Interview

Die Macht des Handels

In der letzten Ausgabe hat prima! auf die Missstände in der Haltung von Schweinen in österreichischen Zuchtanlagen hingewiesen. Wie kann es so weit kommen? Tierliebe nach außen und in der Werbung – doch innen drin brodelt es. prima! bei Johann Reisinger, ehemaliger Obmann der Landwirtschaftskammer Hartberg-Fürstenfeld. Er selbst betreibt eine Ferkel- und Mastschweineanlage. Über den Druck durch den Handel, Landwirte, die am Limit leben und eine mutlose Politik, die schweigend zusieht – letztlich auf Kosten der Tiere.

Foto: shutterstock/Kondor 83

Herr Reisinger, was brauchen die Landwirte, damit sie ihre Betriebe im Sinne von mehr Tierwohl führen?

Johann Reisinger: Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Leistbarkeit von Fleisch das Problem ist. Tierwohl findet keine Abgeltung im Regal. Das Schnitzel von einem Schwein, das nach gewissen Tierwohlkriterien auf Teilspaltenböden mit Stroh und regionalem Soja gefüttert wird, müsste pro Kilo 15 Euro kosten, damit es für den Bauern kostendeckend ist. Ich rede da nicht einmal von Bio. Aber wer kann sich das leisten?

Müsste es höhere Förderungen geben?

Hören Sie auf mit dem Begriff Förderung. Ich will diesen Begriff nicht mehr hören. Das ist die Crux der Landwirte: Die Politik glaubt, mit der Zahlung von Förderungen an Bauern ihre Schuldigkeit geleistet zu haben. In Wirklichkeit ist der Bauer zum Bittsteller geworden.

Ausgleichszahlungen an den Landwirt hat der Handel längst vom wahren Wert des Fleisches abgezogen und zum Teil an den Kunden weitergegeben. Dadurch verliert ja der Konsument die Realität zum Wert seiner Grundnahrungsmittel. Ein bäuerlicher Betrieb würde natürlich am liebsten von seiner Arbeit und vom Verkauf seiner Ware leben können.

Was wäre dafür nötig?

Die Regierung muss den Mut aufbringen, Grundpreise für Grundnahrungsmittel für die Bauern festzusetzen. Also auf Milch, Fleisch, Brot und Eier. Und gleichzeitig muss es auch einen Marktschutz geben. Für Ware aus dem Ausland muss es eine eindeutige Deklaration auch in der verarbeiteten Ware geben. Die Verantwortung liegt in der österreichischen Bundesregierung, dass unsere Bauern die Konsumenten mit hochwertigen Lebensmitteln versorgen können. So lange der Handel die Lebensmittelpreise in Form von Rabattschlachten gestaltet, werden Tierwohl und Klimaschutz, aber auch die bäuerliche Struktur auf der Strecke bleiben. Wenn Bauern in ihre Ställe im Sinne der Ökonomie, Ökologie und des Tierwohls investieren, brauchen sie Marktsicherheit für eine ganze Generation. Unsere Bäuerinnen und Bauern denken generationenübergreifend und sie können nicht innerhalb weniger Jahre ohne diese Sicherheit ihren Betrieb umgestalten.

Sie fordern also, dass der Handel von der Politik reguliert werden muss?

Schauen Sie, in Deutschland gibt es eine Überproduktion an Schweinefleisch von bis zu 30 Prozent. Mittlerweile schießt auch Spanien durch die Decke. Es wird dort billiger produziert, als wir es nicht einmal unter den brutalsten Bedingungen könnten. Diese Ware drängt zum Teil auf den österreichischen Markt, vor allem in Verarbeitungsware wie Wurst und Hackfleisch. Wenn ich heute in einem Prospekt vom Lebensmittelhandel die Preise für Fleisch lese, zieht es mir die Schuhe aus. Der größte Fleischverarbeiter Deutschlands hat gerade in Serbien einen eigenen Schweinemastbetrieb mit 300.000 Tieren gebaut. Auch in Osteuropa entstehen gerade neue Produktionseinheiten, die für einen Konsumenten in unserer Heimat nicht vorstellbar sind. Da hat ein österreichischer Betrieb keine Chance mitzukommen. Wir sind in ein System hineingewachsen, wo enormer Druck herrscht. Das Defizit wird auf das Tier und die Umwelt abgewälzt. Und zuzugeben, dass man es nicht mehr schafft, das wollen die wenigsten Bauern. Das Tempo ist enorm. Für viele ist es ein Leben am Limit. Zurzeit werden diese Systeme unter dem Deckmantel des freien Warenverkehrs in Europa geduldet. Auf längere Sicht werden sich unter diesen Gegebenheiten nur die Gunstlagen und größten Produktionseinheiten durchsetzen. Konkurrenz ist heute eben nicht mehr lokal begrenzt, sondern global.

