Lebenswert

Die Schattenfrau

Affären kommen in glücklichen wie in unglücklichen Beziehungen vor. Eine Liebesaffäre erschafft neue Welten und ist reizvoll. Fremdgeher haben eine Sehnsucht in sich und suchen den Unterschied zur Alltagsbeziehung. Wenn eine Affäre auffliegt, ist die Gesellschaft jedoch immer schnell in ihrem Urteil. Schuld hat meistens die Frau.

„Die Schlampe hat meinen Mann verführt. Er hätte mich sonst nie betrogen.“ Das höre ich oft von Ehefrauen, die hinter die Affäre ihres Partners kommen. In den Augen der Gesellschaft ist die Frau (die Geliebte) die Schuldige. Der Mann scheint das wehrlose Opfer zu sein, der verführt wurde und sich nicht widersetzen konnte. Vor allem Frauen sind beim Urteil erbarmungslos. Dabei wäre gerade auch für sie ein schonungsloser Blick auf die Beziehung für die weitere Entwicklung wichtig.

Dafür braucht es zunächst den Blick auf das „Warum“ einer Affäre. Sex mit dem Liebhaber oder mit der Geliebten ist meist besser als mit dem eigenen Ehepartner bzw. der Ehepartnerin. Das erleben fast alle Fremdgeher*innen und das ist auch keine Kunst. Alles wirkt neu, geheim, aufregend und mit ungewisser Zukunft. Die Erotik hat ein günstiges Umfeld. Die Liebespartner bauen sich eine Nische mit einer eigenen Ordnung und mit eigenen Ritualen. Das macht sie so besonders, aber auch zum Gefängnis (meist für die Geliebte). Alles muss im Geheimen ablaufen.

Verantwortung

Paarbeziehungen basieren auf einem Beziehungsvertrag, der Treue, Loyalität und Vertrauen beinhaltet. Das ist eine Verpflichtung gegenüber seinem Partner bzw. seiner Partnerin. Die Entscheidung fremdzugehen, liegt immer in der Verantwortung der beiden Partner. Er bzw. sie trifft die bewusste Entscheidung, den Ehehafen zu verlassen und den Partner zu betrügen. Die Geliebte hat diese Verantwortung nicht. Die moralischen Bedenken – weil sie in ein bestehendes Familiensystem einwirkt – sind bei manchen vorhanden und Ausdruck einer Haltung und Wertvorstellung. Den Betrug selbst hat sie jedoch nicht ausgeführt. Sie hat als Geliebte einem anderen „Vertrag“ zugestimmt.

Der Geliebten-Vertrag

Die Gründe, warum sich Frauen – manches Mal jahrelang – darauf einlassen, ein Leben im Schatten zu führen, sind unterschiedlich. Manche entfliehen einer erkalteten Ehe, andere wollen unverbindlichen Sex, manche verlieben sich. Oft sind die Affären nur kurzzeitig. Aber es gibt auch dauerhafte Schattenbeziehungen. Eine Geliebte nimmt den zweiten Platz ein. Sie hat keine Ansprüche, Rechte oder Verbindlichkeiten und das trotz oftmals intensiver Gefühle. Dieser Zustand der Freiheit hat Vor- und Nachteile. Wer sich aus Liebe auf dieses Spiel einlässt, in der Hoffnung, dass aus der Affäre eine ernste Beziehung wird, wird in der Regel einen schmerzhaften Weg zurücklegen.

Manche Ehen enden aufgrund einer Affäre. Und manche Affären enden auch mit einer Ehe. Wie es ausgeht, kann niemand vorhersagen. Um aber eine klare Entscheidung treffen zu können, müssen Sehnsüchte klar vom Ist-Zustand getrennt werden. Für eine solche Erkenntnis gibt es professionelle Begleitung. Niemand muss da alleine durch. Erst wenn der Blick schonungslos ehrlich ist, kann auch ein schwieriger und schmerzhafter Weg begehbar sein – mit neuen Chancen für alle.


 

Silvia Messenlehner,
Klinische Sexologin und Sexualtherapeutin

www.silviamessenlehner.at


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