„Jedes einzelne Blatt ist für mich eine Art Kniefall vor der Schöpfung“

Ihre Arbeiten beschreibt Angela Andorrer als eine Reise auf Blättern und in fremde Hände. In ihrer einzigartigen Kunst der „Blattscapes“ und „Handscapes“ werden die von ihr bemalten Hände und Blätter Gefährten auf einer Expedition durch das Gewebe der Natur, das von Bergen und Tälern, Pfaden und Abzweigungen erzählt. Am 12. Jänner beginnt ihre Ausstellung im OHO mit zwölf Blattwerken, die sie vor unterschiedlichsten Landschaftskulissen positioniert. Diese Blattscapes durchwandern im Zuge von Videoaufzeichnungen die Pfade von Wind, Schnee und Sonne. „Sie werden zu stummen Zeugen einer Welt, in der sich die Menschheit ihrer eigenen Lebensgrundlage beraubt.“

Nicole MÜHL / 27. Dezember 2023

Galerie der Reisenden Blätter No 317 (c) Andorrer 2023

Sie sammeln Blätter, die zum Teil von Pilzen, Schnecken und Insekten zerfressen sind, bearbeiten diese und haben mit den daraus entstehenden „Blattscapes“ eine ganz eigene Kunstform geschaffen. Wie darf man sich diesen Prozess vorstellen?

Angela Andorrer: Der Prozess beginnt schon beim Wandern in der Natur, beim Entschleunigen und Beobachten. Ich nehme Blätter mit, konserviere sie, presse sie über einen längeren Zeitraum. Dann behandle ich die Rückseite der Blätter, damit sie lange haltbar sind und erst danach fängt der künstlerische-gestalterische Prozess an. Dabei beschäftige ich mich mit jedem einzelnen Blatt so wie in einem Dialog zwischen mir und einer anderen Person. Es entstehen immer neue Unterhaltungen. Wenn das Blatt bricht, nähe ich es wieder zusammen – ähnlich wie bei einem chirurgischen Eingriff. Es ist für mich eine Metapher für den Prozess des Heilens der Natur.

Das ist ein sehr poetischer Zugang. Welchen Einfluss haben der Klimawandel und unser Umgang mit der Natur?

Die Blätter sind die Grundlage allen Lebens auf der Erde. Sie produzieren CO2, ohne das wir nicht existieren könnten. Mir wird immer klarer, warum ich mich so sehr auf die Blätter konzentriere: Jedes einzelne Blatt ist für mich eine Art Kniefall vor der Schöpfung. Ein Ausdruck der Verehrung und des  Respektes vor der Natur. Das ist auch der Grund, warum ich oft kleinere Blätter nehme und sie in Reliquienmonstranzen ausstelle, in denen sich normalerweise kleine Überreste von „Heiligen“ befinden, von denen man heute kaum mehr etwas weiß. Ich tausche diese aus und stelle die These auf, dass es heute mehr Sinn machen würde und zeitgemäßer wäre, die Natur zu verehren.

Bei Ihrer Ausstellung im OHO werden zwölf Blattscapes und zwölf Videos ausgestellt. 

Das sind Ausschnitte aus der Werkreihe „Galerie der Reisenden Blätter“. Die kleineren Blattscapes nehme ich dabei mit auf Wanderungen. Ich porträtiere sie vor unterschiedlichen Landschaften und filme sie. Die Blätter sind dabei der Witterung ausgesetzt. Ihre anfängliche Zerbrechlichkeit wirkt nach und nach immer stabiler. Die Blätter sind die Protagonisten, die in den unterschiedlichsten Jahreszeiten und Bedingungen im Fokus stehen. Man hört bei den Videos auch die Naturgeräusche. Bei der Ausstellung im OHO mit dem Titel „Leaf Stories“ sind zwölf Videos und die jeweiligen Blätter im Original zu sehen. Es sind unter anderem auch Szenen aus Spanien und Griechenland festgehalten, wohin ich die Blätter mitgenommen habe. Bei längerer Betrachtung weicht die fragile Schönheit dieser Blätter einer zunehmenden Stärke und Überlegenheit über den Menschen. Die Blätter werden zum stummen Zeugen einer Welt, in der sich die Menschheit ihrer eigenen Lebensgrundlage beraubt. 

Sie sind als Künstlerin international tätig – Kanada, Berlin, München, natürlich Wien etc. – am 12. Jänner kommen Sie ins OHO. 

Es passiert so viel tolle und spannende Kunst und Kultur in den ländlichen Regionen. Die Menschen sind da oft sogar viel offener der Kunst gegenüber, vielleicht weil das Überangebot nicht da ist. Ich habe einige burgenländische Freunde und weiß, dass das OHO legendär ist. Warum sollte Kunst und Kultur denn immer nur in den Hauptstädten stattfinden? Die Ausstellung am 12. Jänner im OHO wird eine Art Teaser für eine größere, die geplant ist.

Hoffentlich dann auch mit Ihren Handscapes, die diesmal ja nicht gezeigt werden. 

Das entscheiden die OHO-Galerie Managerin Eva Brandstätter und ich gemeinsam. Und ja, das ist ein sehr persönlicher Prozess. Die Person, deren Hände ich bemale, lässt sich auf eine gemeinsame Reise mit mir ein. Wir entdecken zusammen die Landschaft, die die Hand in sich birgt.

Angela Andorrer

ANGELA ANDORRER …

… wurde in Kanada als Tochter eines Antarktis- und Marsforschers geboren. Sie studierte Kunst bei Kiki Smith, in Montreal und München. Seit 2000 unterhält sie eine aktive künstlerische Praxis, einschließlich Teilnahmen an diversen internationalen Biennalen, Ausstellungen, Residencies (u.a. Los Angeles, Kopenhagen und Belgrad) und Projekten im öffentlichen Raum. Sie lebt und arbeitet in Klosterneuburg und Wien. Derzeit schließt sie einen großen Handscapes-Auftrag für das Stift Klosterneuburg ab. www.andorrer.at

LEAF STORIES
Vernissage: 12. Jänner 2024, 19 Uhr, OHO
Musik: Vera Maria Kessler / Uraufführung: „Ode an das Blatt“, Eintritt frei

ARTIST LOUNGE – Talk & Wein:
18. Jänner 2024, 19.30 Uhr: Ein gemütlicher Abend mit Angela Andorrer im OHO.

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