Interview

Verena Dunst: „Mein persönliches Burgenland“

Das Jahr 2021 geht langsam zu Ende und es war in vielerlei Hinsicht ein herausforderndes. Für das Burgenland noch mehr, denn das östlichste Bundesland hat heuer sein hundertjähriges Jubiläum gefeiert. Landtagspräsidentin Verena Dunst ist – neben dem Landeshauptmann – nicht nur die höchste Repräsentantin des Burgenlandes, sondern auch dafür bekannt, dass sie bei jeder noch so kleinen Veranstaltung in ihrer Heimatregion, dem Südburgenland, anwesend ist und wohl jeden Winkel des Landes kennt.

Foto: Lexi

Sie waren von 2000 bis 2019 Landesrätin und haben mehr Ressorts geführt als sonst jemand. Als SPÖ-Politikerin waren Sie zum Schluss sogar für den normalerweise schwarzen Agrarbereich verantwortlich. Aber Sie haben Ihre politische Karriere in der Frauenpolitik gestartet. Sie waren Bezirksfrauenvorsitzende, elf Jahre lang Landesfrauenvorsitzende der SPÖ Burgenland. Reden wir über die Frauen des Burgenlandes. Ihre Mutter, 1934 geboren, war eine Feministin, wie Sie in einem Interview einmal sagten. Was war sie für eine Frau? War sie eine typische Burgenländerin?

Landtagspräsidentin Verena Dunst: Ich hab sie vor zwei Jahren verloren und sie fehlt mir jeden Tag. Meine Mutter war sehr intelligent, aber hatte damals keine Bildungschancen. Sie ist mit 21 in die Schweiz gegangen und hat dort Hilfsarbeiterjobs angenommen. Aber sie hat die Welt ein wenig kennengelernt. Sie hat meiner Schwester und mir schon mit dem Löffel eingeflößt, dass wir Matura und eine Ausbildung machen müssen. Wir haben als Arbeiterkinder beide studiert und haben beide nebenbei gearbeitet. Meine Mutter hat uns angetrieben und uns immer wieder gesagt, dass wir eine gute Ausbildung brauchen, um unabhängig und selbstständig zu sein. Für mein Leben in „meinem“ Burgenland war unsere Mutter ganz, ganz wichtig.

Sie waren Lehrerin und Direktorin der Polytechnischen Schule in Güssing. Sie waren auch Abgeordnete zum Nationalrat und in ihrer letzten Funktionsperiode (bis 1999) gehörten Sie unter anderem dem Unterrichtsausschuss an. Wie ist es mit der Bildung im Burgenland? Der frühere Landeshauptmann Theodor Kery hat das Burgenland sogar einmal als „Land der Schulschande“ bezeichnet. Unter Hans Niessl hat das Burgenland dann erstmals die höchste Maturantenquote im Bundesländervergleich erzielt. Wie war es, als Sie noch Lehrerin bzw. Direktorin der Polytechnischen Schule waren?

Ich bin natürlich eine Verfechterin dessen, was Kreisky möglich gemacht hat. Bildung schützt vor Abhängigkeit. Gerade Frauen. Arbeit hilft, um nicht in die Armutsfalle zu kommen. Bildung ist der Schlüssel zu vielem. Ich habe mich als Lehrerin für die Polytechnische Schule entschieden, weil ich hier jungen Menschen eine Chance geben konnte. Ich war dort mitten in vielen sozialen Fragen. Eine Bildungschance hat einer, der daheim unterstützt wird. Es gibt aber viele, die diese Unterstützung nicht haben. Mit denen habe ich gearbeitet. Wir haben im Burgenland vieles gut gemacht. Wir haben aber etwas vergessen: Wir haben zu sehr auf die Maturaquote gesetzt und haben ein wenig die Lehre außer Acht gelassen. Das war ein Fehler. Dazu stehe ich auch.

Wenn das Burgenland ein Schüler bzw. eine Schülerin wäre – was hätte es zu lernen?

Wir haben es geschafft, eine großartige Lebensqualität zu erreichen. Jetzt brauchen wir eine Absicherung für die Zukunft und dass wir das Burgenland so für die nächste Generation erhalten. Es gibt 75 Prozent der Bevölkerung, die sich das Leben leisten können. Wir dürfen aber die restlichen 25 Prozent nicht zurücklassen.

Die Wiener haben immer über uns Burgenländer gescherzt. Was sagen Sie als Landtagspräsidentin dazu? Haben wir genug Identitätsbewusstsein?

