Bericht

Herausforderung Pflege

Das Thema Pflege wird zu D E R Herausforderung für die Politik und Gesellschaft. Die Menschen werden immer älter, und dadurch steigt auch der Bedarf an Pflege. Und zwar dramatisch in den nächsten Jahren. Im Burgenland wird an einem neuen Modell gearbeitet und auch auf Bundesebene kommt das Thema in Bewegung.

Foto: Shutterstock 294290924

Wie wird die Pflege zukünftig organisiert? Ansätze kommen von den Ländern – vor allem aus dem Burgenland

 

Im Burgenland hat Landeshauptmann Hans Peter Doskozil das Thema Pflege zu einem seiner Schwerpunktbereiche erklärt und mit Experten ein eigenes Modell dafür entwickelt. Dieses neue Sozialhilfegesetz soll bereits mit 1. Oktober in Kraft treten. Kernpunkte dabei sind, dass pflegende Angehörige bis ins 2. Parentel – Großeltern, Eltern, Kinder und Enkelkinder sowie (Ehe)Partner, aber auch Seitenlinien wie Tante, Onkel, Nichten, Neffen – bei einer Landesgesellschaft (Pflegeservice Burgenland) angestellt werden und bei einer 40 Stundenbetreuung einen Mindestlohn von 1.700 Euro netto erhalten. Voraussetzung dafür ist aber die Absolvierung einer theoretischen und praktischen Ausbildung. Zusätzlich soll die Qualität durch regelmäßige Besuche der mobilen Hauskrankenpflege überprüft werden.

„Pflege darf kein Geschäft sein, sie muss gemeinnützig sein“, war eine der Kernvorgaben von Landeshauptmann Doskozil. Hier beginnen bereits die ersten Konfliktfelder. Denn ein Großteil der Betreuung funktioniert derzeit mit „selbstständigen“ ausländischen Pflegekräften, die über Agenturen vermittelt werden. Im Burgenland sind derzeit rund 3.500 selbstständige, meist weibliche, Pflegekräfte tätig.

Die Pflege über das Ausland

Wie urprünglich von Doskozil verlautbart, sollten diese privat geführten und gewinnorientierten Pflegeagenturen nicht mehr zum Zug kommen. Doch ganz so ohne diese wird es in Zukunft nicht gehen. Auch Gemeinnützige arbeiten mit Agenturen aus dem Ausland zusammen. So ist der Sitz der AIW (Altern in Würde), eine Agentur, die vom Roten Kreuz für die 24-Stunden-Pflege beansprucht wird, in Bratislava.

Und auch der Landeshauptmann versichert inzwischen, dass jene Menschen, die bereits jetzt die Pflege durch eine Privatagentur in Anspruch nehmen, diese auch weiterhin bekommen werden: „Unser Angebot mit der Anstellung von pflegenden Angehörigen und den gemeinnützigen Agenturen ist eine Ergänzung.“ Die bisherigen Leistungen der Privatagenturen bleiben also aufrecht. Entscheiden wird dies zukünftig der „Kunde“. Und das wird wohl von den Kosten abhängen (siehe www.prima-magazin.at/Im Fokus).

Rund 300 Pflegekräfte beschäftigt Thomas Oswald in seiner Agentur mit Sitz in Oberwart. „Grundsätzlich finde ich es gut, wenn das Land Burgenland das Thema Pflege zum Schwerpunkt macht“, meint er. Nur wie so oft stecke der Teufel im Detail. Denn ohne die Kräfte aus Osteuropa werde es auch in Zukunft nicht gehen. Etwa bei jenen Betroffenen, die keine Angehörigen haben oder wenn diese ganz woanders leben. Auch die Frage, wo die ausländischen Kräfte in Zukunft ihre Pflegeausbildung absolvieren müssen – in ihrem Heimatland oder in Österreich und wer die Kosten dafür trage – sei ungeklärt. Auch hier wird es möglicherweise neue Richtlinien und Vorschreibungen vom Land geben. Wie die Privatagenturen davon betroffen sind, ist noch unklar. „Mit mir hat bis heute niemand vom Land über das Thema gesprochen“, wundert sich Thomas Oswald und hofft auf Gespräche, konkret auf einen Runden Tisch, noch vor der Beschlussfassung durch den Landtag.

Chance für Frauen

Oswald sieht in der laufenden Diskussion auch eine Chance für Frauen um die 50, die derzeit keinen Job haben und präsentiert einen neuen Vorschlag: „Gerade Wiedereinsteigerinnen könnten sich um pflegebedürftige Nachbarn oder Anwohner in ihrer Umgebung kümmern.“

Sie hätten dann wieder eine Perspektive, eine Arbeit und ein Einkommen. Eine Linie, die auch das Land Burgenland vertritt. Statt mit dem Bus zu einem 900 Euro Job nach Wien zu pendeln, wäre die Pflege eine echte Alternative.

