Bericht

Die Biowende

Jeder redet davon. Bio ist ein viel und häufig verwendeter Begriff – nur oft wird er leider fälschlich mit dem Begriff „regional“ gleichgesetzt. Dabei hat das eine mit dem anderen meist gar nichts zu tun. Das Burgenland hat die Biowende eingeleitet. Welche Chance das beinhaltet für das Klima, die Tiere und uns selbst – prima! klärt auf.

Foto: Shutterstock / dundanim

65 Kilogramm Fleisch isst eine Österreicherin bzw. ein Österreicher durchschnittlich pro Jahr. Diese Zahl verkündet Österreichs führende unabhängige Umweltschutzorganisation Global 2000. Aufgerechnet auf ein Leben ist die Rede von 5,9 Tonnen, die jeder Österreicher bzw. jede Österreicherin verdrückt. 1.287 Tiere sind das pro Kopf. Bei dieser Menge, die auf unseren Tellern landet, sollte die Hauptfrage eigentlich die sein, woher das Fleisch kommt, wie das Tier gehalten und womit es gefüttert wurde. Sollte. Ist es aber nicht.

Wir von prima! haben zum Thema Bio eine Blitzumfrage gemacht. Das Ergebnis war ernüchternd: Was Bio bedeutet, kann kaum jemand genau erklären. Der Begriff ist positiv besetzt – soviel ist klar. Und es geht um einen Beitrag zum Klimaschutz und um gesunde Lebensmittel. Weitläufig gilt jedoch die Meinung: Bio ist gleich regional. Doch Fakt ist: Der Großteil der regionalen Landwirtschaft – sowohl im Ackerbau als auch in der Viehwirtschaft – erfolgt nach konventionellen Richtlinien. Und das ist weit weg von Bio.

In der Landwirtschaft bedeutet dies den Einsatz von Pestiziden, Monokulturen bis hin zur Vernichtung der Biodiversität (biologische Vielfalt). Für die Tierhaltung heißt konventionelle Landwirtschaft beispielsweise die Kastration der Ferkel ohne Betäubung, das Kürzen der Schnäbel von Hühnern, die Haltung der Tiere auf Vollspaltenböden, also auf Betonplatten mit Spalten für Kot und Urin, was zu den furchtbarsten Erkrankungen führt. Der Platz ist bemessen – ein Schwein hat einen Quadratmeter. Der Auslauf ist gleich null. Gentechnisch veränderte Futtermittel sind üblich in der konventionellen Landwirtschaft. In Verbindung mit dem Schweinebraten auf dem Teller vor uns bringen wir diese Bilder nicht, denn unsere Lebensmittel kommen ja eh vom Geschäft aus der Region. Ja. Aber beim genaueren Nachfragen würde uns wahrscheinlich dann doch der Bissen im Hals stecken bleiben. Wohlgemerkt: Es gibt auch Landwirte, die trotz konventioneller Richtlinien das Tierwohl und den ökologischen Ackerbau im Auge haben und aus Überzeugung längst die Bio-Kriterien – auch ohne Siegel – erfüllen.

Das burgenländische BIO-Bekenntnis

Der burgenländische Landtag hat im Oktober 2018 die Biowende in der burgenländischen Landwirtschaft eingeleitet. Konkret geht es dabei um die Umstellung von konventioneller Landwirtschaft auf Bio-Landwirtschaft. Forciert wird dies von Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Eisenkopf, die auch für die Ressorts Landwirtschaft, Agrar, Klimaschutz und Tierschutz zuständig ist. Das Ziel dabei: Der Anteil der bewirtschafteten Fläche im Burgenland soll bis zum Jahr 2027 von derzeit 36 Prozent auf 50 Prozent Bio steigen. Und „dieses Ziel ist absolut realistisch“, betont Eisenkopf, nämlich in Form eines 12 Punkte Maßnahmenkataloges. Einer dieser Punkte betrifft beispielsweise die Küchen und Kantinen im Land und in landesnahen Betrieben. „Diese haben mittlerweile auf Bio umgestellt. Bis 2025 sollen auch in den Kindergärten und Schulen zu 100 Prozent Bio-Lebensmittel verwendet werden“, so Eisenkopf. Außerdem werden im Bereich der Tierhaltung seit dem Vorjahr nur mehr Stallungen in Bio-Qualität gewidmet.

