Bericht

Prägendes Erbe

Es ist ein Blickfang, wenn man die Anhöhe Richtung Oberschützen daran vorbeifährt. Richtig anmutig ruht dieses unendlich hohe quadratische Steingemäuer mit den symmetrischen Arkaden. Und noch beeindruckender ist diese Anmut, wenn man inmitten steht und den umschweifenden Ausblick und vielleicht den schönsten Sonnenuntergang genießt. Doch was hat es mit diesem scheinbar sehr alten Gebilde auf sich? Ist es ein Monument aus der Römerzeit? Nein. Die Nazis haben es 1938/39 erbauen lassen, um den „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutsche Reich zu feiern. Aber darf es dann eigentlich noch stehen nach heutigen Erkenntnissen? Dieser Diskussionsansatz sorgte schon seit Jahrzehnten für Wirbel. Ein neues Buch-Projekt sagt einmal mehr: Ja, es sollte unbedingt erhalten bleiben.

Foto: zVg

Großes Interesse der Bevölkerung am Projekt zum „Anschlussdenkmal“ in Oberschützen

 

„Die Zeit ist reif“

„Am wichtigsten ist, dass man darüber spricht“, betont Historikerin Ursula Mindler-Steiner, Projektleiterin des Buches „Darüber reden“. Ebenfalls in der beschaulichen Ortschaft Oberschützen aufgewachsen, weiß sie, dass der Platz des Denkmals ein Ort des Treffpunkts der Jugend war. „Tratschen, trinken, feiern. Oder gar Kulisse für Hochzeitsfotos. Kaum jemand wusste damals oder weiß mitunter bis heute nicht, auf welchem historischen Boden man sich befindet. Darüber gesprochen wurde auch nicht, und wenn dann nur hinter vorgehaltener Hand. Die Zeit war nun reif, um dieses Tabuthema aufzugreifen. Und die Bevölkerung einzuladen, gemeinsam die Vergangenheit aufzuarbeiten“, sagt Ursula Mindler-Steiner, die sich schon lange mit der Geschichte ihres Heimatortes beschäftigt.

„Nazi-Dorf“

Denn es ist prekär. Oberschützen war die Heimat von vielen Sympathisanten des NS-Regimes und die Erbauung und Einweihung dieses „Anschlussdenkmals“ war ein Volksfest. Am schönsten landschaftlichen Platz von Oberschützen haben sich die Architekten alle Mühe gegeben, dem damaligen „Führer“ Adolf Hitler zu huldigen. Damals war ein vergoldeter, steinerner Adler der Mittelpunkt dieses Denkmals, dessen Blick Richtung Ost wies. Ein Zeichen, dass der Osten noch ein weiteres geografisches Ziel der NS-Ideologie sei. Nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft blieben von dem goldenen Adler nach einer Sprengung nur mehr Bruchteile über. Die Gemäuer dieses „Anschlussdenkmals“ blieben aber bestehen, auch dem Umstand geschuldet, dass es sich auf mehreren Grundstücksparzellen befindet. In den folgenden Jahrzehnten nach dem Krieg, blieb allerdings auch der Nachsatz, dass Oberschützen ein „Nazi-Dorf“ gewesen sei, haften.

Aufarbeitung

So gab es 2019 einen Aufruf in der Gemeinde Oberschützen, dass sich Menschen aller Altersgruppen eingeladen fühlen, ihre Gedanken oder Erinnerungen zu diesem Thema und besonders zum „Anschlussdenkmal“ kundzutun. Walter Reiss hat mit über 40 Menschen aus der umliegenden Bevölkerung Interviews geführt und diese bildlichen Schilderungen und verschiedenen Meinungen als buntes Spektrum in dem Buch „Darüber reden“ zusammengefasst. „Da wurde ein enormer Prozess in Bewegung gesetzt. Eine gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit, wo einmal mehr klar wurde, wie wichtig es ist, dass man diese Geschichte nicht in Vergessenheit geraten lassen darf“, sagt Herausgeber Walter Reiss über bewegende Momente während der Interviews. Auch Bilder der damaligen Zeit und Zitate aus dem heutigen „Gästebuch“ beim „Anschlussdenkmal“ wurden in das Buch integriert wie auch Texte und Erinnerungen.

Ursula Mindler-Steiner hat für das Gesamtprojekt noch weitere Pläne. „Das ‚Anschlussdenkmal‘ selbst wird auch mit Informationsblöcken ausgestattet, um Transparenz zum Thema zu schaffen. Alle Details über das ‚Anschlussdenkmal‘, oder Teile der Interviews zum Buch, werden auch online abrufbar sein. Auch Unterrichtsmaterialien sollen erarbeitet werden“, schildert sie.

