Terror, Schock und Wendepunkt

5. Feber 1995: Die Republik steht unter Schock. Eine heimtückische Sprengfalle tötet vier Männer aus der Romasiedlung in Oberwart. Drei Jahrzehnte später erinnert sich „prima!“-Redakteur Walter Reiss an den rassistisch motivierten Mord. Er war als erster ORF-Reporter am Tatort und war auch TV-Berichterstatter vom Prozess gegen den 1999 als Täter verurteilten Franz Fuchs. Der durch sein skurriles Geschrei im Gerichtssaal auffällige Fuchs beging 2000 im Gefängnis Selbstmord.

Walter REISS / 29. Jänner 2025

In der Nacht vom 4. auf 5. Februar 1995 wurden in Oberwart durch einen terroristischen Anschlag vier Mitglieder der Roma-Gemeinschaft brutal ermordet: Erwin und Karl Horvath, Josef Simon und Peter Sarközi. Die Männer wurden durch eine Sprengfalle des Rechtsextremisten Franz Fuchs getötet, die als mutmaßliches Warnschild „Roma zurück nach Indien“ getarnt war. Das Bild zeigt die vier Opfer in einem privaten Moment – eine Erinnerung an das Leben, das ihnen genommen wurde.

Die folgenden Ausführungen sind die aktualisierte Kurzfassung eines Beitrages von Walter Reiss im 2015 erschienenen Buch „Das Attentat von Oberwart“.

Nähe und Distanz

„Bitte, schau dir das rasch an. Kamerateam ist verständigt, fahr hin und melde dich gleich wieder!“ Heute würde dieser Auftrag meines ORF-Kollegen nicht per Festnetz, sondern via Handy bei mir landen. Damals, 1995, ist man – auch in den Medien – noch nicht komplett mobil vernetzt. Das Handyprivileg war Chefsache. Satellitenwagen rauschten damals auch noch nicht an, um den Ort des Geschehens im Blitztempo zur weltweiten Live-Bühne zu machen. Gut so, meine ich rückblickend, dass das Fernsehen damals noch nicht sofort einen Belagerungszustand – wie von Gendarmerie und Justiz bereits passiert – herstellen konnte. Es hätte alles noch schlimmer gemacht.

Zurück zum Telefonat: „Vier Tote in der Siedlung? Nach Streit untereinander? Wer behauptet so was?“ Auf der Fahrt zur Romasiedlung spuken sie wie verrückt durch meinen Kopf, die Briefbomben der vergangenen Jahre: Helmut Zilk, ORF-Moderatorin Silvana Meixner, Pfarrer Janisch in Hartberg, Terezija Stoisits – Burgenland-Kroatin und Grün-Politikerin aus Stinatz und der Kärntner Polizist Theo Kelz, dem durch einen Sprengsatz beide Unterarme weggerissen worden sind. Zwei Jahre zuvor – rund um die gesetzliche Anerkennung der Volksgruppe der Roma – waren vor allem die Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung am Stadtrand von Oberwart Thema und „Hauptdarsteller“ und ihre Häuser und Wohnungen waren schon damals mediale „Bühne“.

Und jetzt das: Vier Tote? Es braut sich immer stärker in mir ein Gemisch quälender und beklemmender Gefühle zusammen, als ich hundert Meter vor mir die vier Leichen auf nassem Asphalt erkenne, dürftig zugedeckt mit grauen Planen.

Hektisch umhereilende Ermittler in Zivil und in Uniform, ein paar Streifenwagen und vor Absperrbändern schweigend versammelt: Ein paar Leute aus der Siedlung. „Es ist tatsächlich passiert!“, flüstere ich mir zu, als ich aus dem Wagen steige, das Tonbandgerät in der Hand. Aber den Griff zum Einschaltknopf kann und will ich in dieser Situation nicht schaffen. Von wegen coole Distanz: Objektiven Blick und nüchterne Beobachtung des Geschehens kriege ich jetzt nicht hin. Sollte ich aber! Geht nicht! Als bestätigt wird, dass auf der neben den Toten liegenden Blechtafel „Roma zurück nach Indien!“ steht, kommt die Gewissheit: Nix mit Fehde! Da ist ein rassistisch motivierter Anschlag passiert.

