedeutung von Bildung und entschied sich, berufsbegleitend eine Ausbildung zum Sozialpädagogen am Kolleg der BAfEP in Oberwart zu absolvieren. Derzeit befindet er sich in Bildungskarenz, um sich ganz auf seinen Abschluss zu konzentrieren. Seine Erfahrungen im Flüchtlingsdienst und im sozialen Bereich haben ihm gezeigt, wie wichtig es ist, Brücken zwischen Neuankömmlingen und der Gesellschaft zu bauen. Ayham kritisiert, dass das Asylverfahren oft sehr lange dauert und betont die Wichtigkeit der Vermittlung der deutschen Sprache. Auch sollten Flüchtlinge die Möglichkeit bekommen, zu arbeiten, um sich zu integrieren, die Kultur besser verstehen zu lernen und um Vorurteile abzubauen. Durch Arbeit und Ausbildung können sich Geflüchtete von Abhängigkeiten lösen und einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Ayhams Lebensmotto lautet: „Das Leben besteht aus Geben und Nehmen, aber du musst zuerst geben.“
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