Genauere Kennzeichnung der Lebensmittel ist notwendig

27 Millionen Tiere werden jährlich von Österreich ins Ausland gekarrt – unter anderem auch in Drittstaaten wie die Türkei, Algerien oder Russland. Diese Zahlen wurden erst im Feburar dieses Jahres von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten veröffentlicht. Die Tiere sind oft tagelang unter den extremsten Bedingungen unterwegs. Kälber, die eigentlich noch Muttermilch bräuchten, bekommen während des Transportes oft nicht einmal Wasser, weil sie nicht an die Tränkanlagen gelangen. Auf der anderen Seite werden rund 370.000 Tonnen Fleisch (Quelle: Statista, 2018) importiert. Laut VGT wurden im Jahr 2018 allein aus Drittstaaten 13 Tonnen Rindfleisch nach Österreich eingeführt. „Was wir hier erleben, sind Billigfleischimporte, wo nur mehr einzelne Zerlegeschritte im Inland getätigt weden. Aber trotzdem sind diese Lebensmittel im Supermarkt mit dem Österreichischen Gütesiegel gekennzeichnet“, erklärt Eisenkopf. Für die Konsumentinnen und Konsumenten sei dies eine Irreführung. „Es ist deshalb wichtig, dass wir die Herkunfstkennzeichnung sehr ernst nehmen. Wenn Österreich drauf steht, muss auch Österreich drinnen sein“, so Eisenkopf und weiter: Deshalb sei auch die Biowende so wichtig, um hier Qualitätsstandards zu sichern.

BIO – eine neue Chance für die Gastronomie

Die Kennzeichnung der Lebensmittel soll aber nicht an der Supermarktkasse enden. Auch in der Gastronomie ist es für Eisenkopf wichtig, diese Herkunft auszuweisen. Derzeit bestehe hier nämlich kein Hinweis für den Gast, herauszufinden, woher sein Schnitzel kommt. Auch hier hat das Burgenland bereits einen ersten Schritt gesetzt. Alles unter freiwilliger Teilnahme der Wirtinnen und Wirte, wie Eisenkopf betont. „Netzwerk Kulinarik“ nennt sich die österreichweite Plattform, bei der mittlerweile rund 40 burgenländische Gastronomen mitmachen und sich freiwillig einer Qualitäts- und Herkunftskontrolle unterziehen. „Zusätzlich wird auf der Speisekarte ausgewiesen, woher die Lebensmittel – vom Fleisch bis zum Gemüse – kommen. Dieses Qualitäts- und Herkunftssiegel haben wir im Burgenland zusätzlich auch in Bio-Qualität und haben damit österreichweit ein Alleinstellungsmerkmal“, so Eisenkopf. Damit soll auch in der Gastronomie eine Bio-Qualitätsschiene geöffnet werden, auf die sich der Gast verlassen kann. Eine Win-Win-Situation, ist Eisenkopf überzeugt, da hier auch eine neue Kundenschicht angesprochen werden kann.

Eine Frage der Priorität

Das Kilo Pute um einen Euro, das Schweinefleisch um drei Euro, die Rabatte im Fleischregal im Supermarkt sind himmelschreiend. Aber sie ziehen. Der Kunde kauft – Hauptsache billig. Die Erklärung lautet meist: „Bio kann sich halt nicht jeder leisten.“ Für Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Eisenkopf ist dies eine Frage der Prioritäten. „Man muss eine Diskussion darüber führen, was Lebensmittel wert sein sollten. Früher haben sie rund 60 Prozent der Lebenserhaltungskosten ausgemacht. Mittlerweile sind es nicht einmal mehr zehn Prozent. Wenn ich mir keine Gedanken darüber mache, ob ich mir ein Motoröl fürs Auto um 80 oder 90 Euro kaufe oder einen Griller um einige hundert oder sogar um 1.000 Euro, dann steht es für mich in keiner Relation, sich ein Kilo Fleisch um einen Euro zu kaufen. Da steckt noch ganz viel Bewusstseinsbildung dahinter. Aber gerade das, was wir dem Körper zufügen, darauf sollten wir eine stärkere Priorität legen“, so Eisenkopf.