Hier unmittelbar am Tatort Informationen der Behörden zu bekommen, scheint unmöglich: Es sieht nach Nachrichtensperre aus, obwohl sie offiziell erst am frühen Nachmittag verhängt wird. Die Zahl der Gendarmeriebeamten nimmt stetig zu, sowohl bei den noch immer auf der Straße liegenden Toten, aber auch in der Siedlung. Konzentration und Konfusion. Ich treffe den alten Mischka, der den um ihn herumstehenden Leuten und mir seinen Arm mit der KZ-Nummer zeigt. „Meine Mutter, meine Brüder, meine Schwestern haben sie vergast. Niemand ist zurückgekommen“, sagt er in die Kamera, „und jetzt liegen da vorn meine zwei toten Enkel!“ Er hat Tränen in den Augen. Ich frage nicht weiter. Kamera aus. Es beginnt zu regnen. Noch rasch ein Interview mit dem Mann aus der Siedlung, der in der Nacht die Explosion gehört hat. Kurze Gespräche mit dem befreundeten Journalisten Peter Sitar vom Kurier und mit „Charly“ Gärtner-Horvath vom Roma-Verein: „Die Gendarmerie hat versucht, in der Siedlung alles umzudrehen, damit sie Sprengstoff finden! Nichts ist entdeckt worden.“ Aus einem halb geöffneten Fenster hört man klagendes, dann wieder erstickend leises Weinen.

Hätte es damals Handys gegeben, hätten sich Facebook, X, Telegram oder WhatsApp vor empörter Erregung oder sensationserregter Empörung zwischen Anklage, Vorverurteilung, Shitstorm und Mitleid fast überschlagen. Per Smartphone wären schon längst Fotos und Videos im Web gelandet. Und innerhalb weniger Stunden hätten Sat-Wagen samt Live-Reportern und Korrespondenten die immer noch hier liegenden Leichen und die verstörten Bewohner der kleinen Siedlung und die unkoordiniert wirkenden Ermittler in einer Art News-Zirkus eingekreist.

Was es aber in den Tagen nach dem vierfachen Mord tatsächlich gegeben hat, waren rücksichtslose Kamerateams, Fotografen und Journalisten, die, ohne viel zu fragen, in die Siedlung eingefallen sind. Die Folge: Bewohnerinnen und Bewohner machen dicht, sagen nichts mehr, haben die immer wiederkehrenden Fragen satt. Kein Wort von ihnen am Ort des Geschehens. Nur einigen wenigen Journalisten vertrauen sie, vor allem jenen, die sie schon persönlich kennen.

Jetzt, im Februar 1995, als es noch keine Krisen-Interventionsteams und keine professionellen Pressesprecher der Polizei gibt, gilt es für mich, in aller Kürze zu vermitteln, dass erste Indizien auf einen Anschlag deuten, nicht aber auf eine vermutete interne Fehde junger Roma. Das kommt mir von Anfang an deutlicher über die Lippen, als es die ersten Aussagen der ermittelnden Behörden etwas verschleiert noch lange offen lassen: „Ob Unfall oder Anschlag: Wir können uns noch nicht festlegen“, meint der Einsatzleiter. „Alles, was jetzt gesagt würde, wären reine Vermutungen“, sagt der Innenminister noch am Nachmittag.

Es ist die amtlich bewährte Formulierung, „in alle Richtungen“ zu ermitteln, die den Boulevard ermuntert, mit einer angeblichen Fehde unter Roma aufzumachen. Und als ich noch am Sonntag im Live-Interview in der Zeit im Bild meine Einschätzung vom offensichtlichen Anschlag nach wie vor durchklingen lasse, obwohl das Innenministerium noch unbestimmt in seinen spärlichen Aussagen bleibt, bringt mir das bissige Kritik des Intendanten ein.

