Bericht

Schwarz ist das neue Bunt

Egal, ob als kleiner versteckter Talisman oder selbstbewusst großflächig sichtbar: Tätowierungen gelten als moderner Körperschmuck quer durch alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten. Und das mit sehr langer Tradition. Denn sogar die 5.300 Jahre alte Gletschermumie Ötzi weist tätowierte Hautstellen auf. In den letzten Jahrzehnten haben unzählige Tattookünstler*innen gemeinsam mit den Farbherstellern dieses Handwerk perfektioniert. Bis zuletzt gab es Tattoofarben in allen erdenklichen Farbnuancen. Nun aber heißt es zurück zum Anfang: Denn eine EU-Verordnung verbietet der Branche seit Anfang des Jahres die Verwendung der meisten gängigen Farbpigmente. Das bedeutet, dass im Moment nur neu entwickelte Tattoo-Mittel verwendet werden dürfen, die den EU-Kriterien entsprechen und in der Branche händeringend gesucht werden. Denn der Status lautet: Ausverkauft.

Foto: zVg Szauer

Tätowierer Joe Szauer aus Pinkafeld ist besonders bekannt für seine farbenstarken Kunstwerke. Durch die neue EU-Verordnung darf auch er derzeit vorrangig nur schwarz-weiß Tattoos stechen.

 

Es ist, als ob man einem Kind die Buntstifte wegnehmen würde. Es kann zwar mit dem Bleistift weiterhin Bilder malen, eine farbenfrohe Lebendigkeit wird es allerdings nicht erschaffen können. Genau in diesem Szenario befinden sich derzeit alle Tätowiererinnen und Tätowierer in ganz Europa.
Darunter auch Joe Szauer aus Pinkafeld, der auf der Website seines Tattoo-Studios ein besonders buntes Portfolio aufweist und durch seine abstrakt auffälligen und farbenfrohen Kunstwerke in der Szene bekannt ist. Nun muss auch er seinen Farbkasten vorrangig auf den schwarzen Tintentopf reduzieren: „Innerhalb der Kundschaft sind zum Glück schwarze und schwarz schattierte Tätowierungen auch sehr beliebt, allerdings habe ich bislang hauptsächlich bunte Werke gestochen und fühle mich in der Ausübung meines Berufs enorm eingeschränkt, weil man uns schlagartig das Werkzeug weggenommen hat“, sagt der 41-jährige Unternehmer, der seit 2008 der Tattoobranche angehört. Er und alle seine Kolleginnen und Kollegen müssen die bereits erworbenen Farben entsorgen, der unwiederbringliche Schaden ist gewaltig.

EU-Verbotsliste

Aber wie kommt es, dass beinahe die gesamte Farbpalette vernichtet werden muss, die seit Jahrzehnten weltweit Millionen von Menschen in Form von Tattoos und „Permanent Make-up“ verziert hat? Grund ist die EU-Verordnung „REACH“, die eine Verbotsliste von chemischen Substanzen beinhaltet, die viele Farbmittel bzw. Zusatzstoffe in Tätowierfarben betrifft. Viele der rund 4.000 Substanzen sind aus Sicht der EU „potenziell gefährlich“ oder „nicht ausreichend erforscht“. Mitte 2020 wurde das Verbot beschlossen, die Übergangszeit bis 4. Jänner 2022 wurde auffallend kurz gefasst.

Existenzbedrohend

Für Erich Mähnert, den Branchensprecher der österreichischen Tätowierer und stellvertretenden Innungsmeister in der Wirtschaftskammer Wien, kommt dieses Verbot samt der spärlichen Übergangszeit einem sprichwörtlichen „Genickbruch für die Tattoobranche“ gleich. „Es ist aber nicht so, dass wir dieser Verordnung grundsätzlich und ausschließlich widersprechen“, betont er eingangs. „Wir begrüßen eine einheitliche Regelung und Rechtssicherheit für die Farbmittel im EU-weiten Raum.“ Allerdings sei die Verordnung durch mehrere Punkte sehr unglücklich gestaltet, sodass sie der ohnehin durch Corona-Lockdowns sehr angeschlagenen Branche noch den letzten Rest gibt. „Zum Beispiel müssen laut REACH-Verordnung derzeit Farben entsorgt werden, bloß weil sie nicht der neuen Etikettierungsnorm entsprechen, obwohl sie bereits REACH-konform wären. Oder es sind sehr unrealistische Grenzwerte einiger Substanzen wie Konservierungsstoffe oder Lösemittel festgelegt worden, die zur Herstellung von Tätowierfarben gebraucht werden. Wie zum Beispiel die Grenze von 0,0005% Formaldehyd. Kein Labor ist in der Lage, diese Werte zu testen. Im kommenden Jahr werden dann noch die zwei wichtigsten Farbpigmente Blue 15:3 und Green 7 verboten, was für die Branche eine weitere Existenzbedrohung darstellt“, schildert Erich Mähnert die Problematik.