Überzeugungsarbeit gegen den Widerstand

Gegenwind bekomme die Biowende zum Teil von der konventionellen Landwirtschaft, so Eisenkopf. Auch von der ÖVP, die verstärkt auf den Begriff der Regionalität setzt. ÖVP-Agrarsprecherin Carina Laschober-Luif warnt davor, dass der Absatzmarkt für Bio fehle. „Mittlerweile haben wir das Problem, dass das Angebot an Bio-Produkten stärker steigt als die Nachfrage. Das wird früher oder später zu einem Preisverfall und somit zur Gefährdung der heimischen Betriebe führen.“ Laschober-Luif fordert daher einen stärkeren Fokus auf regionale Lebensmittel im Handel sowie in Landesbetrieben bzw. landesnahen Betrieben.

Tatsächlich seien aber bereits viele Landwirtschaftbetriebe bereit, auf Bio umzustellen, weiß Eisenkopf. „Die Bio-Umstellungsförderung des Landes haben wir mittlerweile bereits aufstocken müssen, da wir nur mit 17 Landwirtschaftsbetrieben gerechnet haben, die die Förderung nutzen und auf Bio umstellen. Tatsächlich sind wir inzwischen bei 100 angelangt“, so Eisenkopf. Der Weg in Richtung Bio ist deutlich erkennbar. Auch wenn sich in den Regalen noch immer die Billigfleischangebote türmen und die Leute beim Grillhendl um 2,50 Euro Schlange stehen. Ein einheitliches Gesetz muss endlich der Ausbeutung von Land und Tier einen Riegel vorschieben. Aber ebenso ist beim Konsumenten Bewusstseinsbildung gefragt. Lieber weniger und bio, als billig, viel und schädlich – für Land, Klima, Tiere und uns selbst.

Detaillierte Ergebnisse zur Machbarkeitsstudie sowie Zielsetzungen und Entwicklungspfade zum „Bioland Burgenland“:

https://www.burgenland.at/themen/agrar/bioland-burgenland/machbarkeitsstudie-bioland-burgenland/

https://www.burgenland.at/fileadmin/user_upload/Downloads/Umwelt_und_Agrar/Bioland_Burgenland/Machbarkeitsstudie_Bioland_Burgenland_ueberarbeitet_nach_Beirat_20200515.pdf


LH-Stv. Astrid Eisenkopf
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Dagmar Gordon von Global 2000
Expertin für Pestizidreduktion

Was bedeutet konventionelle Landwirtschaft?

In der konventionellen Landwirtschaft werden Pestizide eingesetzt, um Schadinsekten zu töten. Aber weil das nicht zielgenau sein kann, wird natürlich auch alles andere getötet. Es bringt Pflanzen und Tiere um. Selbst bei ordnungsgemäßer Anwendung. Durch diese Art von Landwirtschaft ist die Biodiversität in ärgste Bedrängnis gekommen. Das ist ein unglaublich komplexes System und tatsächlich wissen wir nicht, ab welchem Punkt das System völlig kollabiert. Diese Gefahr nimmt die konventionelle Landwirtschaft in Kauf. Ein weiterer Punkt ist die zunehmende Verdichtung des Bodens. Und nicht zu vergessen: Die nötigen, teuren Landmaschinen stürzen Bauern auch in eine unglaubliche Verschuldung. Dann kommt auch dazu, dass dieses System extrem erdölbasiert ist. Sowohl für die Landmaschinen als auch die chemisch-synthetischen Mittel.

Tatsächlich ist die konventionelle Landwirtschaft auch nicht gut für die Bauern selber. Milchbauern weinen, weil es sich finanziell nicht mehr ausgeht. Die Bio-Bauern, die aus Überzeugung umstellen, weil sie das System verstanden haben, die gehen in eine andere Richtung. Viele arbeiten mit kleineren Geräten. Sie holen aus einer sehr kleinen Landwirtschaft einen hohen Ertrag, ohne den Boden auszulaugen.

