IV-Geschäftsführerin Aniko Benkö im Interview

Fast 8.000 Beschäftigte zählt die burgenländische Industrie. Die 153 Unternehmen im Burgenland sind grundsätzlich gut aufgestellt, es plagen sie aber auch akute Sorgen: hohe Inflation und Energiepreise, Mangel an Fachkräften, hohe Gehaltsabschlüsse und Lohnstückkosten, harte internationale Konkurrenz. Ob man Turbulenzen auf dem Weltmarkt auch im Burgenland spürt und wo die Stärken des Burgenlandes als Industriestandort liegen, darüber steht die aus Oberwart stammende Geschäftsführerin der IV Burgenland, Aniko Benkö für prima! Rede und Antwort.

Walter REISS / 26. August 2024

Sie ist Absolventin des zweisprachigen Gymnasiums Oberwart und Juristin mit reicher internationaler Erfahrung. 2010 erwarb sie den Master in „International Relations“ an der Corvinus-Uni Budapest. Nach Studien in Russland und Frankfurt begann ihre Berufskarriere in der Abteilung EU-Erweiterung im Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten, gefolgt von Gerichtspraxis in Linz und schließlich Jobs als Referentin der Industriellenvereinigung Salzburg und seit April 2023 als Geschäftsführerin der IV Burgenland.

Sie kennen Russland durch Studien in Moskau und Kaliningrad gut. Seit Jahren ist die Lage geprägt durch Krieg, Sanktionen, Kriegswirtschaft in Russland und – speziell in Österreich – Abhängigkeit vom russischen Gas. Wie sehen Sie die Lage derzeit?

Benkö: Der Konflikt um die Ukraine hat schon eine lange Vorgeschichte mit komplexen Wurzeln. Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist auf das Schärfste zu verurteilen und die Sanktionen werden eingehalten. Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt, das Wachstum wird für 2024 mit 3,4 Prozent prognostiziert. Für die Ukraine sieht es viel schlechter aus. Mit Jahresende laufen die Verträge für den Gastransit durch die Ukraine aus. Aus der Sicht der Industrie gilt es, diese Verträge dringend zu erneuern. Man hätte sich hier schon längst nach anderen und vor allem mehreren Energielieferanten umsehen müssen, um nicht in Abhängigkeit zu geraten. Komplett weg vom Gas ist in vielen Industriezweigen derzeit einfach technisch nicht möglich! Und es geht nicht nur um Energie, sondern auch um Rohstoffe und Materialien, welche die Industrie – auch für die Transformation – dringend braucht, z.B. seltene Erden. Es geht darum, gute Handelsbeziehungen mit möglichst vielen Regionen der Welt zu pflegen. Im Endeffekt geht es um Arbeitsplätze und den Wirtschaftsstandort Österreich und Europa.

Die heimische Wirtschaft schwächelt. Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, Gabriel Felbermayr, spricht von sechs verlorenen Jahren, Ihre Kollegen von der IV Oberösterreich sprechen von De-Industrialisierung. Und im Burgenland?

Vor möglicher Abwanderung von Betrieben warnen wir schon lange. Schon Covid-Pandemie und Energiekrise haben auch die burgenländische Industrie sehr gefordert. Man steht in Konkurrenz mit China oder Indien, wo die Energiepreise deutlich niedriger sind. Teure Energie, hohe Gehaltsabschlüsse und hohe Inflation sind klare Wettbewerbsnachteile. Für ein Unternehmen, das exportiert und auf dem Weltmarkt erfolgreich sein will, ist es schwierig, an einem teuren Standort zu produzieren.


„So funktioniert das nicht…“


Ergeben hohe Kollektivvertragsabschlüsse und gestiegene Lohnstückkosten tatsächlich einen Standortnachteil?

Sind die Kosten in den übrigen Märkten niedriger als in Österreich, ist die Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben. Unsere Industrie kann ihre Produkte nicht verkaufen, weil die hohen Löhne an die Kunden weitergegeben werden müssen und das wird nicht gezahlt. Der Standort Österreich ist gefährdet, neue Investitionen werden in billigeren Ländern getätigt. Das ist ein akutes Problem und zwar schon seit mehreren Jahren. Kunden in den USA interessiert es nicht, dass österreichische Produkte wegen hoher Lohnkosten teurer sind. So funktioniert das nicht.

Bietet der Standort Österreich bzw. Burgenland auch Vorteile für Industrieunternehmen?

Unser Vorteil ist hohe Technologiekompetenz und die sehr gute duale Ausbildung der Lehrlinge und Techniker. Um diese beneidet uns die Welt. Und wir setzen vor allem auch im Burgenland auf Qualität. Wir haben gute Fachleute, die gute Produkte entwickeln. Noch ein Standortvorteil liegt in der Mehrsprachigkeit. Im Burgenland werden nach wie vor die Sprachen der Volksgruppen gepflegt. Im Wirtschaftsleben kann Kroatisch oder Ungarisch von Vorteil sein. Aber die wahre Chance liegt darin, dass Mehrsprachigkeit generell den Horizont erweitert, das Verständnis für andere Menschen, Länder und Kulturen fördert und weltoffener macht.

