Interview

Gewalt ist nicht Privatsache

Schlagzeilen, die zutiefst wehtun: Seit Jahresbeginn sind in Österreich bis Anfang Mai elf Frauen von Partnern, Expartnern oder Bekannten ermordet worden. Die Politik verspricht nicht zum ersten Mal, die Mittel für Gewaltschutz zu erhöhen. Expert*innen fordern ein neues Verständnis von Mann-Sein. In Internetforen gehen die Wogen hoch. Der Umgang mit Gewalt in Partnerschaften und Familien ist für die Männerberatung herausfordernder Alltag. In den Bezirken Oberwart, Güssing, Jennersdorf und Hartberg-Fürstenfeld bietet das Team der Männerberatung Steiermark Hilfe, Unterstützung und Therapie für Männer in Krisen. Journalist Walter Reiss im Gespräch mit Männerberater Mag. Robert Gamel.

Foto: Walter Reiss

Damit Gewalt an Frauen im Vorfeld verhindert wird: Unterstützung und Therapie für Männer bietet das Team der Männerberatung Steiermark. Mag. Robert Gamel ist einer der Berater

 

Wird Ihrer Meinung nach diese Gewalt- und Mordserie weitergehen?

Robert Gamel: Eine schwierig zu beantwortende Frage. Diese furchtbaren und dramatischen Taten, die medial bekannt werden, bewirken ein Gefühl der Ohnmacht. Für jene, die sich in ihrer Arbeit um die Opfer kümmern, aber auch für uns in der Täterarbeit sind diese Daten und Taten leider nichts Neues. Was nun medial bekannt wird, wirft das Licht auf das Thema Gewalt, das es ohnehin kontinuierlich gibt.

Das Gewaltschutzzentrum Burgenland berichtet von einem Anstieg der Gewaltbereitschaft in Zeiten der Lockdowns und dass die Hochrisikofälle zunehmen. Ist das auch Ihre Beobachtung?

Robert Gamel: Ja. Gewalt entsteht in Drucksituationen. Wenn das Verhältnis der Partner angespannt ist und wirtschaftliche Probleme und Arbeitslosigkeit dazukommen, kann das dazu beitragen, dass Gewalt zunimmt. Im ersten Lockdown vor einem Jahr waren wir überrascht über relativ wenig Anfragen. Ich vermute, dass man mit den Problemen gar nicht nach außen gehen wollte und man nicht wusste, welche Möglichkeiten der Hilfe es überhaupt gibt. Zum Beispiel im Fall der Wegweisung eines gewalttätig gewordenen Mannes: Wohin geht man dann im Lockdown?

Chronisch unterfinanziert

Die Bundesregierung hat auf die Frauenmorde – wieder einmal – reagiert: Zuerst mit Hinweisen auf Maßnahmen, die es ohnehin schon gibt und dann im zweiten Anlauf unter Einbindung betroffener Institutionen mit einem Plus an etwa 26 Millionen Euro für Gewaltschutz und Prävention. Frauenorganisationen hatten 228 Millionen Euro gefordert. Leiden auch Männerberatung und Täterarbeit unter chronischem Geldmangel?

Robert Gamel: Ja. Professioneller Opferschutz bedeutet hohen Aufwand. Das gilt auch für die Täterarbeit. So etwas ist kein Wochenendseminar, sondern es geht um längerfristige therapeutische Prozesse. Männerberatung und Betreuungseinrichtungen sind chronisch unterfinanziert.

Was benötigen Sie am dringendsten? Geld, gut ausgebildetes Personal?

Robert Gamel: Beides. Wir brauchen erfahrene Mitarbeiter*innen in Sozialarbeit und Psychotherapie. Gerade im Umgang mit Gewalt braucht es professionelle Helfer*innen und intensive Vernetzung mit Gewaltschutzzentren und Frauenberatungsstellen. Voraussetzung dafür ist natürlich ausreichend Geld.

Männlichkeitsforscher sind sich einig darüber, dass eine der Ursachen männlicher Gewalt in traditionellen Rollenbildern liegt: Männer als dominante, durchsetzungsstarke Wesen, die als „Indianer“ keinen Schmerz spüren und keine Gefühle zeigen dürfen. „Waschlappen“, „Weicheier“ und „Loser“ haben keinen Platz in dieser maskulinen Hackordnung. Gilt das nach wie vor?

Robert Gamel: Das kann man nicht pauschal so sagen. Aber jene Männer, die wegen Gewalt zu uns kommen, haben häufig ein sehr patriarchales, traditionelles Männerbild. Das führt zwar nicht zwingend zu Gewalt, aber wenn ich als Mann so geprägt wurde, dass ich immer das Heft in der Hand haben und über andere dominant sein muss, dann gefährdet es meine Identität, wenn es mal nicht so ist. Mit drastischer Gewalt wird dann versucht, die verlorene Kontrolle wieder zu bekommen.

Ein erster und wichtiger Schritt

Kann Antigewalttherapie überhaupt etwas bewirken, wenn sie amtlich angeordnet wird?

