Nicole MÜHL / 3. Juli 2025
© Willy Puchner
In seinem neuen Buch „Ansichten der Natur“ lädt Willy Puchner auf eine wahre Entdeckungsreise ein – mit märchenhaftem Flair, liebevollen Szenen durch ausdrucksstarke Illustrationen.
Ihr Buch öffnet eine Schatzkiste voller Naturerlebnisse – vom Duft des Meeres bis zu Naturheilmitteln mit wohlklingenden Namen. Welche dieser Entdeckungen war für Sie persönlich die überraschendste – und warum?
Willy Puchner: Am überraschendsten war für mich, wie ein ganz einfacher Geruch – der von Thymian, Pfefferminze oder feuchtem Moos – plötzlich eine Erinnerung wachrufen kann, die längst verloren schien. Es ist nicht immer das Große, Spektakuläre, das berührt. Manchmal genügt ein kleiner Windstoß am Meer oder der Name einer Pflanze, um mich innehalten zu lassen. Diese leisen Entdeckungen sind für mich die kostbarsten.
Sie zitieren Humboldt und Linné und sprechen von einem Dialog mit der Natur. Wann haben Sie das Gefühl, dass die Natur zu Ihnen zurückblickt?
Wenn ein Tier mich ansieht – ein Vogel, eine Kuh oder mein Kater Tiger – und es einen Moment lang ganz still wird, spüre ich etwas wie einen Blick zurück. Auch Bäume, finde ich, können schauen. Nicht mit Augen, aber mit ihrer Art zu stehen, zu atmen, zu leben. In solchen Momenten vergesse ich, wer der Beobachter ist. Es wird still, und ich bin einfach nur da.
Das Ginkgo-Blatt ziert das Cover und bildet eine Bildseite – ein lebendes Fossil, Symbol der Beständigkeit. Welche Verbindung spüren Sie zwischen diesem Symbol und den Themen Ihres Buches?
Der Ginkgo steht für etwas Zeitloses. Er hat Jahrmillionen überdauert und sieht dabei aus wie ein Gedicht – seine Blätter wie Hände, die sich öffnen. In meinem Buch geht es oft um das Staunen über das Einfache, um das Überleben des Zarten. Das Ginkgoblatt erinnert mich daran, wie alt, wie weise und wie verletzlich Natur ist. Es passt genau zu meinem Blick auf die Welt.
Sie lassen Tiere und Pflanzen selbst zu Wort kommen. Welche Art sprachlicher Perspektive war für Sie am herausforderndsten: die der Blumen, der Insekten oder vielleicht der Pilze – und warum?
Am schwierigsten war es, den Pilzen eine Stimme zu geben. Sie leben im Verborgenen, wachsen im Dunkeln, bilden Netzwerke, die wir kaum kennen. Ihre Sprache müsste leise, vorsichtig, vielleicht sogar geheimnisvoll sein. Ich wollte ihnen gerecht werden, ohne sie zu verniedlichen. Pilze erzählen von Verfall und Verwandlung – das wollte ich spürbar machen.
Ihre Naturansichten erinnern an Skizzenbücher eines reisenden Philosophen – handschriftlich, collageartig, poetisch. Wie wichtig ist Ihnen das Handgemachte in einer zunehmend digitalisierten Welt?
Das Handgemachte ist für mich ein Gegenentwurf zur Geschwindigkeit. Ein Bleistiftstrich braucht Zeit, und jede kleine Ungenauigkeit ist ein Teil der Geschichte. In einer Welt, in der vieles glatt und perfekt erscheint, vertraue ich lieber dem Zittern der Hand. Meine Seiten entstehen langsam – sie dürfen atmen, dürfen Fehler haben. Darin liegt für mich etwas Echtes, etwas Menschliches.
Sie schreiben: „Die Natur verneigt sich nicht vor mir, sondern ich vor ihr.“ Ein sehr berührender Satz, der genauer betrachtet werden muss.
Dieser Satz ist für mich eine Haltung. Er bedeutet: Ich bin nicht Mittelpunkt, nicht Herrscher. Ich bin Teil eines Ganzen – und oft ein sehr kleiner Teil. Wenn ich mich vor der Natur verneige, tue ich das aus Ehrfurcht. Weil ich spüre, wie viel größer, älter, weiser sie ist als ich.
In Ihren Seiten wirken Wort und Bild wie zwei Stimmen eines inneren Gesprächs. Entwickeln Sie zuerst die visuelle Welt oder den poetischen Text – oder entstehen beide im gleichen Atemzug?
Manchmal beginnt es mit einem Bild, manchmal mit einem Satz. Oft ist es aber eher ein Gefühl, das beides gleichzeitig hervorbringt – wie zwei Stimmen aus derselben Quelle. Ich schreibe und zeichne im Wechsel, lasse mich überraschen. Wichtig ist mir, dass beides miteinander spricht, nicht übereinander. Es ist ein innerer Dialog, der sichtbar wird.
Viele Ihrer Werke wirken wie visuelle Meditationen. Gibt es für Sie einen Ort oder Moment in der Natur, an dem Sie sich vollständig im kreativen Flow verlieren?
Am Meer verliere ich oft jedes Zeitgefühl. Der Rhythmus der Wellen, das Licht, das sich ständig verändert – das öffnet etwas in mir. Auch beim Gehen durch den Wald, wenn ich alleine bin, entsteht oft so ein Zustand. Dann zeichne ich nicht sofort, sondern schaue, höre, rieche. Und später, manchmal erst Tage danach, beginnt das Gestalten.
Sie arbeiten mit Erinnerungen, Gerüchen, Farben, winzigen Fundstücken – fast wie ein naturkundlicher Poet. Welche Rolle spielt das Archivieren und Sammeln für Ihre künstlerische Identität?
Ich bin ein Sammler von kleinen Dingen – schöne Papiere, getrocknete Blätter, Fundstücke aus der Natur, Zettel mit Sätzen, die ich unterwegs notiert habe. Dieses Archiv wächst über Jahre, es ist ein Teil von mir geworden. Es hilft mir, Zusammenhänge zu erkennen, Spuren zu folgen. Viele Seiten in meinem Buch wären ohne dieses stille Sammeln gar nicht möglich gewesen.

(Fotos©Willy Puchner)



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