Lebenswert

Covidivorce: Trennung nach Corona?

Die Corona-Krise und die damit verbundene Ausgangsbeschränkung war und ist nach wie vor eine enorme Herausforderung für Paare. Experten erwarten einen Anstieg der Scheidungsrate – oder eine Zunahme der Geburten. Beides ist möglich und wahrscheinlich.

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Aufgrund meiner langjährigen Tätigkeit als Paarberaterin sehe ich immer wieder, mit welchen Konflikten Beziehungen belastet sind. Die Probleme sind bei vielen dieselben. Andere wiederum sind ganz speziell und individuell. Aber eine Tatsache folgt einem immer wiederkehrenden Phänomen: Die größte Scheidungsrate ist im Herbst, nach dem Urlaub. Der Grund dafür ist einfach erklärt: In keiner Phase des gemeinsamen Zusammenlebens ist ein Paar so komprimiert aufeinander und so eng beisammen wie im Urlaub.

So ähnlich oder besser gesagt noch viel intensiver ist die Situation jetzt, durch Corona. Vielleicht ist es dem einen oder der anderen von Ihnen gelungen, die Ausgangsbeschränkung als eine Art Urlaub zu sehen. Aber das war sehr schwierig, denn dafür war die Zeit zu lange, und wir waren außerdem einer unsichtbaren Bedrohung ausgesetzt. Viele Menschen hatten und haben immer noch Angst. Nicht nur davor, krank zu werden, sondern oftmals sind es Existenzängste, die uns begleiten. Diese Angst engt uns ein und lässt unsere Gedanken um die wenigen Handlungsmöglichkeiten, die wir haben oder zu haben glauben, kreisen. Durch die Auswirkungen der Corona-Krise haben viele existenzielle und finanzielle Probleme. Auch, dass wir uns nicht so frei bewegen durften und zum Teil immer noch nicht dürfen, hat in uns Stress ausgelöst. Es ist jene Art von Stress, die uns unterschwellig atemlos macht.

Fakt ist: Wir befinden uns nach wie vor in einer Krisensituation, und davon betroffen ist auch die Paarbeziehung.

Zusammengeschweißt oder auseinandergerissen?

Krisen können Paare verbinden. Krisen können zusammenschweißen – quasi unter dem Motto: Wir schaffen das gemeinsam. Wir halten zusammen und stehen das durch. Wir helfen und unterstützen einander. Diese Paare leben in einer harmonischen, liebevollen Beziehung. Sie vertrauen aufeinander, sie reden miteinander und entwerfen gemeinsam Bewältigungsstrategien.

Aber es gibt auch die andere Seite. Es gib auch jene Paare, die die Krise trennt. Entweder gab es schon vorher Probleme, oder sie entstanden aufgrund der vorherrschenden Belastungen – mit den Kindern, dem Haushalt, weil es plötzlich zu viel Nähe zueinander durch die Ausgangsbeschränkungen gibt und weil man sich eben in einer völlig neuen und anderen Lebenssituation befindet. Die Konflikte, die vielleicht bereits vor der Corona-Krise da waren, zeigen sich nun verstärkt in dem stetigen Zusammensein. Das gegenseitige Misstrauen, das vorher schon da war, verstärkt sich nun noch mehr.

In jeder Beziehung gibt es Zeiten, in denen das Miteinander aus dem Gleichgewicht gerät

Eine gesunde Beziehung ist in Balance, wenn sich beide Partner gleichmäßig darum kümmern. Auch in Krisenzeiten. Beide tragen die Verantwortung für das Gelingen oder Scheitern. Oftmals erlebe ich aber, dass sich Paare gerne gegenseitig die Schuld an Konflikten zuschieben und erwarten, dass er bzw. sie in Aktion tritt. Aber es geht niemals um Schuld! Beide haben dazu beigetragen, dass die Situation so ist, wie sie eben ist. Wichtig ist, dass in einer Beziehung Balance herrscht.

Wie schafft man es, diese Balance in einer Beziehung zu halten?

Es gibt dazu vier Polaritäten, die dafür wichtig sind: Autonomie und Bindung, Durchsetzung und Anpassung, Nähe und Distanz, Geben und Nehmen.