Kontext ist wichtig

Es hat schon viele Versuche gegeben, dem „Anschlussdenkmal“ in Oberschützen eine neue Widmung zu geben, ob als Mahnmal oder im Zuge von künstlerischen Projekten zum Nachdenken. Das Thema zu homogenisieren, sei aber nicht die Ambition. Ursula Mindler-Steiner will mit ihrem Buch die Tatsachen aufzeigen: „Denn es ist, was es ist, das kann man nicht wegdiskutieren. Aber es soll sich niemand schuldig fühlen, wenn man dort einen Sonnenuntergang genießt. Es ist auch kein Tatort, wo Gräueltaten passiert sind. Wichtig ist aber, dass der Kontext bleibt, um zukünftige Generationen weiterhin darüber zu informieren, wie der Nationalsozialismus funktioniert hat, der dann Millionen Opfer gefordert hat. Auch um zukünftige Parallelen frühzeitig zu orten.“
Das Buch wurde Ende Dezember an alle Haushalte in Oberschützen ausgeteilt und ist bei Interesse auch in der Gemeinde Oberschützen kostenfrei erhältlich.

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Postkarte ca. 1939 „Anschlussdenkmal“
Quelle: Gerhard Posch

 

Hintergrund

(Aus dem Vorwort des Buches „Darüber reden …“)

Das „Anschlussdenkmal“ in Oberschützen gilt heute als in seiner Form einzigartiges nationalsozialistisches Denkmal in Österreich. Wegen seines historischen Hintergrunds und des gesellschaftlichen Umgangs damit nach 1945 war es lange Zeit tabuisiert und umstritten. Dies sorgte vor Ort immer wieder für Unfrieden. Die Gemeinde Oberschützen versucht nun unter Bürgermeister Hans Unger diesen „Teufelskreis“ zu durchbrechen: 2018 richtete Unger eine „Arbeitsgruppe Denkmäler“ ein, welche ihm und dem Gemeinderat beratend zur Seite steht. Als erstes Denkmal des Ortes setzt(e) sich diese Arbeitsgruppe mit dem NS-„Anschlussdenkmal“ auseinander, und Ursula Mindler-Steiner, selbst Absolventin der Oberschützer Schulanstalten, wurde gebeten, einen Entwurf auszuarbeiten, wie man das „Anschlussdenkmal“-„Problem“ am besten „lösen“ könnte. Das daraus entwickelte Projekt trägt den Titel „Denk-, Informations- und Lernort: ‚Anschlussdenkmal‘ Oberschützen. Partizipation – Lernen – Nachhaltigkeit“ und wird seit 1. Jänner 2019 von Bund, Land und der Europäischen Union (LEADER) gefördert; aufgrund der Covid-Pandemie und der Lockdown-bedingten Unmöglichkeit, die für 2020/2021 geplanten Projektteile auch entsprechend umzusetzen, wurde das Projekt bis 31. Dezember 2022 kostenneutral verlängert.

Das Buch „Darüber reden …“ von Ursula Mindler-Steiner und
Walter Reiss (Hrsg.) ist nun ein Teil dieses Hauptprojektes. Es zeigt die Vielfalt der Stimmen aus der Bevölkerung. Es geht um persönliche Zugänge zum „Anschlussdenkmal: Eindrücke, Meinungen, Gedanken und Erinnerungen von Menschen, die in Oberschützen leb(t)en oder aus sonstigen Gründen den Ort besuch(t)en und sich mit dem „Anschlussdenkmal“ auseinandersetz(t)en.


Dr.in Ursula Mindler-Steiner
(geb. 1979) ist in Oberschützen aufgewachsen. Studium der Geschichte mit „Europa“-Fächerkombination an der Universität Graz und Uppsala (Schweden). Diplomarbeit über den burgenländischen Gauleiter T. Portschy, Dissertation über die jüdische Gemeinde von Oberwart; beide Werke wurden mit Wissenschaftspreisen ausgezeichnet. Dozentin an der Andrássy Universität Budapest und Assistenzprofessorin an der KFU Graz.

Walter Reiss
(geb. 1951) in Litzelsdorf, Radio-/TV-Journalist, Moderator und Autor, Redakteur, Regisseur und Gestalter beim ORF Burgenland (50 TV-Dokumentationen der Serien „Österreichbild“ und „Erlebnis Österreich“). Burgenländischer Journalistenpreis 2000.
Vorstandsmitglied der Rechnitzer Gedenkinitiative RE.F.U.G.I.U.S.; Produktion der Filmdokumentation mit Zeitzeug*innen zum Jahr 1938: „Es waren schwere Zeiten“ (2018).

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