Interview

Die Jagd auf Fake News

Die Informationsflut, die uns täglich erreicht, ist mit den vielfältigen Social Media Kanälen gestiegen – damit auch die Anzahl von Falschmeldungen. Gerade in der Corona-Pandemie zeigt sich die Crux daraus so deutlich wie noch nie: Der Medienkonsumierende erkennt nicht mehr, was wahr ist und was falsch. Verschwörungstheorien haben einen fruchtbaren Nährboden. Anerkannte Medien werden als unseriöse Quellen abgetan – Meldungen auf den Social Media Kanälen wird vertraut. Mehr denn je braucht die Gesellschaft einen Wegweiser, wie Nachrichten überprüft werden können. Mimikama ist eine Plattform, die seit zehn Jahren Fake News und Internetbetrug den Kampf ansagt. Andre Wolf ist einer der Mimikama Fake-Jäger. Im prima! Interview zeigt er auf, wie jeder Einzelne für sich eine Nachricht auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen kann. Ein Leitfaden.

Foto © zVg Wolf

Andre Wolf, Pressesprecher, Content- und Social Media Coordinator bei Mimikama

 

Zuerst einmal die vielleicht wichtigste Frage: Was gilt als seriöse Quelle bzw. welche Quellen zieht Mimikama bei einem Faktencheck heran?

ANDRE WOLF: Es ist tatsächlich seit Jahren so, dass die klassischen Medien angezweifelt und diskreditiert werden. Wir bewerten Medien oder Quellen daran, wie viel Meinung und wie viel Information vorhanden ist. Wenn mir ein Inhalt die typischen journalistischen Fragen WER, WIE, WAS, WANN, WO beantwortet, habe ich bereits einen hohen Informationsgehalt. Wenn diese Fragen jedoch wenig beantwortet werden und stattdessen ein starkes „Framing“, also sehr starke Schlagworte benutzt werden, die in eine bestimmte Richtung ziehen, wenn sehr viel Meinung in der Nachricht verpackt ist, dann kann ich sie nicht als Quelle nutzen. Da wägen wir ab. Das bedeutet, Medien, die mit nüchterner Berichterstattung arbeiten, sind immer sehr wichtig für uns. Wir haben im Laufe der Jahre auch ein Netzwerk an renommierten Expertinnen und Experten aufgebaut, die uns mit ihren Expertisen bei den Inhalten helfen, die wir publizieren.

Wie kann der Medienkonsument bzw. die -konsumentin den Wahrheitsgehalt einer Nachricht nun konkret überprüfen?

ANDRE WOLF: Das Wichtige ist: Ich muss lernen, dass ich Selbstreflexion üben muss. Wir reden hier von der „Confirmation Bias“. Das bedeutet, wir suchen uns immer die Informationen, die unsere eigene Position unterstreichen. Im Netz haben wir eine riesige Informationsvielfalt.
Ich kann also – egal wie absurd mein Standpunkt ist – durch eine Suchmaschine immer irgendeine Seite, irgendeine Quelle finden, die meine Position unterstreicht. Ich muss deshalb lernen, dass ich mich selbstkritisch betrachte.
Dann schau ich, welche Narrative werden mir erzählt. Narrative sind sogenannte sinnstiftende Erzählungen, die plausibel wirken. Innerhalb von Narrativen können natürlich Falschmeldungen eingebaut sein. Dadurch, dass ich Narrative und Framing erkenne, kann ich mein eigenes Gespür für Inhalte bilden. Das ist also mein Grundstock: Ich muss mich kennen, ich muss wissen, wie ist eine Information aufgebaut und wie stark manipulativ will sie von vornherein auf mich einwirken.

Das ist also quasi die Grundhaltung, die ich mitbringen sollte. Wie geht es weiter?

ANDRE WOLF: Genau – und dann kann ich methodisch vorgehen. Ich schaue: Wer betreibt eine Website? Ist ein Impressum vorhanden und wie transparent ist es? Bei einer seriösen Medienwebseite ist das im Regelfall immer sehr klar. Wenn ich eine Nachricht vorliegen habe, die tendenziös mit starkem Framing arbeitet und dann seh ich im Impressum, dass da niemand transparent genannt wird, ist das immer ein schlechtes Zeichen.
Im vierten Schritt kann ich Suchmaschinen nutzen. Aber hier muss ich aufpassen: Ich muss vergleichend arbeiten (Stichwort „Confirmation Bias“, Anm.d.Red.). Ich muss die Ergebnisse vergleichen und prüfen: Wie wird darüber geschrieben? Welche Art von Medien sind es? Welche Art von Website ist vorhanden? Ist es eine private Website? Ist es ein anonymer Blog? Oder habe ich es hier mit Medien zu tun, die sachlich darüber schreiben – was natürlich ein Vorteil ist.

