Bericht

Guten Morgn

Feminine Burschen und burschikose Mädchen, die gab es schon immer. Die Gesellschaft ist längst von der sinnbildlichen rosa/blau Trennung abgewichen. Auch bei der Berufswahl und anderen Vorlieben achtet man immer stärker auf Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Was ist aber, wenn man tatsächlich mit dem falschen Geschlecht geboren ist? prima! hat mit Tom gesprochen. Einem jungen Mann, der als Mädchen auf die Welt gekommen ist und sich nun mitten in einem medizinischen Prozess für die körperliche „Angleichung“ zu sich selbst befindet.

Foto: Shutterstock / visualisworld

Tom ist 19 Jahre alt und durchlebt den klassischen Alltag wie alle Jugendlichen, deren große Herausforderungen gerade das Social-Distancing ist. Am Land aufgewachsen, ist er nach der Matura für sein Studium nach Wien gezogen und besucht seither nur mehr an den Wochenenden seine Heimatgemeinde im Bezirk Oberwart. Er trägt einen modernen Kurzhaarschnitt, der manchmal auch bunt eingefärbt sein kann und widmet seine Freizeit seinen Freunden, der Musik und auch gerne der Kunst. Ein ganz normaler Jugendlicher also, nur eines unterscheidet Tom: Er ist transgender.

„Ich habs eigentlich schon im Kindergarten gemerkt, dass ich lieber ein Junge sein wollte. Ich hab mich beim Spielen eher mit männlichen Charakteren identifiziert und hab mich bei den Mädchen nicht zugehörig gefühlt“, erinnert sich Tom. In gemischten Gruppen hätte es ihn weniger gestört, erst als es vermehrt Trennungen in weibliche und männliche Bereiche in der Schule gab, fühlte er sich in Gesellschaft der Mädchen mehr und mehr am verlorenen Posten: „Ich wollte immer viel lieber ein Junge sein.“

Zuerst war die Panik

„Mit 14 bin ich dann zufällig auf den Begriff „transgender“ gestoßen. Ich hab dann gerätselt, ob es das sein kann, was ich bin und hab viel darüber gelesen. Als ich mir sicher war, bekam ich zuerst Panik! Ich wollte es ignorieren oder verstecken, bis ich 18 bin, aber so leicht ist das nicht. Da ist in mir ein Bewusstsein gewachsen, ich hatte den Grund bzw. die Antwort gefunden, warum es mir oft schlecht ging. Ich wollte mich so gerne auch outen“, schildert Tom über das Gefühlschaos, das in seinem Inneren getobt hat.

Kurzhaarschnitt und Männerhosen

Also begann er kleine Schritte zu setzen, er sprach zuerst mit seinem Umfeld darüber, ob es okay wäre, wenn er sich die Haare kurz schneiden würde. Dann begann er in der Burschen-Abteilung der Kleidungsgeschäfte einzukaufen. Trotz allem waren stets große Unsicherheiten und auch eine Depression, die ihn hartnäckig begleiteten. Immer unter dem beklemmenden Gefühl, dass er sich nirgendwo zugehörig fühlen könne.

Schulwechsel und Therapie

Als er 15 Jahre alt war, war der Leidensdruck schon so hoch, dass er sich in psychotherapeutische Behandlung begab und auch ein halbes Jahr Auszeit von der Schule nahm. Im Zuge eines Neustarts per Schulwechsel hat er dann seinen Eltern, seinen Lehrerinnen und Lehrern und seinem Freundeskreis anvertraut, dass er wohl „trans“ sei. Die Reaktionen waren gemischt, aber nicht negativ. „Für viele meiner Freunde war es scheinbar keine Überraschung mehr, aber meist kam die Frage ‚bist du dir sicher?‘, oder ‚okay, ja, schauen wir mal‘. Das war zwar keine Ablehnung, aber auch kein wirklicher Bezug zu diesem Thema“, sagt Tom über sein Outing.

Odyssee durch Ärztezimmer

Was dann folgte, war eine lange Zeit mit Therapie und Gesprächen, denn die Depression war nach wie vor Teil seines Lebens. Und stets die ach so abstrakte Lösung vor Augen: Dass er lieber ein Junge sein möchte. So führte die Odyssee zu verschiedenen Ärzten und Therapeuten auch nach Wien, denn es bedarf mehrerer unabhängiger Statements – psychotherapeutisch, klinisch-psychologisch sowie psychiatrisch – um die benötigte Diagnose zu bekommen: „Geschlechtsdysphorie“. Mit dieser Diagnose darf in Österreich dann mit einer Hormontherapie ab dem Alter von 18 Jahren begonnen werden (mit Einwilligung der Eltern schon früher). „Die Wartezeiten sind sehr schwer auszuhalten. Ich verstehe schon, dass nicht jeder sofort Hormone bekommt, aber allein schon auf den Ersttermin musste ich ein halbes Jahr warten. Das ist schon ein Problem“, schildert Tom diese Jahre des Stillstands.

