Interview

Dunkle Mächte, verdorbene Eliten – was ist dran an den Verschwörungstheorien

Wo Krisen sind, wo wir Gefahr verspüren, hoffen wir auf Rettung.
Gerade in unsicheren Zeiten treten Theorien über Verschwörungen auf, die die ungeheuerlichsten Zusammenhänge zu enthüllen glauben. Immer werden dabei Feindbilder aufgebaut. Menschen, Systeme, dunkle Mächte, die uns etwas verschweigen. Eines ist deutlich bemerkbar: Corona hat Verschwörungstheoretikern eine Bühne geboten. Sebastian Bartoschek ist einer der bedeutendsten Verschwörungstheorie-Forscher. Der Psychologe lebt in Nordrhein-Westfalen, und wir haben ihn per Video-Meeting zum Interview gebeten.

Foto © Katja Bartoschek

Herr Bartoschek, wann redet man überhaupt von einer Verschwörungstheorie?

Bartoschek: Die Definitionen sind unterschiedlich. In jedem Fall geht man davon aus, dass sich jemand zu etwas Bösem, etwas Klandestinem verschworen hat. Und es müssen immer mindestens zwei Verschwörer sein, die daran teilhaben.

In den Wochen des Lockdowns schienen die absurdesten Theorien anzusteigen. Da war die Rede von einer neuen Weltordnung, die eintreten wird. Dass im Hintergrund ein Kampf der dunklen Mächte gegen die guten stattfindet. Warum ist das jetzt so massiv?

Bartoschek: Wir haben es beim Lockdown mit einem Phänomen zu tun, das jeden berührt. Es geht um die Gesundheit und darum, dass die Unwegbarkeiten, die auftauchen, maximal sind. Da werden dann sehr archaisch anmutende Theorien wie der Kampf von Gut gegen Böse wieder ins Feld geführt. Die Unsicherheit ist sehr groß, und das begünstigt das Entstehen von Verschwörungstheorien.

Ganz extrem ist ja derzeit die Bewegung QAnon. Dabei geht es um eine angebliche Verschwörung gigantischen Ausmaßes. Eine verdorbene Elite aus demokratischer Partei, Banken, Medien usw. herrsche heimlich über die USA. Es geht um pädophile Netzwerke. Namen wie etwa der von Hillary Clinton tauchen auf. Und Donald Trump sei von ranghohen Militärs dazu auserwählt worden, diesen „tiefen Staat“ zu Fall zu bringen. Was sagen Sie dazu?

Bartoschek: Ja, diese Verschwörungstheorie ist natürlich weder neu noch ist sie besonders überzeugend. Man hat hier ganz viele Versatzstücke alter verschwörungstheoretischer Motive, die teilweie auch einen antisemitischen Anklang haben. Das Ganze ist alter Wein in neuen Schläuchen.

Wie erkennen Sie da einen antisemitischen Zusammenhang?

Bartoschek: Wenn von Machteliten gesprochen wird, ist man sehr schnell bei jüdischen Namen, und insofern sind es sehr ähnliche Motive wie in den Protokollen der Weisen von Zion. Also, dass da eine geheime Gesellschaft ist, die sich regelmäßig trifft, die Kinder opfern muss, um irgendwie Kraft oder Macht zu bekommen. Das sind alles Motive, die wir aus antisemitischen Verschwörungstheorien auch kennen.

Beinhalten Verschwörungstheorien nicht auch einen Funken Wahrheit?

Bartoschek: Nein. Sie haben oft genug nicht einen Hauch Wahrheit. Es mag sein, dass es Einzelbeobachtungen gibt, an denen etwas dran ist. Aber die Theorie, die dann drumherum gewoben wird, die stimmt nicht.

Aber die Theorien sind teilweise schon auch sehr gut begründet und argumentiert. Wenn man da nicht aufpasst, kommt man doch sehr leicht in einen solchen Strudel.

Bartoschek: Ja, man kann da schon in einen Strudel geraten und von einer Quelle zur nächsten springen. Das heißt aber nicht, dass diese Quellen recht haben. Gerade bei Youtube ist das gefährlich, weil einem der Algorithmus immer wieder entsprechende Videos anbietet. Man muss da wirklich aufpassen, dass man nicht in eine Sucht gerät, immer die neueste Enthüllung zu finden.