Dann gibt es noch die Möglichkeit in Schritt fünf, dass ich eine Bildersuche starten kann. Das bedeutet, wenn ich eine Information bekomme per Messenger und es ist ein Bild zu sehen, dann muss ich überprüfen, ob das Bild überhaupt in diesen Kontext gehört oder ob jemand versucht, mir einen Hybrid-Fake vorzusetzen. Hybrid-Fake bedeutet, dass ein Teil des Ganzen stimmt, der andere Teil falsch ist – also wenn ich ein Bild habe, das nicht in diesen Kontext gehört. Als in den letzten Wochen Demos in Wien waren, wurden Bilder aus Moskau gezeigt, wo Millionen von Menschen unterwegs waren und wo es hieß, dass das in Wien passiert ist. Das ist ein Hybrid-Fake. Und das kann ich über eine Bildersuche herausbekommen.

Und als Schritt sechs gilt: Wenn ich mir nicht sicher bin, kann ich Menschen befragen, die davon Ahnung haben. Das heißt, ich kann Faktenprüferinnen, -prüfer anschreiben. Ich kann suchen, wer zu diesem Thema schon etwas geschrieben hat und mich dort informieren.

Wird solchen Faktencheck-Plattformen wie Mimikama vertraut oder werden diese auch angezweifelt? Verschwörungstheoretiker*innen neigen ja dazu, alles abzulehnen, das ihrer Meinung widerspricht.

ANDRE WOLF: Es gibt ganz viele Faktenprüfungsplattformen, nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern im europäischen Raum, die arbeiten alle unabhängig voneinander. Wenn diese Plattformen, die ja nichts miteinander zu tun haben, unabhängig voneinander zu demselben Ergebnis kommen, dann kann man natürlich davon ausgehen, dass das passt, was da steht.

Fake News nehmen ja eine weitere Dimension an: Wenn nämlich in einem Video ein vermeintlicher Experte genau das Gegenteil von dem behauptet, das wir in seriösen Medien erfahren. Ich denke da etwa an die Behauptung, dass auf Intensivstationen vor allem Geimpfte liegen. Wenn man diese Videos sieht, dann bekommt das Ganze ein Gesicht und damit auch mehr Gewicht. Wie kann ich sie als Fake erkennen?

ANDRE WOLF: Wir haben ja den Konsens von Mediziner*innen, wo die meisten sagen, dass sie überbelastet sind, dass sie Mehrarbeit haben, dass sie entscheiden müssen, ob und welche Operationen verlegt werden etc. Und jetzt kommen Einzelpersonen und man darf nicht vergessen, dass es eben Einzelpersonen sind, die sich bewusst und zum Teil auch mit politischem Hintergrund dort hinstellen und die viral gepusht werden. Wir reden hier von einem „False Balance System“, dass also die Berichterstattung falsch ausbalanciert ist. Einzelfälle werden überproportional häufig geteilt. Ich müsste die andere Seite (den Konsens, Anm.) um ein Vielfaches mehr darstellen in den Medien, um zu zeigen, wie überwältigend der Stand ist. Und Social Media hat halt diese Dynamik, dass beides gleichwertig dargestellt werden kann. So kommen Menschen, die nicht genau wissen, was stimmt und was nicht, immer mehr in Zweifel und können nicht unterscheiden, was ist die Einzelmeinung und was ist der große Konsens. Das ist das Problem. Da muss man genau hinschauen, was die Realität ist oder ob es ein falsches Abbild ist, nur weil es überproportional häufig gezeigt wird.

Aber ohne Medienkompetenz ist es schwierig, den Unterschied zu erkennen.

ANDRE WOLF: Deshalb sind diese Faktenchecks so wichtig. Das ist nicht immer meine Meinung, was ich da schreibe. Das muss ich ganz klar sagen. Es gibt viele Dinge, wo ich persönlich ganz anderer Meinung bin oder wo ich persönlich ganz anders handeln würde, aber wo ich sagen muss: Ok, die Faktenlage ist halt so. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt: Wir machen das nicht, weil wir jemandem eine Meinung aufdrängen wollen. Wir müssen irgendwo den Fels in der Brandung hinstellen, der einfach, sachlich, nüchtern, neutral ist, an dem man sich festhalten kann und auf Basis dieser Information, die wir bieten, kann jetzt jeder Mensch losgehen und diese Information nutzen.
Es geht nicht darum, manipulativ zu arbeiten, sondern zu sagen: Hier ist die Basisinformation. Die kannst du nutzen – wie auch immer.

Was halten Sie im Moment in dieser gespaltenen Lage für ganz wichtig? Was wäre jetzt notwendig?

ANDRE WOLF: Wir müssen alle wieder ein bisschen runterkommen vom Informationskonsum und wieder Menschen werden. Wir dürfen nicht vergessen: Alle diese Avatare auf den Social Media Plattformen stellen einen Menschen dar. Ein Mensch, der irren kann. Ein Mensch, der Gefühle hat. Wir müssen da echt wieder aufeinander zugehen und diesen Graben, der geschaffen wurde, ganz schnell überwinden und wieder zusammenfinden – und vor allem müssen wir daran arbeiten, dass wir vorwärtskommen.