Meilenstein Hormonspritze

Tom bewies diese Willensstärke und den langen Atem des Wartens: Knapp vor seinem 18. Geburtstag durfte er mit der Testosteron-Hormontherapie beginnen. Die bewirkt, dass sich seine Gesichtszüge verändern und die Stimme männlich tief wird, ganz wie bei der Pubertät, die junge Männer durchlaufen. „Ich habe an diesem Tag einfach nur gedacht, jetzt! Jetzt geht es los!“ Nun, eineinhalb Jahre und weitere Hormonspritzen später, sieht er jeden Tag als Meilenstein, als den Anfang vom Rest. „Ich bin inzwischen viel mehr da, wo ich hinmöchte.“ Er habe die staatliche Namensänderung im Reisepass bereits vollzogen und auch sein Körper hat bereits weitere Veränderungen bekommen. „Ich freue mich schon darauf, wenn der Bart wächst“, lacht der junge Mann gelöst.

Neugierde und Sensationsgier

Dass er mit durchwegs positiven Reaktionen aus seinem Umfeld gesegnet ist, weiß Tom zu schätzen. „Eine gewisse Neugierde kann ich ja verstehen. Aber unangebrachte Kommentare gibt es aber immer wieder. Ich wundere mich auch oft bei Untersuchungen von Ärzten, die mich ohne medizinischen Kontext Dinge fragen, die nur ihre Neugierde betreffen. Zum Beispiel ‚auf welches Geschlecht ich stehe’. Als hätte das irgendeine Relevanz. Oder Bekannte, die mich ohne mein Wissen oder meine Zustimmung outen, so quasi ‚Das ist der Tom, der ist trans‘. Diese Sensationsgier ist nicht notwendig. Da geht es um meine Sicherheit und meine Privatsphäre. Am schlimmsten sind natürlich jene, die dann schon sehr respektlos fragen, was ich denn nun ‚in der Hose‘ hätte!“

Was er jemandem raten würde, der in der gleichen Situation ist wie er damals? „Ganz wichtig ist, seine Gefühle nicht zu ignorieren und zu verdrängen, das macht alles nur noch schlimmer. Man muss der Situation Zeit und Raum geben. Sich erkundigen, sich jemandem anvertrauen, das Gespräch und Unterstützung suchen. In Wien oder Graz gibt es Gruppentreffen oder mehr Möglichkeiten für eine Therapie. Es ist auch wichtig, dass man zuerst abcheckt, wie das Umfeld reagieren würde. Es bringt auch nichts, wenn man sich vorschnell outet und dann verstoßen wird. Aber letztendlich kann man nicht vor sich selber weglaufen.“


Transgender in Österreich

Geschlechtsidentität beschreibt das erlebte und gefühlte Geschlecht einer Person als männlich, weiblich oder einem anderen Geschlecht zugehörig. Stimmt diese Geschlechtsidentität nicht mit dem zugewiesenen Geburtsgeschlecht überein, spricht man von „transgender“, „transsexuellen“ (veralteter Begriff) oder „geschlechtsinkongruenten“ Personen. Der diagnostische Prozess zur grundsätzlichen Feststellung des Vorliegens einer Geschlechtsdysphorie beziehungsweise Transidentität hat in 3 Teilen zu erfolgen:

• Psychiatrische Diagnostik
• Klinisch-psychologische Diagnostik
• Psychotherapeutische Diagnostik

Erst nach dieser unabhängigen Diagnose darf eine Hormontherapie erfolgen, die jedenfalls ärztlich begleitet werden muss. Dies gilt in Österreich als Heilbehandlung und wird daher von der Krankenkasse bezahlt.

In Österreich gibt es laut Berichten etwa 400 – 500 transgender Personen, wobei mehr maskulinisierende (64,1%) als feminisierende Eingriffe (35,9%) durchgeführt werden.
Quelle: „Geschlechtsinkongruenz in Österreich“ (www.sozialversicherung.at)

Unabhängig von somatischen Maßnahmen kann in Österreich eine Personenstands- und Vornamensänderung beantragt werden. Geschlechtsanpassende Operationen in Form genitalchirurgischer Eingriffe sind nach etwa einem Jahr Hormontherapie möglich. Sie sind aber nicht mehr Voraussetzung für die Personenstandsänderung.
(Quelle: www.oesterreich.gv.at)

Kontakte:

Beratung für Trans*Inter*Homosexuelle Personen in Österreich: www.transgender-team.at
Verein für Transgender Personen: www.transx.at


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