Einvernehmliche Körperverletzung

Die gesamte Argumentation, dass die seit 30 Jahren verwendeten Tätowierfarben ein gesundheitliches Risiko darstellen, würden auch vielfach auf Vermutungen basieren, betont der erfahrene Tätowierer: „Ich habe in meiner Laufbahn keine echten allergischen Reaktionen erlebt. Natürlich ist eine frische Tätowierung ein invasiver Eingriff bzw. eine akute Verletzung der Haut, die eine gewisse Nachsorge benötigt. Und Rötungen oder Schwellungen sind normal. Einen entsprechenden Aufklärungsbogen müssen alle Kundinnen und Kunden vorab unterschreiben, wo auf alle Risiken hingewiesen würde. Tätowieren sei eben „einvernehmliche Körperverletzung“. Bei bekannten Allergien sollten ohnehin keine Tätowierungen durchgeführt werden, was jedes seröse Tattoostudio als ernstes Kriterium betrachten muss. „Österreich ist mit der gesetzlichen Aufklärungspflicht, den Hygienebestimmungen und der Dokumentationspflicht in Tattoo-Studios einer der EU-weiten Vorreiter“, weiß Mähnert.

Unerprobte Farben

Doch wie geht es weiter? Inzwischen haben sich zwei Hersteller gemeldet, die eine Auswahl an REACH-konformen Farben anbieten. Auf die erlösende Freude darüber ist allerdings schnell die Ernüchterung gefolgt, da diese Farben in der europaweiten Branche nach kürzester Zeit vergriffen und ausverkauft waren. Die neuen unerprobten Farben würden den Hoffnungsschimmer auch aus anderen Gründen nur vage leuchten lassen: „Wir können derzeit nur abwarten. Auch was die Qualität der Farben betrifft, wie die Verarbeitung, die Haltbarkeit, die Brillanz oder genauso die Verträglichkeit: Der Erfahrungsschatz ist quasi auf Null zurückgedreht, und die Kundschaft muss sich auf dieses Experiment einlassen“, sagt Markus Szauer. So kann er wie alle anderen österreichischen- bzw. europäischen Tattoo-Studio Betreiber in der nächsten Zeit fast nur auf Kundenwünsche eingehen, die in Schwarz-Weiß umsetzbar sind, denn nur davon ist ausreichend Farbe vorhanden. Wie schnell die breite Farbpalette die Rückkehr in die Tattoostudios schafft, ist fraglich. Schwarz bleibt wohl das neue Bunt, im kommenden Frühjahr.

 

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Erich Mähnert
Tattoo-Branchensprecher Erich Mähnert aus Wien begrüßt eine einheitliche Regelung für Farben, sieht die REACH-Verordnung aber als problematisch.

Joe Szauer
Tätowierer Joe Szauer bei der Arbeit

Das besagt die neue EU-Verordnung (Stand 21.1.2022):

Die REACH-Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates (Verordnung (EG) Nr. 1907/2006) zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe trat 2007 in Kraft und ist der gültige Rechtstext in der EU im Umgang mit Chemikalien. 2020 wurde die Weiche zum Verbot der Tätowierfarben gelegt, die am 4. Jänner in Kraft getreten ist.
Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) möchte mit dieser Verordnung Tätowierfarben und Permanent-Make-up sicherer machen. Die seit Jahrzehnten bewährten Inhaltsstoffe in Tätowierfarben sind allerdings schwer zu ersetzen. Der Tätowierbranche steht eine ungewisse Zukunft bevor.

Unter dem Motto „Save the Pigments“ haben sich Tätowiererinnen und Tätowierer aus ganz Europa zusammengefunden, um der EU-Verordnung mit einer Petition entgegenzutreten. 176.000 Menschen haben bereits unterschrieben. Dabei geht es grundsätzlich um eine Verlängerung der Übergangsfrist der Farbverbote und um die Erhaltung der Pigmente Blue 15:3 und Green 7.


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