Mimikama

Der Verein wurde im Jahr 2011 von Tom Wannenmacher in Wien gegründet, mit dem Ziel, Internetmissbrauch, Internetbetrug und Falschmeldungen bzw. Fakes entgegenzuwirken und zu bekämpfen.
Andre Wolf ist Pressesprecher, Content- und Social Media Coordinator von Mimikama.
Der Verein ist unabhängig und hat erst vor Kurzem auch die Werbung auf seiner Website gestrichen, um diese Unabhängigkeit noch deutlicher zu wahren und hervorzustreichen. Der Verein finanziert sich durch Bildungsauftritte (Workshops, Vorträge etc. bzgl. Medienkompetenz), durch Patenschaften bzw. Abos.
Neben Wannenmacher und Wolf gibt es ein kleines redaktionelles Team, das die Erkenntnisse und Recherchearbeiten verschriftlicht. Die Recherchen werden von einer Gruppe von Ehrenamtlichen durchgeführt (ca. 30 Personen). Ebenso kann Mimikama auf die Expertise von renommierten Wissenschaftler*innen und Expert*innen aus den unterschiedlichen Fachrichtungen zurückgreifen.
Der Verein erhält täglich zwischen 80-120 Anfragen. Derzeit – durch die Corona-Pandemie – sind es an die 500 Anfragen.

So checken Sie eine Nachricht:

Wahrscheinlich hat Mimikama zu diesem Thema bereits etwas veröffentlicht.
Dafür gibt es eine Suchmaschine unter www.hoaxsearch.com
Findet sich noch nichts zu diesem Thema, können Sie eine Anfrage schicken unter www.mimikama.at. Auf „Fake melden“ klicken, Formular ausfüllen, Screenshot und Link mitschicken. Oder eine Nachricht per Mail an prüfung@mimikama.at

Alle Kanäle von Mimikama zu finden auf: https://www.mimikama.at/ueber-uns/

Die Facebook-Seite von Mimikama:
ZUERST DENKEN – DANN KLICKEN

Übrigens: Auch auf der Website der Stadt Wien finden Sie unter https://www.wien.gv.at/medien/fake-news/ hilfreiche Tipps und Faktencheck-Plattformen.


FAKE NEWS ERKENNEN

Kurzcheck für daheim

• BEACHTEN SIE DIE QUELLE: Genaue Prüfung der Website. Wer steckt dahinter? Gibt es ein Impressum? Wie transparent ist es?

• ÜBERSPITZTE DARSTELLUNG: Wie ist die Nachricht aufgebaut? Ist es ein Meinungsbeitrag mit wenig Inhalt? Werden Erklärungen ausgelassen und Quellen nicht genannt? Wird eher mit Schlagzeilen gearbeitet? Dann Vorsicht!
Formulierungen, die auf Falschmeldungen hinweisen: Reißerische Sprache, emotionale Begriffe („schrecklich“, „unfassbar“ …), Schüren von Angst, Verallgemeinerungen („Alle…sind“), Verschwörungstheorien (heimliche Strippenzieher*innen, Nutznießer*innen …)

• DEN AUTOR bzw. DIE AUTORIN PRÜFEN: Wer steckt hinter der Nachricht? Ist die Person glaubwürdig?

• BEWERTEN DER QUELLEN: Oft werden Links angegeben. Belegen diese die Nachricht?

• GEGENCHECK MACHEN: Hat schon wer darüber geschrieben? Eine Googlesuche unter dem News-Reiter hilft. Unterscheiden, ob es ein Meinungsblog ist oder eine seriöse Presseseite. Vorsicht, wenn die Nachricht die Meinung des Autors bzw. der Autorin widerspiegelt.

• BILDERCHECK: Gehört das Bild überhaupt zum Text? Rückwärtssuche für Bilder hilft (www.images.google.com, weitere Tipps auf https://www.mimikama.at/aktuelles/der-richtige-umgang-mit-falschbehauptungen/).

• FILTER IN SUCHMASCHINE NUTZEN: Zeitfilter verwenden. Oft stellt sich heraus, dass die Nachricht schon alt ist.

• IST ES EIN WITZ?: Handelt es sich um eine Satire? Auch das ist möglich – Vorsicht beim Teilen!

• WIE IST DIE EIGENE EINSTELLUNG?
Selbstreflexion ist wichtig! Nur so kann man die Nachricht richtig einschätzen.

• EINEN EXPERTEN / EINE EXPERTIN FRAGEN: Fact-Checking-Websites nutzen.

• FALSCHMELDUNGEN AUFZEIGEN: Damit geben Sie stillen Mitlesenden eine Orientierung.

Unter www.hoaxsearch.com kommt man zur Suchmaschine von Mimikama und kann überprüfen, ob es zu einem bestimmten Thema bereits eine seriöse Analyse gibt.
Nähere Infos: www.mimikama.at


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