Bericht

Generation Scheidungskind

Früher war man Exot, wenn man in der Klasse saß und zugeben musste: „Meine Eltern sind geschieden.“ Bemitleidend waren die Blicke der Mitschüler, Lehrer wussten oft nicht damit umzugehen. Heute wird nach dem Beziehungsstatus der Eltern kaum noch gefragt. Es ist normal geworden, nicht mit beiden Elternteilen zusammenzuleben. In Österreich werden mittlerweile über 40% der Ehen wieder geschieden. Nur weil es bald jede zweite Familie trifft, bleibt jede Scheidung dennoch immer wieder ein Einzelschicksal, welches für ein Kind schwer zu verarbeiten ist. Langzeitfolgen sind zu erwarten, unter anderem, was die Bindungsfähigkeit und das Konfliktverhalten erwachsener Scheidungskinder betrifft. Genau darüber schreibt Susanne Plank in ihrer Masterarbeit. Die Sozialpädagogin baut mit ihrem Mann und den beiden Kindern gerade ein Haus in Friedberg. Beruflich hat sie es in ihrer Arbeit aber mit Ein-Eltern-Familien zu tun und sie weiß: „Jede Scheidung ist eine Krise.“

Foto: Nora Schleich

„Eine Trennung bedeutet, dass sich das bestehende und bekannte Familiensystem ändert, und das hat immer Auswirkungen“, sagt die Sozialarbeiterin. Natürlich geht jedes Kind mit einer Scheidung individuell um, aber es gibt Tendenzen, die vor allem sichtbar werden, wenn es um Beziehungen geht. So sind es Schlagwörter wie Aggression, Selbstwert, Identität, Selbstständigkeit und Loyalität, die im späteren Leben zum Tragen kommen. „In intakten Familien lernt man zum Beispiel, sich nach kleineren Krisen wieder zu versöhnen.

Trennungskindern fehlt diese Fähigkeit oft. Außerdem neigen sie dazu, Konflikte zu vermeiden, da sie ja gelernt haben, dass darauf Liebesentzug folgt.“ Auch Wertvorstellungen werden anders geprägt. So ist für Scheidungskinder Treue vordergründig wie auch Selbstständigkeit. Susanne Plank beschäftigt sich im Rahmen ihrer Masterarbeit mit nationalen und internationalen Studien und zieht folgenden Schluss im Bereich Partnerschaft: „Um Sicherheit und ein familiäres Umfeld zu finden, gehen Trennungskinder oft frühzeitiger Partnerschaften ein. Gleichzeitig sind sie pessimistischer und heiraten seltener. In Beziehungen geben sie wiederum schneller auf und verlassen den Partner, ehe sie verlassen werden können.“

Scheiden tut weh….

Je nach Entwicklungsstufe und Alter des Kindes, aber auch nach Geschlecht lassen sich unterschiedliche Tendenzen nach Scheidungen feststellen. Mädchen zum Beispiel reagieren internalisierter, das heißt, auch ruhiger. Sie kämpfen häufig mit Selbstwertproblemen. Burschen hingegen sind tendenziell aggressiver und auffälliger. Schuldgefühle und Verlustängste sind bei Kindern jedes Geschlechtes und Alters zu finden. „Natürlich ist jeder Fall anders. Aber was alle gemeinsam haben, ist, dass ein Liebesobjekt zumindest teilweise verloren geht.

Zwei Elternteile zu haben, hat eine entlastende Wirkung. Streitet das Kind mit dem einen, ist der andere ausgleichend da. Fällt der Vater zum Beispiel weg, ist das Kind von der Mutter abhängig. Würde man mit der alleinerziehenden Mutter streiten, wäre niemand mehr da. Wo wir wieder bei den Verlustängsten wären“, so Plank. „Vor allem Söhne brauchen auch dringend einen Vater, um die eigene männliche Identität zu erfahren“, fügt die Sozialpädagogin hinzu. Diese Aufgabe kann übrigens auch ein Ersatzvater erfüllen.

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne….