Dass geografische und mentale Distanz selbst in Wiener Redaktionsstuben primitive Klischees blühen lässt, bekomme ich in den Tagen darauf zu hören mit dem Auftrag: „Liefern Sie aus Oberwart eine Story mit vielen grantelnden oder grölenden rechts angehauchten Roma-Hassern.“ Es gibt sie, leider ja. Aber es ist nicht die ganze Stadt. Die Wahrheit klingt nicht so deftig, fetzig und einfach, sie ist viel differenzierter. Es bleibt in diesen Februartagen 1995 nicht viel Zeit, über menschliche Nähe und journalistische Distanz nachzudenken. Schon am Tag nach dem vierfachen Mord in Oberwart, von dem übrigens vorerst niemand glaubt, dass ihn ein Einzeltäter verübt haben könnte, explodiert an einem Altpapiersammelplatz in Stinatz eine Sprengfalle und verletzt einen Mitarbeiter des Umweltdienstes.

Es folgen Tage der Betroffenheit, der schwelenden Angst in einem unter Schock stehenden Land. Und es sind Tage hektischer wie intensiver journalistischer Arbeit. Tage und Stimmungen der Ohnmacht, der Betroffenheit, auch der Wut. Mit Nähe zum Ort und zu den Betroffenen und Distanz gegenüber primitiven Vorurteilen und Klischees. Ein quälender Spagat …

30 Jahre Roma Attentat von Oberwart

Zwischen den Jahren 1993 und 1996 erhielten in ganz Österreich insgesamt 25 Personen und Organisationen explosive Post. Im gleichen Zeitraum detonierten in Kärnten und im Burgenland drei Spreng- bzw. Rohrbomben. Die Anschläge hatten vier Tote, vier lebensgefährlich Verletzte und neun Verletzte zur Folge.
Der Terror adressierte ausschließlich Minderheitenangehörige und ihre politisch-humanistischen Unterstützer:innen. Der folgenschwerste Anschlag fand in der Nacht von 4. auf 5. Februar 1995 in Oberwart statt, bei dem vier Roma-Angehörige einer Sprengfalle zum Opfer fielen. Josef Simon, Karl Horvath, Erwin Horvath und Peter Sarközi starben durch die Explosion, als sie eine Tafel mit der Inschrift „Roma zurück nach Indien!“ entfernen wollten.
Obwohl die Auswahl der Adressat:innen bald auf Urheber aus dem rechten Eck schließen ließ, gestalteten sich die Ermittlungen sehr langwierig und nahmen erst im Herbst 1997 zufällig ein Ende. Bei einer Verkehrskontrolle im südsteirischen Gralla zündete der angehaltene 48-jährige Vermessungstechniker Franz Fuchs einen Sprengkörper, der ihm beide Hände abriss. Er gilt bis heute als Einzeltäter.
Das OHO – Offenes Haus Oberwart – galt in den Tagen nach dem Roma-Attentat von Oberwart als DIE zentrale Drehscheibe für die Angehörigen der Roma, für Aktivist:innen, für die österreichischen und auch die internationalen Medien.
Anlässlich 30 Jahre Roma Attentat von Oberwart findet im OHO von 7. Feber bis 23. März 2025 ein umfangreiches Programm statt (Ausstellungen, Lesungen, Theater, Hörspiel-Doku, Workshop, Filmabend, Tagung, Diskussion). Auftakt bildet die Ausstellung der Initiative Minderheiten „Man will uns ans Leben“ am 7. Feber, die an den Schrecken des rechtsextremen Terrors erinnert und an die Angst, die Österreichs Minderheiten vier Jahre lang begleitete. Sie gedenkt der Opfer, lässt Betroffene zu Wort kommen und beleuchtet die Rolle des politisch-gesellschaftlichen Klimas der 1990er-Jahre für die Gewalttaten. Videointerviews mit Zeitzeug:innen und Expert:innen kommentieren Facetten der Geschehnisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Nähere Informationen: www.oho.at

Ortsschild Oberwart mit Trauerkranz und schwarzem Tuch, symbolisiert Trauer und Gedenken an ein bedeutendes Ereignis.
© Sammlung Horst Horvath
Oberwart trauert

Die Ortstafel von Oberwart wurde mit einem schwarzen Tuch und einem Trauerkranz verhängt – ein Symbol des Gedenkens und der Trauer über diese unfassbare Tat.