Ja und nein. Ich bekomme unzählige Einladungen, wo kleine Vereine „Wir sind 100“ feiern. Das heißt, diese „100 Jahre“ geben Stolz, Sicherheit und Courage. Aber – und das merke ich auch bei mir – wir sind als Burgenländer und Burgenländerinnen in Bescheidenheitswolle eingepackt. Wir sind nicht mehr das „Armenhaus Österreichs“. Bescheidenheit ist eine Zier, aber über diese Bescheidenheit sollten wir endlich hinauskommen.

Man sagt, der Wiener ist zwider. Er grantelt immer vor sich hin. Wie ist der Burgenländer?

Den typischen Burgenländer, die typische Burgenländerin gibt es aus meiner Sicht nicht, weil das Burgenland ein Land der Regionen ist. Aber was uns allen gemeinsam ist: Wir sind fleißig, haben Handschlagqualität, sind bescheiden – und gastfreundlich sind wir auch.

Welches Ereignis war für Sie in Ihrem persönlichen Burgenland das bedeutendste?

Da gibt es zwei Ereignisse. In meiner tollen, unbeschwerten Kindheit hat mich meine Mutter einmal vor die Wahl gestellt: Lesezirkel oder Fernsehen. Das ist mein Blick in die Vergangenheit, an dem man sieht, wie enorm sich das Burgenland entwickelt hat. 14 Tage habe ich als 10-jähriges Kind nicht schlafen können und habe mich dann – unsicher – aber letztlich für den Fernseher entschieden.

Das zweite Ereignis, das mich geprägt hat, war, als ich als junge Nationalrätin aus dem Burgenland die Wertschätzung der anderen gespürt habe. Man ist aus ganz Österreich auf mich zugekommen und man hat mir zu verstehen gegeben, dass das Burgenland ernst genommen wird.

Sie sind erst vor Kurzem Großmutter geworden. Wenn Ihre Enkelin sagen würde, „Oma, erzähl mir eine Geschichte über das Burgenland“, welche würden Sie ihr erzählen?

Ich rede mit ihr viel über das Burgenland, obwohl sie sehr klein ist. Sie lebt mit ihren Eltern in der Großstadt und wenn ich sie bei mir habe, erzähle ich ihr nicht nur viel von unserem Land, sondern zeige es ihr – und sage ihr immer wie toll es für sie ist, dass sie in Wien und im Burgenland aufwachsen kann.

Wo sind die Schattenseiten des Burgenlandes? Sie sind ja auch ehrenamtliche Präsidentin der Volkshilfe Burgenland und haben Einblick in den Alltag von Menschen, die mit wenig auskommen müssen. Wie ist die Armut im Burgenland?

Es gibt nicht nur das schöne Burgenland. Mir ist wichtig, dass wir die Geschichte des Burgenlandes aufarbeiten. Alleine was mit den Volksgruppen passiert ist – mit den Roma – ist schlimm. Man hätte viel verhindern können, wenn Menschen mehr Courage gehabt hätten, aber ich will nicht verurteilen, denn ich hab damals nicht gelebt.

Es gibt sie, die Armut. Wir haben an die 50.000 Menschen, die von Armut betroffen sind und dann gibt es noch eine Dunkelziffer. Viele wissen nicht, dass es Förderungen und Unterstützung gibt. Mir ist wichtig, dass sich die Menschen trauen, Hilfe anzunehmen. Viele scheitern beim Ausfüllen eines Förderantrages. Deshalb haben wir beispielsweise im Sozialmarkt auch jemanden, der den Menschen dabei hilft. Wir reden vom Umstieg auf neue Heizsysteme. Aber wie sollen sich das die Menschen leisten? Die können sich oft nicht selbst die Förderung abholen. Aber es gibt das soziale Burgenland. Wir können allen helfen. Aber wir müssen ihnen die Hand reichen. Und niemand soll sich genieren müssen, arm zu sein. Wir müssen die Menschen dort abholen.

Gibt es ein Feiern oder ein Innehalten für Sie, wo Sie ganz persönlich 100 Jahre Burgenland für sich feiern?

Ich habe diese Ereignisse täglich. Am meisten freue ich mich, wenn ich wo helfen kann und am meisten freue ich mich über die kleinen Veranstaltungen, wo wir das Land feiern und da trinke ich dann auch schon mal ein Glas Uhudler.

Welche Geburtstagswünsche haben Sie für unser Burgenland?

Ich habe nur einen Wunsch: Es möge den Menschen im Burgenland gutgehen.


Landtagspräsidentin Verena Dunst mit prima! Herausgeberin Nicole Mühl

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