Reportage

Friedhoferlebnisse – Eindrücke einer Wienerin, die in Stinatz ein Haus gekauft hat.

Foto: Lexi

Der Friedhof in Stinatz.

 

Gleich vorweg, ich bin Neu-Burgenländerin. Genauer gesagt Neu-Südburgenländerin. Vor einem Jahr habe ich mir ein kleines, altes Häuschen im kroatischen Stinatz gekauft. Neue Kulturen kennenzulernen, habe ich immer schon interessant gefunden. Und das noch dazu im eigenen Land, welch glückliche Fügung.

Ich habe noch nie Haus an Haus mit solch freundlichen Leuten gelebt wie im 1.558 Seelen zählenden Dorf Stinatz. Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft, man spricht noch immer fast so kroatisch wie am Ende des 17. Jahrhunderts, mit Adaptierungen an das Deutsche, aber Angst vor dem Fremden gibt es hier nicht. Warum sollte es auch, ist man doch eine Oase des Altkroatischen im Land Österreich und dessen selbstverständlicher Teil.

Vor Kurzem bin ich durch Stinatz gefahren und wurde von einem langen Zug schwarz gekleideter und sich bedächtigen Schrittes fortbewegender Menschen aufgehalten. Ein Trauerzug, der sich von der Kirche zum Friedhof geschoben hat. Sicherlich eine wichtige Persönlichkeit, dachte ich. Ich habe Herrn Grandits – hier heißen die Menschen Grandits, Kirisits oder Zsivkovits, die meisten zumindest und das teilweise ohne verwandt miteinander zu sein – gefragt, ob der Mensch um den man trauert, eine wichtige Persönlichkeit war? Hier sind alle wichtig! Es gibt in Stinatz niemanden, der unwichtig ist, habe ich gelernt. Ob ich irgendwann, in ein paar Jahren auch zu den Wichtigen gehören werde? Ich habe mir eindeutig den richtigen Ort ausgesucht.

In anderen Teilen Österreichs trauert man sicherlich auch um seine Lieben, wenn sie sterben, in Stinatz aber intensiver. Die verstorbene Person wird in der Leichenhalle aufgebahrt, Angehörige, Verwandte und Bekannte, ja eigentlich der Großteil des Dorfes, verabschieden sich. Man betet eineinhalb Stunden, das allerdings in Etappen, denn so viele Menschen haben in der Aufbahrungshalle nicht Platz.

Früher ist das im Haus des Verstorbenen geschehen und hat drei Tage gedauert. Fernseher, Radio, Spiegeln sind mit schwarzem Tuch mit weißen Punkten abgedeckt worden, die Lebenden haben sich jammernd verabschiedet und mangels Kühlung hat der Verstorbene zu riechen angefangen, das hat man mit einem Wunder-Baum mit Tannengeruch gedämpft. Manch Hinterbliebene ist von diesem morbiden Geruch ein Leben lang verfolgt worden. Selbstverständlich war man schwarz gekleidet, das mindestens drei Jahre, Witwen oft bis ans Lebensende. Heute nimmt man das nicht mehr so genau, aber mindestens ein Jahr hat man in Trauer zu gehen.

Doch das soziale Leben lässt sich auch schwarz gekleidet gut fortsetzen. In Stinatz gibt es fünf halbwegs gutgehende Gasthäuser, man sieht immer wieder kleine Grüppchen lachend und sich unterhaltend in dem einen oder anderen, aber der eigentliche Treffpunkt der Bevölkerung ist der Friedhof. Wenn man nicht gerade in einer anderen Stadt wie Wien oder Graz arbeitet, geht man täglich, und wenn man nicht ganz so viel Zeit aufwenden will, mindestens zweimal wöchentlich, auf den Friedhof. Das Grab muss gepflegt werden. Es prangen wunderbare, meist zwei Meter breite und dementsprechend hohe Grabsteine aus teurem Stein am Gedenkplatz des Verstorbenen und wachen über dessen Ruhe. Man gibt mindestens 10.000 Euro, meist viel mehr, für den Granit oder Marmor mit aufwendigen Verzierungen am Gedenkplatz des Verstorbenen aus.

Besonders viel Ruhe haben sie allerdings nicht, die Toten, dafür mehr Aufmerksamkeit. Die Gräber werden gehegt und gepflegt. Nach jedem Regenguss müssen die unschönen Tropfen, nach jedem Wind die Blütenblätter oder der Saharastaub weggeputzt, die Grabeinfassung aufpoliert, der teure Grabstein gewienert und die Blumen gezupft werden. Man sieht Männer und Frauen mit großen Behältern voller Pflegemitteln den Friedhof betreten. In der dunkleren Jahreszeit werden täglich Kerzen angezündet.

Zu Allerheiligen, scherzen die Stinatzer, brennt der Friedhof, so sieht es zumindest von weitem aus. Ja, zu Allerheiligen ist besonders viel los am Stinatzer Friedhof. Da werden die gut gepflegten Gräber noch mehr aufgehübscht. Wunderschöne Blumenarrangements gesetzt oder gebracht, das Grab auf Hochglanz poliert und vor allem geht man nach dem Mittagessen zur Ruhestätte und verbringt seine Zeit dort, egal ob es kalt, nass, oder sonnig ist, bis zum Abend. Um 18 Uhr werden die Gräber feierlich gesegnet. Es ist nicht langweilig, denn ganz Stinatz, auch die fortgezogenen Stinatzer treffen sich am Friedhof. Ein Treffen mit den Lebenden und Verstorbenen in angeregter, feierlicher Runde.

Ich als Neustinatzerin lebe in einem Gewissenskonflikt. Natürlich ist auch meine Familie in Wien zu Allerheiligen am Friedhof, legt sein Bouquet hin, hält kurz inne und geht danach zum Heurigen. Aber dieses Jahr möchte ich doch auch den feierlich brennenden Friedhof in Stinatz sehen.



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