Der Bedarf nach Pflegekräften ist jedenfalls vorhanden. Nicht nur im Burgenland, auch in der Steiermark. So berichtet etwa Roswitha Schiefer, Pflegedienstleiterin des Roten Kreuzes für Hartberg und Fürstenfeld: „Wir haben derzeit 80 Mitarbeiter, die die Menschen zu Hause betreuen. Ich könnte sofort 15 weitere Personen aufnehmen, aber sie sind kaum zu finden. Der Bedarf wäre da.“

Soforthilfe vom Land derzeit schon möglich

Ist bei einem Angehörigen plötzlich Pflegebedarf gegeben, egal ob dauerhaft oder kurzfristig, wie etwa bei Unfall oder nach Operation, können sich die betroffenen Familien an das „Case & Care Management“ wenden. Dieses ist seit 1. Jänner bei allen Bezirkshauptmannschaften des Burgenlandes installiert und hier wird versucht, unbürokratisch die optimale Pflegeform zu finden. Dabei wird evaluiert, wie hoch der Pflegebedarf ist – ob dauerhaft oder temporär – und welche Unterstützungen gebraucht werden.

Außerdem will das Land einen Pool von Fachkräften schaffen, die in Pflege-Notfällen einspringen und die Betreuung sofort übernehmen können. Juristisch gilt es hier noch einiges abzuklären. Vom Regierungspartner FPÖ meint deren Klubobmann Géza Molnár, dass man hier Neuland betritt: „Nach absehbarer Zeit werden wir Evaluierungen (Anpassungen) vornehmen.“ Dafür wurde auch eine Frist gesetzt, nämlich 2022.

Änderungen auch für Pflegeheime

Auch die Einrichtungen werden von den Plänen der Regierung betroffen sein. So sollen künftig nur mehr Pflegeeinrichtungen ab 60 Betten vom Land gefördert werden. Genau diesen Punkt kritisiert die Grüne Landessprecherin Regina Petrik: „Diese neuen Förderrichtlinien halte ich für falsch, gerade kleinere Betriebe können viel persönlicher agieren.“

Nicht nur die Länder, auch der Bund hat eine Reform der Pflege im Visier. So lässt ÖVP-Chef Sebastian Kurz mit einer Pflegeversicherung aufhorchen.
Die Unternehmer sollen damit jedoch nicht belastet werden. Das Parlament will außerdem eine Valorisierung des Pflegegeldes (Anpassung an die Teuerung) demnächst umsetzen.

Das Thema Pflege ist in jedem Fall für die nächste Bundesregierung eine Herausforderung. Die Initiativen der Länder sind dennoch zu begrüßen, werden sich aber, wie im Burgenland, erst in der Praxis bewähren müssen.

Was in Zukunft pflegende Angehörige verdienen können und was das Land einbehält

Beispiel 1, Pflegestufe 3

Pflegebedürftige Person Anna

Pension monat. € 1150.-, davon der Teil bis zum Ausgleichszulagenrichtsatz (€933.-) an das Land Burgenland

Pflegegeld Stufe 3 € 451,80.- davon 90 Prozent an das Land Burgenland (ca €406)

Förderungen Land Burgenland ca €977.-

Pflegender Angehöriger Hans

Beschäftigung 20 Wochenstunden

Nettoeinkommen rd € 1050

Kosten Brutto + DG (Dienstgeber-Anteil) rd € 1600

 

Beispiel 2, Pflegestufe 5

 

Pflegebedürftige Person Franz

Pension monatlich: € 1150 davon der Teil bis zum Ausgleichszulagenrichtsatz (€ 933.-) an das Land Burgenland (€ 217)

Pflegegeld Stufe 5: € 920,30.- davon 80 Prozent an das Land Burgenland (ca €736.-)

Förderung Land Burgenland ca € 2147.-

Pflegende Angehörige Johanna

Beschäftigung Vollzeit/40h

Nettoeinkommen € 1700.-

Kosten Brutto + DG Anteil rd € 3100

Quelle: Land Burgenland

Kostenbeispiel 24h Pflege

Pflegestufe 0-4

Im ersten Monat (Kalendermonat)

Betreuerin pro Tag (50×28)                                       € 1400.-

Anreise/Abreise Pflegerin 2x€70                                € 140

Sozialversicherung für 1. Pflegerin                             € 171,85

Vermittlungspauschale an Agentur                            € 350

Gesamt                                                                           € 2061,85