Robert Gamel: Wenn jemand Gewalt ausgeübt hat und dafür gerichtlich verurteilt und in eine verordnete Therapie geschickt wird, dann kann diese Maßnahme schon gelingen. Erstmals können Betroffene über ihre negativen Erfahrungen reden. Am besten funktioniert die Therapie, wenn jemand selbst erkennt, dass er andere schädigt und sagt: Ich schäme mich dafür und erkenne, dass ich selbst da nicht rauskomme. Wer schafft es schon, einem Freund oder Arbeitskollegen zu erzählen, dass man die Partnerin oder das Kind verletzt hat? Wenn es Männern gelingt, so etwas zuzugeben, sehe ich das nicht als Schwäche, sondern als beeindruckende Stärke. Damit ist nämlich schon ein erster und wichtiger Schritt getan.

Was ist der Unterschied zwischen Beratung und Therapie?

Robert Gamel: Das ist eine sehr gute Frage. Psychotherapie ist eine Heilbehandlung, durchgeführt von hochqualifizierten Expert*innen mit großer Selbsterfahrung. Beratung erfolgt je nach Thema und Problemlage durch Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen, Lebensberater*innen.

Anonymität als Schutz

In Dörfern und kleinen Städten, wo jeder fast jeden kennt, wird der Schritt zur Beratung wohl erst getan, wenn man beim Aufsuchen der Beratungsstelle nicht gleich erkannt wird …

Robert Gamel: Einem Teil der Männer fällt dieser Schritt sehr schwer. Besonders wenn sie aus kleinen Orten kommen, wollen sie unbedingt anonym bleiben, damit der Nachbar oder Arbeitskollege nicht mitbekommen, dass sie eine Beratungsstelle aufsuchen. Es ist also durchaus möglich, in einen anderen Bezirk zur Beratung zu kommen. Wenn also jemand z. B. aus Oberwart lieber nach Hartberg kommen möchte, ist das ok. Dort befindet sich die Männerberatung im selben Gebäude wie das Finanzamt. Ein Besuch bei uns fällt da nicht wirklich auf.

Noch vor Jahrzehnten hat die öffentliche Meinung gelautet: So etwas wie Gewalt in der Familie gibt es nicht. Männer schlagen ihre Frauen nicht. Und „bei uns im Burgenland“ schon gar nicht…

Robert Gamel: Es ist oft erschütternd zu sehen, welche oft jahrzehntelange Vorgeschichte viele Gewaltfälle in Partnerschaft und Familie haben. Wenn Gewalt passiert, darf das nicht mehr Privatsache sein. Es geht immer mehr darum, Menschen vor Gewalt zu schützen und sich dann an die entsprechenden Stellen zu wenden. Es hat sich hier einiges gebessert: Bei Hausärzt*innen, in Kindergärten und Schulen ist die Aufmerksamkeit gestiegen.

Was sagen Sie zum oft hitzig diskutierten Aspekt, Gewalt in der Familie und insbesondere gegen Frauen sei aus anderen Kulturen importiert?

Robert Gamel: Das hat zwei Seiten: Wenn man die Kriminalitätsstatistik anschaut, dann sind migrantische Männer im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung überrepräsentiert. Bei Femiziden geht es aber nicht um Migrationshintergrund, sondern um die da wie dort gleichen patriarchalen Strukturen, um Macht und Dominanz.

Aus Schwäche wird Stärke

Wenn nun ein gewalttätig gewordener Mann zu Ihnen kommt: Können Sie auf Grund Ihrer Erfahrung erkennen, ob und wie rasch er wieder ausrasten wird?

Robert Gamel: Je nach Fall wird eine psychologische Diagnose und damit eine Einschätzung des Risikos erstellt. Da könnte etwa herauskommen, dass laut Test der betroffene Mann in einer großen Gruppe von Männern mit 20-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein neues Gewaltdelikt verüben wird. Derartige Einschätzungen teilen wir in Zusammenarbeit mit Opferschutzeinrichtungen wie dem Gewaltschutzzentrum. Risikoprognosen sind immer sehr individuell zu machen.

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, durch Ihre Arbeit den einen oder anderen Frauenmord verhindert zu haben?

Robert Gamel: So eindeutig kann ich das nicht sagen. Aber es gibt schon Fälle, in denen es in einem längeren Prozess gelingt, eine Krise zu überwinden und das Gewaltrisiko dann nicht mehr gegeben ist. Jene Männer, die zu uns kommen, übernehmen Verantwortung und haben aus ihrer vermeintlichen Schwäche eine Stärke gemacht.

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Männerberatung / Fachstelle für Gewaltarbeit

www.maennerberatung.at

Terminvereinbarung:
0316-831414
beratung@maennerberatung.at

7400 Oberwart,
Wiener Straße 4

7540 Güssing,
Dammstraße 6 (Praxis Mag. Stangl)

8380 Jennersdorf,
Hauptstraße 2 (Praxis Dr. Rauter)

8230 Hartberg,
Rotkreuzplatz 2/DG.1

Frauenhelpline

Die Frauenhelpline gegen Gewalt unterstützt alle Frauen, die von Männergewalt betroffen oder bedroht sind sowie alle Personen aus dem Umfeld der Betroffenen.

0800 222 555


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