Eine gute Scheidung gibt es nicht. Wenn Scheidungen also so schrecklich sind, soll man dann wegen der Kinder zusammenbleiben? „Nein“, sagt Susanne Plank. „Man muss das kleinere Übel wählen.“ Aus einer konfliktreichen Beziehung gehen Kinder hervor, die auch dieses Muster weitertragen. Der Akt der Trennung sei außerdem nicht so schlimm wie die Konflikthaftigkeit davor und danach. Eine Scheidung kann auch neue Wege eröffnen. Wichtig ist, wie man damit umgeht. Natürlich sei das schwer, so die Expertin, immerhin befinde man sich selbst auch in einer Ausnahmesituation – ökonomisch, physisch und emotional. „Man muss einfach ertragen, dass man schuld ist, dass es dem eigenen Kind nicht gut geht, und das, obwohl man selbst nicht gerade belastbar ist. Wenn man aber ehrlich ist, birgt eine Scheidung Entwicklungschancen.“

Auf die Frage, ob es denn auch glückliche Scheidungskinder gäbe, atmet die Sozialpädagogin tief durch: „Ja. Aber eine Trennung hat immer Auswirkungen. Kinder, die nach einer Scheidung am wenigsten reagieren, machen mir am meisten Sorgen in meiner beruflichen Praxis.“

Schlussstrich

Kinder sind immer loyal und lieben beide Elternteile. Studien belegen, dass sogar misshandelte und traumatisierte Kinder und Erwachsene dieses Verhalten zeigen. „Es ist wichtig zu akzeptieren, dass ein Kind immer Mutter und Vater liebt und braucht. Diesen Loyalitätskonflikt und die damit verbundenen Ängste muss man dem Kind nehmen.“ Im schlimmsten Fall wird das Kind dazu gedrängt, Partei zu ergreifen. Oft geschieht dies auch unbewusst mit der Frage: „Wie war es denn beim Papa?“ Das Kind wird somit ungewollt zum Spielball streitender Eltern.

Trennungskinder müssen von Loyalitätskonflikten und jeglichen Schuldgefühlen freigesprochen werden. Vor allem jüngere Kinder glauben oft, dass sie verantwortlich für die Trennung sind. Setzt man bewusst Botschaften ein, die die Kinder entlasten, können sie auch in zwei Welten gut aufwachsen.


Susanne Plank
Sozialpädagogin Susanne Plank aus Friedberg beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Scheidungskinder.

„Das Wechselresidenzmodell, bei dem Kinder zu gleichen Teilen bei Vater und Mutter leben, ist der Versuch, ihnen beides zu geben. „Überhaupt haben Väter heute mehr Rechte als früher. Die Obsorge zum Beispiel liegt bei einer einvernehmlichen Trennung automatisch bei beiden Elternteilen.“
Susanne Plank

Aller Anfang ist schwer!
Das trifft auch zu, wenn sich die ursprüngliche Familie durch eine Trennung verändert.

Botschaften, die Scheidungskindern helfen können –
von Susanne Plank

> Kinder sind nie schuld an der Scheidung ihrer Eltern. Du trägst keine Schuld! 

> Der Streit von uns hat nichts mit Dir zu tun und du musst Dich nicht zwischen Mama und Papa entscheiden. Du darfst uns Beide lieben.

> Es ist in Ordnung, wenn du wütend oder zornig bist! Mama und Papa lieben dich auch dann!

> Du darfst auch auf Deine Eltern wütend sein. Nur weil man streiten, oder wütend ist verliert man Mama oder Papa nicht. Eltern werden einen immer lieben. 

> Du musst nicht auf Mama oder Papa aufpassen!

> Mama und Papa lieben dich und werden dich nicht verlassen!

> Die Liebe zwischen Mama und Papa ist etwas ganz anderes als die Liebe zu dir. Du wirst immer unser Kind bleiben und wir werden dich immer lieben.

> Du brauchst keine Angst haben, dass dich Papa oder Mama verlassen. Eltern können sich als Paar trennen, aber wir werden immer deine Eltern bleiben- egal was du tust.

> Auch wenn wir uns streiten und dabei oft gemeine Sachen übereinander sagen, haben wir uns einmal sehr geliebt und bereuen nicht, dass es dich gibt und lieben dich!

> Es ist in Ordnung, dass du Mama vermisst, wenn du bei Papa bist und dass du Papa vermisst, wenn du bei Mama bist. Du kannst uns das immer sagen, wir sind nicht böse oder traurig deswegen.

> Der Grund für unsere Scheidung hat nichts mit dir zu tun. Auch Mama und Papa sind sich nicht immer einig warum wir uns getrennt haben. Das heißt aber nicht, dass einer lügt, sondern nur, dass Erwachsene oft Dinge unterschiedlich sehen. Du musst nicht für eine Seite Partei ergreifen! Es ist in Ordnung beide Eltern zu vermissen und zu lieben!

Buchtipps für Kinder:
  • Die Sehnsucht des kleinen Orange (Judith Zacharias-Hellwig)
  • Wir bleiben eure Eltern! Auch wenn Mama und Papa sich trennen (Julia Vormert)
  • Rico, der kleine Delfin. Meine Eltern trennen sich (Horst Johnen)
  • Und was wird jetzt mit mir? Scheidung- Die besten Antworten auf wichtige Kinderfragen (Jan von Holleben)

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