Abzüglich Förderung Sozialministerium

für 1 Pflegerin ab Pflegestufe 3                                      € -275.-

————-

Gesamtbetrag                                                                 €1786,85

 

Zweite Monat (Kalendermonat)

Betreuerin pro Tag € 50 x 28                                      € 1400

Anreise/Abreise Pflegerin                                            € 140

Sozialversicherung 1. Pflegerin                                   € 171,85

Sozialversicherung 2. Pflegerin                                   € 171,85

Servicepauschale Agentur                                             € 150.-

Gesamt                                                                             € 2033,70.-

Abzüglich Förderung des Sozialministeriums

für 2 Pflegerinnen ab Pflegestufe 3                              € -550.-

————–

Gesamtbetrag                                                                 € 1483,70.-

 

Quelle: OK Altenpfleger

 


Thomas Oswald ..
.. betreibt eine Pflegeagentur in Oberwart

Bund beschließt Valorisierung des Pflegegeldes

Illedits: „Burgenland passt Sozialleistungen in Landeskompetenz an“ (Eisenstadt am 26. Juni 2019) – Im Finanzausschuss haben sich alle im Nationalrat vertretenen Parteien auf die Valorisierung des Pflegegeldes geeinigt. Im Burgenland werden davon mehr als 19.000 Personen profitieren.

Ab 1. Januar 2020 wird das Pflegegeld jährlich dem Pensionsanpassungsfaktor entsprechend erhöht – der Wert war in den letzten Jahren deutlich gesunken. Basis ist eine Novellierung des Bundespflegegeldgesetzes. Angaben des Bundes zufolge werden sich die Kosten auf 50 Millionen Euro jährlich belaufen. Soziallandesrat Christian Illedits begrüßt die Valorisierung. „Im Sinne der Chancengleichheit sind wir bestrebt, alle nötigen und möglichen Anpassungen so rasch wie möglich vorzunehmen,“ so Illedits, der im Burgenland Anpassungen in den in Landeskompetenz liegenden Sozialbereichen umsetzt: Das Taschengeld für behinderte Personen wird erhöht, auch die Tagsätze für Einrichtungen des Behindertenbereichs sowie der Kinder- und Jugendhilfe werden angehoben.

Das Taschengeld, das behinderte Personen in Tagesbetreuung, Beschäftigungstherapie und Werkstätten erhalten, wird erstmals seit 2013 angeglichen. „Die Erhöhung war längst überfällig, von allen Interessensvertreterinnen und Interessensvertretern zurecht gefordert und es freut mich, dass wir dem gerecht werden können,“ so Illedits. Die Erhöhung wird mehr als 12 Prozent pro Person betragen.

Die Tagsatz-Valorisierung für die Einrichtungen der Behindertenhilfe und die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erfolgt nach Antrag verschiedenster Einrichtungen und gilt rückwirkend ab dem 1. Januar 2019. Im Burgenland werden 66 Einrichtungen von der Erhöhung um 3,34 Prozent profitieren.


Zahlen & Fakten

Die Pflege wird zu der großen Herausforderung für die Politik sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene. Während der Bund den Großteil der Kosten trägt, sind die Länder für die Organisation der Pflegebetreuung zuständig.

Derzeit beziehen rund 459.000 Personen Pflegegeld. 18 Prozent der Pflegenden werden in Heimen versorgt, 82 Prozent zu Hause von Angehörigen und mobilen Diensten. Die Republik gibt derzeit 2,6 Milliarden Euro für das Pflegegeld aus, die mobilen Dienste liegen in Summe bei 619 Millionen Euro, die Kosten für stationäre Dienste (Krankenhäuser, Pflegeheime etc.) schlagen in Summe mit 2,8 Milliarden zu Buche.

Die aktuelle Situation am Beispiel des Bezirkes Hartberg-Fürstenfeld. 2018 gab es hier 900 Pflegebetten, sechs Tageszentren im Bezirk. Die 24 Stunden Betreuung wird von 4 Prozent der Bevölkerung (Altersgruppe 65+) in Anspruch genommen. Die Gemeinden im Bezirk HF wenden dafür unter dem Titel Sozialwesen 8-9 Prozent der Einnahmen auf.

Die Bevölkerung wird immer älter. 2018 waren im Bezirk HF 19 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt. 2030 werden es bereits 27 Prozent sein und für 2050 werden sogar 33 Prozent prophezeit.

Ähnlich die Entwicklung bei den Hochbetagten (85 und älter). 2018 waren es 2,5 Prozent der Bevölkerung, 2050 werden es 8,3 Prozent sein.

Quellen: Forum Oststeiermark, Pflegedienst-Leistungsstatistik, Sozialministerium


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