Trauer nach Drehbuch

Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi, Josef Simon: Die Porträts der Ermordeten kennt innerhalb weniger Tage ganz Österreich. Und die Bilder der kleinen Siedlung am Stadtrand von Oberwart kennt man auch.

Mit dem Wunsch, das Begräbnis der Opfer schon am Donnerstag nicht unter dem Licht der Öffentlichkeit, sondern still und ruhig zu begehen, haben die Angehörigen kaum eine Chance. Das mediale Interesse ist einfach zu groß. Es entwickelt sich eine mediale, politische, aber auch zivilgesellschaftliche Eigendynamik, die die betroffenen Angehörigen nicht in Ruhe lässt. Der Trauerakt wird zum öffentlichen Statement in einem Land, das unter Schock steht, nach Briefbombenterror und Vierfachmord. Höchste politische Repräsentanten der Republik, des Landes und Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche kündigen an, zum ökumenischen Trauergottesdienst am Samstag nach dem Anschlag nach Oberwart zu kommen. Entscheidung des ORF: Live-Übertragung des Gottesdienstes, nicht aber des Begräbnisses selbst.

Wieder kämpfe ich mit dem Gefühlsspagat zwischen Nähe und Distanz, als ich den Auftrag bekomme, die Direktübertragung zu kommentieren. Wir einigen uns in Redaktion und Regie, die optisch größtmögliche Distanz zu den Trauernden zu bewahren, ihnen nicht mit Zooms dicht in die Gesichter zu fahren.

Trauer nach Drehbuch, aber doch mit beklemmenden Begleiterscheinungen: Lange vor Beginn der Übertragung schwenken die Kameras die Menschenmenge auf dem Kirchenvorplatz und im Kirchenraum unentwegt ab. Alles wird aufgezeichnet. Einem Auftrag der Sicherheitsbehörden folgend. Mit der Annahme, mögliche Täter könnten sich unter die trauernde Menge mischen. Es sei nicht auszuschließen, dass etwas passiert.

Zum Schock über die Ereignisse dieser Tage kommen Angst und Sorge, Täter oder Tätergruppen könnten die Livebühne benützen, um eine Trauerfeier zu einem weiteren „Ort des Geschehens“ zu machen. In Relation zu dieser fast unerträglichen Spannung, Tragik und Trauer ist es wohl das geringste Problem, welche Worte ich live finden würde, wenn etwas passiert. Oft und oft arbeitet in mir bis heute diese Vorstellung. Ich werde sie nie mehr los.

Nur fürs Erste ist der Druck weg, als Segensworte, Gesänge und Ansprachen vorbei sind und ich mich mit den Worten verabschiede: „Grüß Gott aus Oberwart.“ Die Republik hat ein inszeniertes Zeichen gesetzt. Auf dem Friedhof wird es dann endlich ruhig an diesem kalten Tag. Auf dem Hauptplatz geht es weiter mit einer Kundgebung. Man setzt ein Zeichen: gegen Intoleranz, Unmenschlichkeit und Rassismus.

Man kannte die bzw. den Täter noch nicht. Der Briefbombenterror war damals noch nicht zu Ende. Und 30 Jahre später ist es leider dringender denn je, Zeichen zu setzen gegen Intoleranz, Ausgrenzung, Hass und Hetze.

Buchcover: Das Attentat von Oberwart – Terror, Schock und Wendepunkt von Erich Schneller und Annemarie Klinger.
© edition lex liszt 12
Das Attentat von Oberwart – Terror, Schock und Wendepunkt

www.lexliszt12.at

ISBN: 978-3-99016-077-0 

Gedenkfeier

Am 4. Feber um 18 Uhr findet die jährliche Gedenkfeier anlässlich des 30. Todestages der vier Opfer des Attentats statt. Die Gedenkfeier beginnt in der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik (Dornburgasse 93), wo der erste Teil des Programms stattfindet. 

Im Anschluss daran folgt ein gemeinsamer Gedenkmarsch zur Gedenkstätte „Am Anger“, mit einer geschätzten Gehzeit von etwa 20 bis 25 Minuten. Der Marsch wird musikalisch von der Polizeimusik Burgenland begleitet.
 

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