Wie komme ich aus einem solchen Strudel wieder raus?

Bartoschek: Wir können nicht wirklich sagen, wie wir Menschen helfen, die sich in so etwas verrannt haben. Eine wichtige Facette ist, dass sich Freunde und Verwandte nicht von der Person abwenden, sondern Kontakt zu ihr halten. Ähnlich wie bei Menschen, die in eine Sekte geraten. Aber man soll auch immer wieder Dinge klar benennen, wenn sie einem präsentiert werden.

Wie kann man sich schützen?

Bartoschek: Man sollte sich fragen, was die Quelle ist, auf die sich eine Verschwörungstheorie beruft. Man kann davon ausgehen, dass in einem pluralistischen Staat, wie es Deutschland oder auch Österreich sind, jede große Nachricht von großen Medien auch genutzt wird. Es ist ja undenkbar, dass etwas Sensationelles passiert, und die Medien greifen das nicht auf. Das erste, was ich betreiben sollte, ist immer Quellenkritik, und als Nächstes sollte ich mich immer fragen, was die Menschen um mich sagen. Da sollte ich immer Leute haben, die mein Regulativ sind und die ich auch fragen kann. Wenn ich mich dann noch mit einem repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft umgebe, dann werde ich Kontra bekommen, und dann ist es wichtig, genau den Leuten zuzuhören, die vielleicht nicht meiner Meinung sind.

Was halten Sie für seriöse Quellen, wo man nachschauen kann? Mimikama beispielsweise?

Bartoschek: Ja, auf jeden Fall. Mimikama ist ja genau dafür bekannt, dass viele Fakes aufgedeckt werden. Da wird das Ganze überprüft und zwar überparteilich und neutral.

Während Bill Gates zum Feindbild mutiert ist, ist Donald Trump, einer der umstrittensten Politiker unserer Zeit, der Held von Verschwörungstheoretikern geworden, der heimlich einen Kinderpornoring bekämpft und die Macht der korrupten Eliten bricht. Wie gibt es das?

Bartoschek: Ja, das ist faszinierend. Trump scheint eine Faszination auszustrahlen und eine Projektionsfigur geworden zu sein. Dafür muss man auch verstehen, dass ein Teil der QAnon Bewegung aus einem rechtslibertären Spektrum kommt, das Trumps Wählerschaft repräsentiert. Das heißt, vieles von dem was QAnon verbreitet hat, ist an die Leute gerichtet gewesen, die Trump-Unterstützer sind, und von da aus hat es sich verselbstständigt und weitere Kreise gezogen.

Was sind das für Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben? Gibt es da bestimmte Charakteristika?

Bartoschek: Was wir wissen ist, dass es quer durch alle Schichten geht. Es sind oft Menschen, die in ihrer Selbstwirksamkeit gekränkt sind. Das heißt, sie selbst erleben sich nicht mehr als diejenigen, die ihr Leben bestimmen, sondern dass irgendwelche anderen Kräfte, irgendwelche Zufälle, irgendwelche Schicksalsschläge ihnen mitgespielt haben. Die Verschwörungstheorien geben ihnen eine Heilserwartung, was man tun muss, um sich zu befreien. Da geben Verschwörungstheorien die Möglichkeit, aus dieser Selbstunwirksamkeit wieder auszutreten. Das ist psychologisch das Motiv, von dem wir wissen, dass es relativ stark ist.

Kann es überhaupt gelingen, einen Verschwörungstheoretiker vom Gegenteil zu überzeugen?

Bartoschek: Es kann gelingen, wenn jemand noch nicht so tief drinnen und der Widerlegung zugänglich ist. Wenn aber jemand schon relativ tief in das Ganze eingedrungen ist, dann wird das sehr schwierig werden, ihn davon zu befreien.

Was passiert dann?

