Zwischen Himmel und Erde
Bevor ich „Altweibersommer“ auf unser Cover geschrieben habe, hab ich mich einen kurzen Moment gefragt, ob man den Ausdruck denn überhaupt noch verwenden darf oder ob man da nicht gleich mit Anlauf sämtliche Regeln der Political Correctness durchbricht.
Nun – alles gut – er hat nichts mit der Diskriminierung älterer Frauen zu tun, sondern geht eher auf den Begriff „weiben“ (weben) zurück. „Alt“ bedeutet hier „spät“. Die Nächte werden jetzt länger und kühler und es bildet sich bereits Tau. Die Spinnweben sind dadurch besser erkennbar und gelegentlich sieht man einen feinen, silbrig schimmernden Faden durch die Luft fliegen – glitzernd in der Sonne wie lange, silbergraue Haare.
Wir haben diese wunderbare Jahreszeit als Hauptthema unserer aktuellen Ausgabe genommen und möchten im Zuge unserer Reportagen und Porträts unsere Einblicke in die Region weitergeben. Die Tonfigur auf unserem Cover hat es uns besonders angetan – weil sie die Stimmung des „goldenen Herbstes“ wunderbar einfängt (zu finden übrigens am Kramuri im Schloss Kohfidisch).
Der Altweibersommer ist an der Schwelle von Abschiednehmen und Neubeginn und lehrt uns gleichzeitig jene Grundhaltung der Gelassenheit, die uns die ständigen Veränderungen im Leben leichter ertragen lässt.
Wer morgens noch nie barfuß durch nasses Gras gestreift ist und seine Gedanken noch nie mit einem vorbeischwebenden Flugfaden auf Reisen geschickt hat, hat die Grenzerfahrung zwischen Himmel und Erde versäumt. Den Moment der Seelenruhe, wenn man menschlicher wird. Genießen Sie diese fünfte Jahreszeit und in Anlehnung an unser Cover sei noch gesagt: Man ist nie zu alt zum Schaukeln.
Nicole Mühl