Friedvolle Weihnachten
Jede fünfte Frau ist in Österreich von Gewalt durch ihren Partner betroffen. In der Realität bedeutet das, dass wir alle diese Freundin bzw. Freundinnen in unserem Umfeld haben. Es sind nicht (nur) die blauen Flecken, die darauf hinweisen. Es ist der herablassende Umgang ihres Partners, abwertende Äußerungen über sie, die uns aufhorchen lassen müssen. Vielleicht auch ihre Zurückgezogenheit.
Zwei Studienabschlüsse hat eine meiner Freundinnen. Zwei Söhne hat sie großgezogen. Beiden eine top Ausbildung finanziert. Nach ihrer Krebserkrankung hat sie sich nicht nur ihre Position im Unternehmen wieder zurückerarbeitet, sondern die Führung des Teams übernommen. Außerdem ist sie einer der aufmerksamsten und empathischsten Menschen, die ich kenne. Sie ist eine, die Spuren in der Welt hinterlässt. Aber sie weiß es nicht. Jede postive Äußerung, jedes Lob über ihre Leistungen schwächt sie ab, weil sie viel zu oft das Gegenteil gehört hat. Was sie fürs Leben mitbekommen hat, sind Selbstzweifel und das Gefühl, dass es nie reicht. Dass sie nie gut genug sein wird.
Viele Frauen, die Gewalt erleben, definieren das gar nicht als solche, weil sie es so gewohnt sind. Gewalt hat viele Gesichter und findet sich in allen Altersgruppen und allen Gesellschafts- und Bildungsschichten.
Am Ende dieses Jahres blicken wir auf jene Frauen, die getötet wurden, weil sie Frauen sind. Das Leben, das dem Femizid voranging, muss ein leidvolles gewesen sein.
Weihnachten steht vor der Tür. In vielen Familien eskaliert es. Aber Gewalt ist keine Privatsache. Wenn jede fünfte Frau in Österreich von Gewalt betroffen ist, sollten wir uns fragen: Welche ist es in meinem Umfeld? Wem dazu keine Antwort einfällt, der sollte vielleicht doch ein wenig genauer hinsehen.
Nicole Mühl