2023
Ein kleines bisschen Melancholie, gemischt mit Neugierde und Vorfreude auf das Kommende – so kannte ich den Jahreswechsel immer. Oder besser gesagt bis 2019/2020. Seither wird das alte Jahr bildlich mit einem Tritt in den Hintern verabschiedet und das neue mit einem tiefen Seufzer zur Kenntnis genommen. Was zermürbt, sind die unberechenbaren Einflussfaktoren, die über unser Leben entscheiden. Darüber, ob es morgen noch den Arbeitsplatz gibt, ob das Auto verkauft werden muss oder Energie überhaupt noch leistbar ist.
Gerade ist ein zweites Buch über das „Anschlussdenkmal“ in Oberschützen erschienen. Jemand sagte zu mir, dass man die Vergangenheit doch endlich ruhen lassen soll. Genau das darf eben nicht passieren. 2022 ist das Jahr, in dem Europa wieder zum Kriegsgebiet wurde. Wo Tabuisierung geschieht, wird die Basis für Fehlinformation gelegt, werden Verbrechen verschleiert und Gefahren ignoriert.
Heute sehe ich Bilder aus der Ukraine von Menschen, die in Zuständen leben, die unfassbar sind. Mir ist nicht klar, wie sie in dieser Verwüstung überleben können. Es ist das blanke Elend.
Ich weiß nicht, wie das Jahr 2023 wird. Welche Entscheidungen von außen auf die Art, wie ich leben darf, einwirken. Ob die eine oder andere Selbstverständlichkeit zum Luxusartikel wird, ich Liebgewonnenes aufgeben muss.
Aber ich stelle weniger Forderungen an 2023. Mein inneres Stoßgebet hat sich geändert. Auf das Wesentliche: „Ich lebe. Ich atme in einem freien Land. Das allein ist großartig.“
Nicole Mühl