Bartoschek: Dann haben wir eine Selbstradikalisierung. Das haben wir in den letzten Jahren in Deutschland im Reichsbürgersegment erlebt. Da haben wir eine Zunahme von rechtsextremen Gewalttaten, von rechtsextremer Selbstradikalisierung. Eine Selbstbewaffnung. Das Ganze ist nicht ohne, wenn man auf das Gefahrenpotenzial schaut.

Sie haben im Vorfeld den Artikel in unserer aktuellen Ausgabe gelesen, in dem Redakteurin Nora Schleich mit einem Verschwörungstheoretiker ein Interview führt (siehe hier >>). Die Rede ist dabei von Kindersex, Kinder- und Menschenhandel und dass sogar Menschenfleisch gegessen wird. Das Ganze passiert angeblich in Hollywood. Die Namen Clinton, Gates, Abramovic und Obama scheinen in diesem Zusammenhang immer wieder auf. Was würden Sie René H. sagen?

Bartoschek: Zuerst würde ich ihn fragen, was das Glauben an diese Verschwörungstheorien bei ihm konkret ändert. Ich würde ihn fragen: Was ist in deinem Leben dadurch anders geworden, und brauchst du dafür eigentlich diese Verschwörungstheorien? Ich würde nicht einzelne Details aus den Verschwörungstheorien diskutieren, weil dann würden wir stundenlang dasitzen und würden nicht zu einem Punkt kommen, weil er immer wieder einzelne Details nennen könnte, die angeblich irgendwelche Sinnhaftigkeit haben. Ich würde also versuchen, auf diese Metaebene zu wechseln. Man muss schauen, wie kommt man auf dieselbe Grundlage, von der aus wir argumentieren. Und das werden Sie nicht schaffen, wenn er anfängt von Menschenfleisch und Reptilien, Aliens und Kinderpornoringen zu reden.

Aber wir haben es bei Verschwörungstheorien nicht mit einer psychischen Erkrankung zu tun?

Bartoschek: Es gibt natürlich psychische Krankheiten, bei denen es Paranoia gibt. Beispielsweise die paranoide Schizophrenie. Die ist aber völlig anders ausgestaltet als der normale Verschwörungsglaube.

Wie schützen Sie sich selbst, wo Sie ja mit Verschwörungstheorien besonders stark konfrontiert sind.

Bartoschek: Ich weiß das gar nicht. Tatsächlich ist für mich immer eine ganz gute Krücke, mich zu fragen, wie viele Menschen müssten für eine Verschwörungstheorie dicht halten und keine Fehler machen? Wenn Sie sich vorstellen, dass irgendwelche Regierungsorganisationen Tausende Menschen umfassen müssten, die alle richtig handeln und keine Fehler machen, dann ist das ja undenkbar.

Aber ist es nicht schwierig, eine Grenze zu ziehen zwischen Verschwörungstheorie und der Notwendigkeit einer kritischen Meinung, die auch Systeme hinterfragt?

Bartoschek: Man muss und darf auch alles hinterfragen, und es passieren auch viele unschöne Dinge da draußen. Für mich ist der Punkt, wenn ich anfange zu lesen, dass irgendjemand dahinter einen geheimen Mechanismus vermutet. Da werde ich immer vorsichtig. Natürlich gibt es Dinge – wir haben es ja beim Ibiza-Video gesehen – wo Politiker bereit sind, sich zu verschwören. Das gibt es natürlich. Aber dahinter eine größere Steuerung zu vermuten, das ist das, wovor ich mich hüte.

Was würden Sie unseren prima! Lesern und Podcast Hörern mitgeben?

Bartoschek: Nicht wegzuhören, wenn im näheren Umfeld Verschwörungstheorien verbreitet werden und da die Zivilcourage zu haben und sagen: Nein, so ist es nicht. Und zwar nicht für die Person, die der Verschwörungsgläubige ist, sondern für die Umherstehenden, die noch nicht überzeugt sind. Das ist wichtig. Wir wissen aus Studien, dass das auch funktioniert.


Dr. Sebastian Bartoschek ...
ist Psychologe und Journalist. Bereits in seiner Dissertationsarbeit hat er sich den Verschwörungstheorien gewidmet und gilt als einer der renommiertesten Forscher auf diesem Gebiet. Er lebt in Nordrhein Westfalen.

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