Tierische Produkte sind jene Lebensmittel, die die größte Klimabelastung hervorrufen. Warum?

Für das Futter unserer heimischen Nutztiere werden jährlich zwischen 550.000 und 600.000 Tonnen gentechnisch verändertes Soja importiert. Dafür wird der südamerikanische Regenwald abgeholzt. Dabei gehen nicht nur wertvolle Pflanzen- und Tierarten für immer verloren, es entstehen auch enorme Mengen an Treibhausgasemissionen. Hinzu kommt der Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln für den Futtermittelanbau auf unseren heimischen Feldern und damit verbunden auch die Monokultur. Niemand fragt, wofür wir die Unmengen Mais brauchen. Das wird zum Teil als Kraftfutter für Tiere produziert. Das wiederum gefährdet die Biodiversität. Auf diesen riesigen Feldern findet kein anderes Tier einen Lebensraum. Das Land ist quasi tot. Und es geht auch um die Unmengen an Gülle, die die Tiere ausscheiden und die Probleme bei der richtigen Entsorgung verursachen und unsere Gewässer belasten.

Stellen Sie auch immer wieder fest, dass der Begriff „Bio“ oft mit „regional“ verwechselt wird“?

Ja. Wir stellen mit Ingrimm fest, dass es eine PR-Maschine gegeben hat, die vermittelt, dass „regional“ das neue und bessere Bio ist. Aber das ist es nicht, denn auch der Nachbarbauer kann in die Giftkiste greifen. Deshalb ist meine oberste Maxime: Zuerst bio, dann regional und saisonal. Saisonal ist wichtig, weil auch das Bio, das wir rund um die Welt karren, nach der gleichen Logik funktioniert wie die konventionelle Landwirtschaft. Wir müssen die Dinge, die von weit herkommen, als Luxusgut sehen. Ich will niemandem seine Avocado miesmachen. Aber jeden Tag eine Avocado zu essen, macht die Welt genauso kaputt wie jeden Tag das Schnitzel. Bio, regional und saisonal gehören zusammen – und keines ist ersetzbar.

Eine Botschaft, die Ihnen besonders am Herzen liegt?

Wir exportieren Hühnerteile oder Schweineteile, die uns zu minder sind, nach Afrika und ruinieren dort die kleine Landwirtschaft. Wenn wir ein Tier schlachten und essen wollen, sollten wir nicht nur das Schnitzel und das Filet essen, sondern auch den Rest verarbeiten. Alles andere ist verwerflich.

Das Burgenland hat die Bio-Wende eingeleitet. Was sagen Sie dazu?

Wir finden das einen ganz spannenden und wichtigen Vorstoß und haben uns sehr gefreut und waren auch an dem einen oder anderen runden Tische beteiligt. Wir hoffen, dass die Landwirtinnen und Landwirte sehen, dass ihnen eine Chance eröffnet wird und ihnen nichts von oben aufgedrückt wird. Man muss nun gut auf die „Umsteller“ schauen, also jene, die von konventioneller auf Bio-Landwirtschaft umstellen. Die sind hochgradig verletzlich. Einerseits brechen ihnen Betriebsmittel weg, die sie nicht mehr verwenden dürfen. Auf der anderen Seite muss erst das System anwachsen und der Landwirt bekommt wahrscheinlich noch nicht die notwendigen Preise. Ich würde mir wünschen, dass das Burgenland 2027 nicht 50 % Bio erreicht hat, sondern dass 70 % erreicht wurden. Es ist der richtige Weg und es ist in Wirklichkeit der einzige Weg, der das Leben auf diesem Planeten sichert.

 

Informationen von Global 2000 zum Thema Fleischkonsum und Ressourcenverbrauch (ökologischer Fußabdruck):

 https://www.global2000.at/fleischkonsum-österreich

https://www.global2000.at/publikationen/oekologischer-fussabdruck

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