Wie funktioniert das Preissystem?

Mittlerweile ist der Schweinepreis sehr stark vom deutschen Preis abgeleitet. Der Handel weiß ganz genau: Ist das Ferkel einmal geboren oder die Milch gemolken, so kommt es in absehbarer Zeit als Lebensmittel auf den Markt. An Hand der Viehzählungen über die AMA Datenbank kann man zum Beispiel genau sagen, wie viel Fleisch oder Milch im welchem Zeitraum auf den Markt gebracht wird. Der Handel braucht sich nur für kurze Zeit verstärkt mit Fleisch in Deutschland bedienen und schon entsteht auf dem österreichischen Markt ein Rückstau. Ein Beispiel: „Es gibt beim Schweinefleisch gewisse Marktzyklen. Mitte Februar, gegen Ende der Faschingszeit, gibt es Schleuderaktionen. Das Fleisch wird mit minus 50 Prozent angeboten. Wie kommt das? Der Handel gibt dem Abnehmer, also dem Fleischhauer, bereits im Dezember den niedrigeren Preis vor und fordert, dass er diesen beim Bauern durchbringt. Damit er das schafft, beginnt er bereits im Jänner, den Landwirten weniger Schweine abzunehmen. Woche für Woche. Für den Überbestand bekommt der Bauer Wochen später dann weniger bezahlt. Und zum gewünschten Zeitpunkt kann der Schlachthof dem Handel dann das Fleisch zum geforderten Niedrigpreis liefern. Man setzt den Landwirt unter Druck, indem man eine Zeit lang weniger Schweine abnimmt. So funktioniert das System. Deshalb muss die Politik einschreiten und einen Grundpreis als Marktschutz und eine Abnahmegarantie gesetzlich vorgeben. Nur durch eine solche gesetzliche Regelung kann ein Preisdruck vom Handel auf den Landwirt verhindert werden. Wenn man bedenkt, dass unsere Bauern vor 40 Jahren denselben Preis für ihre Produkte erlösen konnten wie heute, ist es nicht verwunderlich, dass dieses nur auf Kosten von Tierwohl, Umwelt und Leistungsdruck auf unsere Bauernfamilien zustande gekommen ist.

Ab 2022 werden Ställe mit Vollspaltenböden nicht mehr gefördert. Das ist doch eine wichtige Maßnahme im Sinne des Tierwohls.

Wieder ist der Handel dabei der Gewinner. Die Rechnung geht auf Kosten der Bauern. Die Politik macht Gesetze, ohne den Handel in die Pflicht zu nehmen, denn der sagt jetzt: „Die Verordnung ist ja sowieso da. Warum soll ich dem Bauern für das Tierwohl mehr bezahlen? Er ist ja per Gesetz ohnehin verpflichtet, die Standards auf seine Kosten zu erhöhen.“ Für mich ist das Verbot der Käfighaltung bei den Legehennen 2009 das beste Beispiel. Unsere Bauern haben sehr viel Geld in die Hand genommen und in neue Haltungssysteme investiert. Viele haben auch die Legehennen-Haltung aufgegeben. Nach zwölf Jahren der Umstellung werden aber nach wie vor 30 Prozent der Eier aus dem Ausland oft aus Käfighaltung für Verarbeitungsware importiert, die wiederum auf den österreichischen Produzentenpreis drückt. Der ehemalige ORF Wirtschaftsjournalist Walter Sonnleitner hat bei einem Vortrag zum Thema „Bauern in den Fängen des Handels“ vor drei Jahren folgenden Satz gesagt: „Ohne eine Politik, die Mut zeigt und den Handel kontrolliert, werden wir das System, das am Ende zu Lasten der Tiere, des Klimas und unserer bäuerlichen Betriebe geht, nicht durchbrechen.“


Johann Reisinger
Ökonomierat Johann Reisinger ist ehemaliger Obmann der Landwirtschaftskammer Hartberg-Fürstenfeld und führt einen kombinierten Schweinebetrieb mit ca. 90 Mutterschweinen und angeschlossener Ferkel- und Mastschweinehaltung. Außerdem erzeugt die Familie Produkte aus der eigenen Obstverarbeitung und führt einen Hofladen.

 

 

Lesen Sie dazu auch das Interview mit VGT Obmann DDr. Martin Balluch >> Brutstätten der Misshandlung

Lesen Sie dazu auch das Bekenntnis des Burgenlandes zum Verbot der Vollspaltenböden  >> Burgenland will Verbot des Vollspaltenbodens


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