Reportage

Obdachlos

Ein Zuhause, Geborgenheit, genügend zu essen, soziale Zugehörigkeit und erholsamer Schlaf zählen zu den Grundbedürfnissen eines Menschen. Ein Großteil der Gesellschaft kann darüber hinaus noch viel mehr an Bedürfnissen verwirklichen. Vom Leben im Überfluss ist sogar oft die Rede. Doch viele Menschen sind nicht in dieser privilegierten Situation. Und manche haben so gut wie nichts. Die Thematik der Obdachlosigkeit wird oft der Großstadt zugeschrieben. Aber auch am Land gibt es Betroffene, obgleich sie weniger sichtbar sind.

Foto: Eva Maria Kamper

Stolz zeigt Markus R. (Name von der Redaktion geändert) das Bild seiner wenigen Monate alten Tochter am Smartphone, hält kurz inne und lächelt. Aber es ist ein trauriges Lächeln. Man muss nicht Gedanken lesen können um zu wissen, dass er jetzt gerne wo anders wäre.

Aber Markus R. befindet sich in der Notschlafstelle der Caritas in Oberwart. Einer Zufluchts- und Auffangstelle für Männer, die plötzlich das Dach über dem Kopf verloren haben und kurzfristig eine Bleibe brauchen. „Es ist nicht das erste Mal, dass ich komplett auf der Straße stehe“, spricht Markus R. leise. Vor einigen Jahren hätte ihn bereits in Wien das gleiche Schicksal ereilt.

Steiniger Weg

Schicksal ist das Schlagwort in der Lebensgeschichte von Markus R. Das hat es nämlich von Beginn an nicht gut gemeint mit ihm. Seine früheste Kindheitserinnerung ist eine herzzerreißende Szene, als er als vierjähriger Bub zusammen mit der sechsjährigen Schwester von Polizisten auf der Gasse aufgelesen wurde, da sie verängstigt aus der Wohnung geflohen sind, weg vom betrunkenen, gewalttätigen Vater.

Danach folgten Jahre der Kindheit, in denen er wie ein unliebsames Haustier zwischen Kinderheimen und entfernten Verwandten weitergereicht wurde, wie er selbst beschreibt. „Ich hatte nie einen Platz oder ein Zuhause, wo ich mich wohlfühlen konnte. Mein Onkel hat mir auch immer ins Gesicht gesagt, dass ich hier unerwünscht bin.“

Mit dieser traurigen Ausgangslage hat sich Markus R. auch in Jugendjahren nicht mit einer Schul- oder Berufsausbildung den Weg in eine bessere Zukunft verwirklichen können. Mit Gelegenheitsjobs hielt er sich über Wasser, lebte in den Tag hinein, aber immer wieder wäre er in die falsche Gesellschaft gekommen. „Ich war immer zu gutmütig, hab meinen vermeintlichen Freunden Geld geborgt, das ich dann nie wieder gesehen hab“, schildert der mittlerweile 45-jährige Mann die Enttäuschungen, die ihm wiederfahren sind und die auch in der Liebe keinen besseren Verlauf hatten. Ungern erinnert er sich an das erste Mal, wo er komplett pleite und sogleich obdachlos wurde, und im Auto wohnen musste. Und später in einer Wiener Notschlafstelle der Caritas untergekommen ist. „Aber es war klirrend kalter Winter und man musste in Wien zwischen 10 und 19 Uhr die Notschlafstelle verlassen“, beschreibt er diese dunkle Lebensphase.

„Ein Wunsch? Glücklich sein!“

Und das blieb auch alles nicht ohne Folgen. Die kindlichen Gewalt- und Missbrauchserfahrungen sowie der ständige soziale Überlebenskampf bis ins Erwachsenalter zollten irgendwann ihren Tribut. Insgesamt drei missglückte Selbstmordversuche habe er bereits hinter sich. Zu schwer würde die Vergangenheit auf seinen Schultern lasten, zu oft sei jeder Versuch für einen Neustart gescheitert. Körperlich quält ihn eine schwere Schuppenflechte, psychisch macht ihm die diagnostizierte, sogenannte „posttraumatische Belastungsstörung“ zu schaffen, aufgrund der es Markus R. auch schwer fällt, für längere Zeit einem Job nachgehen zu können. Auch unter vielen Menschen oder in engen Räumen, wie in öffentlichen Verkehrsmitteln, bekommt Markus R. schlimme Panikattacken. Finanziell lebt er von der Vollwaisenpension und der Heimopferrente, die ihm nachträglich zugesprochen wurden. Auf die Frage nach seinem größten Wunsch, antwortet er: „Glücklich sein“, senkt den Blick und schweigt. Und dabei hat der letzte Versuch auf einen Neustart sehr vielversprechend gewirkt. Er hatte eine neue Partnerin gefunden, mit der er sogar eine Tochter bekommen hat. Doch der Traum vom gemeinsamen Familienleben ist vorerst auf Eis gelegt, zu viele Herausforderungen sind derzeit noch im gesamten Umfeld zu meistern.

