Kinderarmut in Österreich – kann die Kindergrundsicherung das ändern?

In Österreich lebt jedes fünfte Kind in Armut oder ist davon bedroht – oft unsichtbar, aber mit gravierenden Folgen. Wie wirksam eine Kindergrundsicherung hier ansetzen kann, haben wir die Präsidentin der Volkshilfe Burgenland, Verena Dunst, gefragt. Sie spricht über eine tiefgreifende Reform, die soziale Isolation beenden und faire Chancen für alle ermöglichen soll.

Nicole MÜHL / 3. Juli 2025

Keine Einladung zu Geburtstagsfeiern, leere Jausenboxen – Kinderarmut hat viele Gesichter

Kinderarmut ist für viele ein Begriff, der nicht in Österreich stattfindet. Wo erleben Sie sie im Alltag? 

Verena Dunst: Kinderarmut ist in Österreich leider Realität, auch wenn sie oft nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Sie zeigt sich im Alltag auf ganz einfache, aber schmerzhafte Weise:

Ein Kind kann nicht selbst Geburtstag feiern, weil sich die Eltern das nicht leisten können. Das führt häufig dazu, dass es auch von anderen Kindern nicht eingeladen wird. So entsteht schon im frühen Kindesalter ein Teufelskreis: Diese Kinder sind sozial isoliert und ihr Start ins Leben gestaltet sich entsprechend schwierig.

Andere Beispiele sind: Kinder, die ohne Jause in die Schule kommen. Kinder, die bei Schulausflügen oder Sportkursen nicht mitmachen können, weil das Geld fehlt. Kinder, die keinen eigenen Schreibtisch, keinen Computer oder keine ruhige Ecke zum Lernen haben. Jugendliche, die keine Nachhilfe bekommen, obwohl sie sie dringend bräuchten.

Oft schämen sich betroffene Kinder – sie ziehen sich zurück oder entwickeln psychische Probleme. Das wirkt sich langfristig auf ihre Bildungschancen und das Selbstwertgefühl aus.

Was ist die Kindergrundsicherung überhaupt und was soll sie bewirken? 

Die Kindergrundsicherung ist eine Forderung der Volkshilfe zur Reform der finanziellen Unterstützung für Kinder in Österreich. Ziel ist es, jedem Kind eine faire finanzielle Basis zu geben, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Sie soll helfen, Kinderarmut zu beenden, indem alle Kinder einen fixen monatlichen Betrag erhalten – gestaffelt nach dem Einkommen der Eltern. Je ärmer die Familie, desto höher der Betrag.

Was bedeutet das  konkret für Kinder? 

Im Beispiel mit der genannten Geburtstagsparty heißt das, dass ein Kind, das heute aus finanziellen Gründen nicht teilnehmen kann, mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen hätte. Die Familie hätte mehr finanziellen Spielraum für alltägliche Dinge – wie ein kleines Geschenk, Kleidung oder die Fahrt zur Feier. Das Kind würde sich nicht ausgeschlossen fühlen und könnte gleichberechtigt teilhaben.

Welche Leistungen sollen in der Kindergrundsicherung zusammengeführt werden und wie hoch ist der mögliche Betrag?

Die Kindergrundsicherung soll verschiedene bestehende Geldleistungen bündeln – zum Beispiel Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag, Familienbonus Plus, Mehrkindzuschlag sowie weitere einkommensabhängige Unterstützungen.

Das Modell der Volkshilfe sieht eine monatliche Unterstützung für Kinder vor, die sich je nach Einkommenssituation der Familie staffelt. Durch diese Umverteilung wird das Geld gezielter dort eingesetzt, wo es am meisten gebraucht wird.

Wer hat Anspruch auf die Kindergrundsicherung und wie wird sie beantragt?

Anspruch hätten grundsätzlich alle Kinder, die in Österreich leben.

Das Modell sieht vor, dass die Höhe der Unterstützung automatisch berechnet wird – je nach Haushaltseinkommen.

Das bedeutet: Keine komplizierten Anträge, keine stigmatisierenden „Bittgänge“ zum Amt – sondern ein einfaches, gerechtes System, das allen Kindern zugutekommt.

Wie genau könnte die Kindergrundsicherung wirken?

Die Kindergrundsicherung bringt viele Vorteile: Sie beendet die Kinderarmut. Rund 350.000 Kinder in Österreich leben in Armut oder sind davon bedroht – das System würde das Problem gezielt lösen. Sie stärkt Familien. Besonders einkommensschwache Familien werden entlastet. Sie vereinfacht das System. Anstatt vieler Einzel-Leistungen gibt es eine übersichtliche, gerechte Grundsicherung. Sie bietet gleiche Chancen für alle. Kinder haben bessere Bildungschancen, mehr Teilhabe, eine bessere Infrastruktur und gesündere Entwicklungsmöglichkeiten.

Es ist eine Investition in die Zukunft. Wer heute gegen Kinderarmut kämpft, spart langfristig an Sozialausgaben und stärkt die Gesellschaft.

Die Reform wird von Kritikern als reine Verwaltungsmaßnahme gesehen, die das Problem der Kinderarmut nicht grundsätzlich löst. Um Armut zu bekämpfen, brauchen Familien schlicht und einfach mehr Geld.

Diese Kritik ist berechtigt, wenn die Reform nur verwaltungstechnisch gedacht ist – also einfach bestehende Leistungen zusammenführt, ohne die Beträge spürbar zu erhöhen.

Die Volkshilfe-Kindergrundsicherung setzt aber genau dort an:

Sie fordert eine echte Umverteilung und deutlich höhere Beträge für armutsgefährdete Kinder. Damit ist sie nicht nur eine Verwaltungsmaßnahme, sondern ein konkretes Instrument gegen Armut.

Denn: Ja, Familien brauchen mehr Geld – und zwar verlässlich, gerecht verteilt und ohne Hürden. Genau das will die Kindergrundsicherung ermöglichen.

Können solche Regelungen aber nicht auch dazu führen, dass sich die Erwerbstätigkeit für viele dann weniger auszahlt, weil sich der finanzielle Vorteil durch Arbeit verringert?

Davon ist nicht auszugehen. Die Kindergrundsicherung stellt sicher, dass dieses Geld gezielt den Kindern zugutekommt – sie ist keine allgemeine Sozialleistung für Erwachsene, sondern eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft. Die Volkshilfe hat in mehreren Pilotprojekten bereits erfolgreich getestet, wie diese Unterstützung wirkt. Dabei mussten Eltern genau dokumentieren, wofür sie das Geld verwendet haben – etwa für Ernährung, Kleidung, Lernmaterialien oder Freizeitangebote. Die Ergebnisse zeigen klar: Kinder, die von dieser Förderung profitieren, haben deutlich bessere Chancen auf Bildung, Gesundheit und soziale Teilhabe. Es geht also nicht darum, Erwerbsanreize zu verringern, sondern darum, Kinderarmut wirksam zu bekämpfen und echte Chancengleichheit zu schaffen.

Eine ältere Frau sitzt an einem Schreibtisch mit Volkshilfe-Schild, umgeben von Büromaterialien und Unterlagen.

Volkshilfe Burgenland Präsidentin Verena Dunst setzt sich für die Kindergrundsicherung ein – als Mittel, um Kinderarmut zu bekämpfen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert