Bericht

Woran glauben wir?

Ostern steht vor der Tür. Das wichtigste Fest des Christentums, wo die Auferstehung von Jesus Christus den Grundstein dieser Weltreligion gelegt hat. Doch die traditionelle Religionszugehörigkeit ist in Europa im Schwinden, auch in Österreich sind Kirchenaustritte auf einem Rekordhoch. Aber gerade in Zeiten von Krise, Krankheit und Krieg kommt oft der Gedanke: „Jetzt hilft nur noch beten!“ prima! hat nachgefragt, welchen Stellenwert der Glaube in unserer Gesellschaft eigentlich hat.

Foto: Shutterstock / Andrew Angelov

„Traditionelle Glaubensinhalte werden von immer weniger Menschen geteilt“, sagt Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Ulrich Körtner, Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien, „die Mitgliedschaft im Christentum nimmt in Mitteleuropa dramatisch ab.“ Was beispielsweise die katholische Kirchengemeinschaft in Österreich betrifft, so sind 2021 72.055 Menschen ausgetreten, ein neuer Rekord. Die Menschen seien auf der Suche nach einer neuen Art von Religiosität oder Spiritualität und viele „basteln“ sich ihre eigene Religion aus verschiedenen Facetten anderer Religionen, schildert der Experte für Religionsfragen. Auch die Migration würde sich dahingehend bemerkbar machen, dass zum Beispiel der Islam in unseren Breitengraden überwiegend durch Zuwanderung zu einem Teil unserer religiösen Landschaft geworden sei.

Individuelle Distanzierung

Aber was könnten mögliche Gründe der bewussten Ablösung vom Christentum sein? Es existiere eine bedeutsame Entwicklung, schon seit dem Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert, schildert Ulrich Körtner. „Die sogenannte Säkularisierung. Grob gesagt, eine Distanzierung von der streng religiösen Welt. Und eine zunehmende Individualisierung, denn die moderne Gesellschaft ist in hohem Grade durch Individualismus geprägt. Das heißt, dass man sich auch in Fragen von Glauben und Weltanschauung nicht durch irgendwelche Instanzen vorgeben lässt, was man zu glauben oder wie man zu leben hat. „Viele zweifeln an der Existenz des klassischen Bibelgottes. Denn für viele ist die Welt so wie sie ist, mit allem Leiden, Krieg und Gewalt, mit der Vorstellung eines gütigen Gottes nicht in Einklang zu kriegen“, sagt er. Und diese Worte klingen aktueller und eindringlicher denn je.

Manche Menschen bezeichnen sich explizit als Atheisten, die an gar keinen Gott glauben. Daneben gibt es auch noch Agnostiker, die sagen, sie persönlich glauben nicht an Gott, aber ob es etwas Höheres gibt oder nicht, das lassen sie für sich offen und es ist für sie auch nicht so entscheidend. Sie respektieren aber, dass es Menschen gibt, die an eine höhere Macht oder einen persönlichen Gott glauben“, fasst Ulrich Körtner zusammen.

„Jeder hat etwas, an das er sich in besonderer Weise hält.“

Aber auch jemand, der sich als Agnostiker oder Atheist bezeichnet, müsse laut Körtner nicht zwangsweise an gar nichts glauben:
„Er glaubt vielleicht an die Alleingültigkeit eines naturwissenschaftlichen Weltbildes. Auch das ist eine Form von Glauben.“ Gerade solchen Menschen fällt es schwer, an etwas zu glauben, das nicht naturwissenschaftlich beweisbar, also nicht „wirklich“, ist.

„Aber jeder hat etwas, an das er sich hält, auch und vielleicht besonders in Krisenzeiten seines Lebens. Etwas, worauf es für ihn beim Leben oder Sterben wirklich ankommt. Der große Reformator Martin Luther hat einmal geschrieben, woran du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott.“ Denn die Menschen hätten ein Bedürfnis nach einem letzten existenziellen Grund. „Wir suchen nach dem Grund unseres Daseins und dem Sinn, gemäß der Frage: „Wieso lebe ich überhaupt? Wozu gibt es mich? Wozu gibt es die Welt?“, beschreibt Ulrich Körtner. Diesen Fragen könne man oftmals ausweichen, aber es gibt Situationen wo wir damit ganz massiv konfrontiert werden, in gesellschaftlichen oder persönlichen Krisenzeiten oder existenziellen Krisen, die durch Krankheit oder Tod ausgelöst sein können. „Und interessanterweise wird man sagen müssen, man kann alles im Leben in Zweifel ziehen, aber kein Mensch kann ohne Selbstformen einer Gewissheit leben, und dafür könnte man den Begriff ‚Glauben‘ verwenden“, sagt Ulrich Körtner.

Das 5. Gebot und der Ukraine-Krieg

Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat sich zu Putin bekannt, was weltweit für Aufsehen sorgt. Denn alle anderen Kirchen sind sich einig, dass dieser Krieg durch nichts zu rechtfertigen ist und einen massiven Verstoß gegen alle Grundsätze christlicher Ethik und das Völkerrecht darstellt.
Derzeit herrsche in der weltweiten kirchlichen Öffentlichkeit ein Ringen darum, wie man sich zur Anwendung von Gewalt zu Verteidigungszwecken stellen soll, weiß Körtner. „Da gibt es die radikalpazifistische Position, die sagt, Gewaltanwendung ist immer eine Sünde, auch wenn sie zur eigenen Verteidigung dient. Und es gibt eine andere Position, die sagt, in einem solchen eindeutigen Fall gilt das Recht auf Selbstverteidigung. Und nicht nur das: Es gibt geradezu auch eine christliche Pflicht, nämlich alles zu tun, damit Leiden und Tod von Unschuldigen unterbunden wird.“ Man kann also sagen, es gibt auf der einen Seite das uneingeschränkte 5. Gebot „Du sollst nicht töten“, und auf der anderen Seite macht sich derjenige mitschuldig, der zuschaut wie jemand andere tötet und nichts dagegen unternimmt. „Denn wenn man zulässt, dass ein Angreifer Unschuldige umbringt, verstößt er eigentlich ja auch gegen das 5. Gebot“, erklärt Körtner das Dilemma.

Aber neben dieser Diskussion bleibt doch auch das einfache Verständnis des Menschen an den Glauben: Dass der Frieden immer als höchstes Gut behandelt werden muss. Und damit sind religiöse Argumente als Rechtfertigung für einen Krieg, so wie es Russland gegen die Ukraine vollzieht, niemals vereinbar.


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