Zuflucht Notschlafstelle

So hat Markus R. in der Notschlafstelle in Oberwart vorübergehend eine Bleibe gefunden. Hier hat die Caritas eine Möglichkeit geschaffen, dass volljährige österreichische Männer, mit bisherigem Wohnsitz im Burgenland, in einer schlimmen sozialen Situation die nötige Hilfe bekommen, um baldigst wieder Fuß fassen zu können. Im vergangenen Jahr konnten 78 Menschen aufgrund der Caritas Nothilfe und Sozialberatung vor Delogierung und akuter Wohnungslosigkeit bewahrt werden. Zusätzlich fanden 57 Menschen Unterkunft und Betreuung in den Caritas Obdachloseneinrichtungen in Eisenstadt und Oberwart. „Bis zu sechs Männer können wir gleichzeitig aufnehmen, und das bis zu einer maximalen Dauer von sechs Monaten pro Bewohner“, beschreibt der Leiter der Notschlafstelle, Pascal Steiner, der dieses temporäre Zuhause der Obdachlosen betreut. Und dabei geht es nicht nur um ein Dach über dem Kopf, sondern auch um eine individuelle Betreuung jedes Einzelnen, damit die nötigen Schritte für einen Neuanfang getätigt werden können. „Ich erlebe oft die völlige Resignation. Die Männer sind beispielsweise konfrontiert mit Bergen von ungeöffneten Mahnbriefen. Wir setzen uns dann zusammen und erarbeiten eine Struktur, wie diese aussichtslos erscheinende Situation gemeistert werden kann.“

Auch das bevorstehende Familienfest Weihnachten wird in der Notschlafstelle gefeiert. Mit Hilfe von Sponsoren und Unterstützung von Privatpersonen wird Heilig Abend hier mit einem Weihnachtsessen und kleinen Geschenken gefeiert. Und in besinnlicher Stimmung viel an Optimismus und Zuversicht geteilt. „Viele schaffen den Weg zurück“, erzählt der langjährige Sozialbetreuer. Und Grund zur Hoffnung gibt es immer. Auch Markus R. hat eine positive Nachricht erhalten und darf in wenigen Wochen in eine eigene Wohnung ziehen, die über das Caritas Projekt „Zuhause ankommen“ vermittelt wurde. Ein Neuanfang, der ihm diesmal gelingen möge.

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Kältetelefon Burgenland

Wenn die Temperaturen sinken und die Lage der Menschen ohne Obdach lebensgefährlich wird, geht bei der Caritas Burgenland das Kältetelefon voll in Betrieb. Hier kann man anrufen, um Informationen über das nächstgelegene Notquartier der Caritas zu erhalten. Wenn Sie den Schlafplatz eines obdachlosen Menschen bemerken und rasche, unkomplizierte Hilfe nötig ist, rufen Sie bitte das Caritas Kältetelefon an.

Das Kältetelefon der Caritas Burgenland ist zwischen November und März täglich von 8–22 Uhr für Obdachlose erreichbar:

Kältetelefon-Nummer 0676 837 303 22

Die Caritas Notschlafstelle Oberwart wird vom Land Burgenland kofinanziert.

Spendenkonto „Notschlafstelle“ Raiffeisenlandesbank Burgenland. IBAN: AT34 3300 0000 0100 0652


Caritas-Kältetelefon Graz

Das Caritas-Kältetelefon für Graz ist jeden Winter von 15. November bis 31. März erreichbar. Wenn es draußen kälter wird, ist die Not, kein Bett im Warmen zu haben, besonders groß – unter 0676 88015 8111 hilft das Kältetelefon weiter. Wer in Graz den Schlafplatz eines obdachlosen Menschen bemerkt und rasch und unkompliziert helfen möchte, kann deshalb von 15. November bis 31. März täglich von 18 bis 24 Uhr das Caritas-Kältetelefon für Graz unter folgender Nummer anrufen:

Kältetelefon-Nummer 0676 88015 8111

Das ehrenamtliche Team des Caritas-Kältetelefons nimmt dann unter Berücksichtigung der Covid-19 Vorgaben Kontakt zu dem/der Obdachlosen auf und bringt ihn/sie in einer Notschlafstelle unter. Personen, die eine Unterbringung gemeinsam mit anderen Menschen ablehnen, erhalten als Not-Paket einen warmen Schlafsack, eine Decke und eine Jacke. Zudem werden Betroffene mit warmem Tee versorgt.

In akut lebensbedrohlichen Situationen oder bei Gesundheitsgefährdung wählen Sie bitte unbedingt die 144 und verständigen die Rettung.

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