Lebenswert

Eine Frage der Häufigkeit

Wie viel Sex ist normal? Diese Frage haben Sie sich doch auch schon mal gestellt, oder? Was ist die Norm – vor allem in langjährigen Beziehungen? Die leidenschaftlichen Anfangszeiten des Verliebtseins werden oft herbeigesehnt. Doch mit den Jahren ist das Bedürfnis weniger geworden und Sie fragen sich: Wie oft ist normal?

Wenn Sie regelmäßig meine Kolumne lesen, dann kennen Sie die Antwort auf die Frage „Wie viel Sex ist normal?“ sicherlich bereits. Denn mein oberstes Credo gilt auch hier: SIE sind die Norm. Eine allgemein gültige gibt es nicht. Jeder Mensch ist individuell und einzigartig und seine Beziehung entspricht den jeweiligen Bedürfnissen der beiden Partner*innen. Wichtig ist, dass beide in ihren Wünschen und Vorstellungen konform gehen. Wenn dies nicht der Fall ist und Ihre Bedürfnisse zu denen Ihres Partners bzw. Ihrer Partnerin unterschiedlich sind, dann kommt es zu einer Schieflage. Das wiederum kann zu einem Machtkampf und zu Konflikten führen. Die Antwort kann also nur lauten: Haben Sie so oft oder so wenig Sex, wie Sie und Ihr*e Partner*in es wollen.

Aus der Praxis

Die meisten Paare, die mit diesem Thema zu mir zur Beratung kommen, haben eine bestimmte Vorstellung von Normalität. Sie wünschen sich die Intensität und die Leidenschaft der ersten Verliebtheitsphase zurück. Diese Phase sehen sie als „normal“ an. Doch die Sexualität hat sich im Laufe der Jahre verändert, wenn nicht sogar verabschiedet. Das führt dazu, dass sich viele nicht mehr begehrenswert fühlen und sich hinterfragen. Vor allem Frauen neigen dazu.

Die Sexualität in der ersten Beziehungsphase ist wie eine Droge, sie ist wie ein Suchtmittel, von dem man nicht genug bekommt. Eigentlich ist dies ein Ausnahmezustand und zum Glück hält diese Intensität nicht ewig an, denn so manches Paar wäre überfordert.

Gerhard und Melitta kommen mit diesem Thema zur Paarberatung. 18 Jahre führen die beiden bereits eine Beziehung und stellen sich immer wieder die Frage, ob sie nicht mehr Sex haben sollten. Immerhin waren sie sehr lange sexuell aktiv. Aber dann kehrte auch bei ihnen der Alltag ein.

Der Sex wurde immer weniger. Stillstand schlich sich ein. Melitta führte es zuerst auf sich zurück. Sie dachte, dass sie für ihren Partner nicht mehr begehrenswert ist. Sie wartete auf ein Zeichen von Gerhard. Und was tat dieser? Dasselbe! Auch er wartete darauf, dass seine Partnerin aktiv wird. Keiner sprach das Thema an. Melitta erkannte dass sie sich auf genitaler Ebene immer mehr voneinander entfernten. Das beunruhigte sie. Die wenigen sexuellen Begegnungen sind lustvoll, aber sie wünscht sich mehr davon.

So wie Melitta und Gerhard geht es vielen Paaren. Sie haben eine bestimmte Vorstellung von dem, was normal ist und legen sich einen enormen Druck auf. Keiner will das Thema ansprechen. Und bei vielen Paaren stelle ich fest, dass sie auf der emotionalen Ebene sehr miteinander verbunden sind. Sie pflegen einen liebevollen, respektvollen Umgang miteinander. Sie haben viele Gemeinsamkeiten und Hobbys. Sie liebkosen, umarmen und streicheln einander regelmäßig und bezeichnen ihre Beziehung als harmonisch. Gerade diese permanente Nähe kann ein Sex- und Lustkiller sein. Aber wenn es für beide so passt, dann ist dies gut so und beide sollten aufhören, die Häufigkeit zu hinterfragen. Wenn der Wunsch nach mehr jedoch da ist, dann sollten Sie diesen Wunsch aussprechen. Sex ist ein wesentlicher Bestandteil einer Beziehung und spiegelt auch Schieflagen wider. Da genau hinzuschauen, zahlt sich aus. Eine Beziehung erfordert immer wieder den Mut, über die eigenen Grenzen hinauszugehen und Dinge zu thematisieren, die man lieber unter den Teppich kehrt. Mit einer „Es ist halt so“- oder „Es wird schon wieder anders werden“-Mentalität kommen Sie mit Sicherheit nicht weiter. Und bedenken Sie, es gibt Experten, die beiden Partner*innen bei der Findung ihrer Bedürfnisse zur Seite stehen.

www.silviamessenlehner.at


Silvia Messenlehner
Klinische Sexologin und Sexualtherapeutin
www.silviamessenlehner.at

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