Stellen Sie sich eine Waage mit Gewichten vor. Für die richtige Balance muss auf jeder Seite das gleiche Gewicht vorhanden sein – ansonsten kommt es zu einer Schieflage. Genauso ist es in einer Beziehung. Eine Beziehung, die nicht in Balance ist, fühlt sich irgendwann belastend an.
Natürlich fällt uns das nicht gleich auf. Im normalen Alltag kann eine Beziehung trotz Schieflage schon eine geraume Zeit funktionieren, bis sich die Unzufriedenheit bemerkbar macht. Wir sind ja durch unseren Alltag nicht permanent damit konfroniert, sondern haben „Ausweichmöglichkeiten“. Das war in Corona-Zeiten durch die Ausgangsbeschränkung nicht der Fall. Wir waren der Situation ausgesetzt und mussten uns damit konfrontieren. Wo also das Fundament schon vor Corona Risse hatte, kann es jetzt einbrechen.

Aber bedenken Sie: Jede Krise beinhaltet auch eine Chance. Die Corona-Krise hat vielleicht die Krise in Ihrer Partnerschaft verdeutlicht und aufgerissen. Aber nehmen Sie sich bewusst Zeit füreinander und rollen Sie Ihre Beziehung auf, bevor Sie lebensverändernde Schritte setzen.

Liebe in Zeiten nach Corona

Reden Sie miteinander und reden Sie über Ihre Probleme! Wenn es sich zu schmerzhaft oder zu reizgeladen anfühlt, dann gehen Sie einige Tage auf Distanz. Aber tun Sie dies mit einer bewussten Absicht. Das bedeutet: Machen Sie sich aus, wie lange diese Distanz dauern soll. Das ist wichtig, denn sonst kommt es zu weiteren Verletzungen. Aber dieser Abstand ist notwendig, damit es zu einer Entlastung kommt. Konflikte kosten Energie und sind enorm belastend.

Atmen Sie also durch, nehmen Sie sich Zeit für sich, tun Sie sich etwas Gutes und denken Sie in Ruhe darüber nach, was Sie beschäftigt und was Sie wollen! Nach dieser Zeit vereinbaren Sie wieder einen Gesprächstermin, und gehen Sie dann bewusst in die nächste Phase!

Gemeinsam Lösungen entwickeln

In diesem nächsten Schritt werfen Sie einen Blick zurück, wie Sie diese gemeinsame Krise gemeistert und erlebt haben und wie Sie sich gefühlt haben. Das gilt nicht nur für Corona. Das kann auch andere Krisen betreffen, die man gemeinsam erlebt hat. Reden Sie miteinander, wie Sie sich in der Beziehung momentan fühlen.

Aber hier gilt vor allem eine Regel: Jeder soll sich wertfrei in der ICH-Form mitteilen. Der andere hört aktiv zu und kann auch nachfragen. Aber machen Sie keine Schuldzuweisungen! Das ist wichtig, denn sonst eskaliert die Situation schnell. Entwerfen Sie gemeinsam schriftlich ein Arbeitsblatt, das jeder für sich selbst ausarbeitet. Erst danach treffen Sie sich zu einem weiteren Gespräch, um sich gegenseitig auszutauschen.

Das Arbeitsblatt als Wegweiser aus der Krise

Die wichtigsten Punkte, die Sie durcharbeiten sollten, sind:

1. Definieren Sie das Problem. Um was geht es genau? Das ist wichtig, damit Sie nicht aneinander vorbeireden!
Beschreiben Sie das Problem so konkret wie möglich. Aber bleiben Sie in der ICH-Form und machen Sie keine Schuldzuweisungen!

2. Sammeln Sie Lösungsmöglichkeiten. Aber auch hier gilt wieder: Bleiben Sie bei sich. Fragen Sie sich: Was kann ICH in Zukunft zur Lösung oder Erleichterung unseres Problems beitragen?

3. Überlegen Sie, was Sie sich von Ihrem Partner wünschen. Was sind Ihre Erwartungen an ihn oder sie. Gerade bei diesem Punkt gilt verstärkt, dass Sie Ihre Erwartungen als Wünsche formulieren. Vermeiden Sie den Begrifff Schuld.

4. Tauschen Sie sich aus und besprechen Sie Ihre Anliegen. Diskutieren Sie respektvoll die Lösungsvorschläge. Versuchen Sie, einander ausreden zu lassen und hören Sie genau hin, was Ihr Gegenüber sagt. Es geht nicht um Rechtfertigung oder Schuld! Es geht darum, den anderen zu verstehen.

Entscheiden Sie gemeinsam, was die besten Lösungsmöglichkeiten sind. Bedenken Sie: Beziehung funktioniert nicht von alleine. Beide müssen aktiv mitgestalten. Aber sollten Sie die Krise alleine nicht bewältigen, dann seien Sie mutig und holen Sie sich professionelle Unterstützung. Das ist bereits der erste Schritt in Richtung Lösung!


Silvia Messenlehner
Klinische Sexologin und Sexualtherapeutin

 

www.silviamessenlehner.at

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