Stichwort gutes Personal: Gerade die Industrie klagt über den Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften.

Bildung und duale Lehrlingsausbildung sind der Schlüssel zum Erfolg! Insbesondere im MINT-Bereich – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik – werden Fachkräfte gesucht. Da gilt es, den Nachwuchs schon im Kindergarten zu begeistern. Denn jedes Kind fragt nach dem „Warum?“ und hat schon einen ausgeprägten Forscherdrang. Im Burgenland sind speziell die beiden HTL-Standorte in Eisenstadt und Pinkafeld sehr bedeutend, auch die Fachhochschulen sind sehr wichtig, etwa mit besonderen Studienfächern wie z.B. für Photonik-Lichttechnik in Pinkafeld. Gerade in solchen Schlüsseltechnologien herrscht Mangel an Fachkräften. Insgesamt werden in Österreich bis 2030 etwa 60.000 Fachkräfte fehlen. Für uns ist klar: Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland, weil wir schon aufgrund der Demografie diese Situation nicht alleine werden stemmen können. Viele Unternehmen setzen schon lange auf die Zusammenarbeit internationaler Teams. Auch Künstliche Intelligenz wird in Zukunft noch eine größere Rolle spielen: Hier gilt es, offen für Veränderung zu sein, den Nutzen für das eigene Unternehmen zu erkennen und sinnvoll anzuwenden. Arbeitnehmer sollten in Sachen KI geschult werden, um von dieser Technologie bestmöglich zu profitieren. Denn nicht KI wird die Arbeitsleistung von Menschen ersetzen, sondern andere Menschen, die diese effizienter einsetzen.


„Wir dürfen nicht in den Relax-Modus schalten.“


Immer häufiger hört man – nicht nur im angelaufenen Nationalratswahlkampf – die Forderung nach Reduzierung der Arbeitszeit. Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung halten dagegen und fordern mehr Leistungsbereitschaft. Macht man sich da nicht unbeliebt in Zeiten, wo Work-Life-Balance Hochkonjunktur hat?

Bei der Forderung nach der 32-Stunden-Woche fragt man sich schon: Wie soll sich das ausgehen, wenn alle nur 32 Stunden in der Woche arbeiten wollen? Die arbeitende Bevölkerung schrumpft, die Arbeitszeit wird weniger und die Sozialleistungen werden immer mehr! Wer soll den Sozialstaat finanzieren? Wer pflegt unsere Kranken am Wochenende, wer kocht in der Gastronomie? Das derzeit geltende Arbeitszeitgesetz gibt ausreichend Möglichkeiten, die Arbeitszeiten individuell anzupassen. Viele andere Staaten setzen auf Leistung und stärken ihre Wettbewerbsfähigkeit. Da dürfen wir nicht in den Relax-Modus schalten und an eine allgemeine 32-Stunden-Woche denken. Es braucht steuerliche Anreize, um Mehrarbeit attraktiv zu machen und die Menschen länger im Arbeitsprozess zu halten. Teilzeitarbeit, etwa aus familiären Gründen, muss natürlich möglich sein. Aber lange Teilzeitperioden und früher Pensionsantritt gehen mit geringeren Pensionen und einem geringeren Steueraufkommen einher.

Ist das Burgenland – im Unterschied zur längst vergangenen Phase der Förderungen als EU-Ziel-1-Gebiet – noch ein attraktiver Standort für Industriebetriebe?

Die EU-Förderungen haben es dem Burgenland ermöglicht, vom Land am Eisernen Vorhang wirtschaftlich an das reichere Westeuropa anzuschließen. Das waren damals gute finanzielle Anreize. Heute gilt es, ein wirtschaftsfreundliches Klima zu schaffen: weniger Bürokratie, optimale Infrastruktur, leistbare Energie, Verfügbarkeit von guten Arbeitskräften oder auch gute Angebote für Kinderbetreuung. Die Industrie hat im Burgenland eine beachtliche Bruttowertschöpfung von 28 Prozent. Verantwortungsbewusste Wirtschaftspolitik muss dafür sorgen, dass die heimische Industrie gute Rahmenbedingungen vorfindet.

Wie beurteilen Sie aus Sicht der Industrie die Landespolitik?

Der geforderte gesetzliche Mindestlohn ist ein absolutes No-go! Hier haben die Sozialpartner in bewährter Tradition jahrzehntelang gute Ergebnisse erzielt, und das muss so bleiben. Und mehr privat, weniger Staat muss wieder zum Credo werden!

Industrie im Burgenland

Unternehmen: 153
Bruttowertschöpfung (inkl. Bau und Energie): 28%
Sozialbeiträge des produzierenden Bereichs: 280 Mio. €
Unselbstständig Beschäftigte (im Sektor Herstellung von Waren): 14.7000

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert