Reportage

Wohnen in Hartberg als Experimentierfeld

„Deine Idee für Hartberg“. Unter diesem Slogan wurde die Bevölkerung Hartbergs Ende des vergangenen Jahres aufgerufen, eigene Ideen für die städtische Entwicklung einzureichen. Diese dienten als Impuls für Konzepte des Grazer Instituts für Wohnbau an der TU unter Prof. Andreas Lichtblau. prima! auf Ideensuche.

Foto: zVg

Nicht umsonst werden die Worte „wohnen“ und „leben“ oft synonym verwendet. Die Wohnsituation bestimmt durchaus mit, wie wir durchs Leben gehen. Oder wie Prof. Andreas Lichtblau, Leiter des Instituts für Wohnbau an der Technischen Universität (TU) Graz, sagt: „Man kann einen Menschen mit einer Axt oder mit einer Wohnung erschlagen.“ Seine Konzepte haben etwas von seinem schwer zu fassenden Blick, der nicht still zu stehen scheint. Statt klarer Grenzen, exakt umrissener Konzepte und genau definierter Zielgruppen plädiert Lichtblau vielleicht nicht für die vollkommene Aufhebung aller Grenzen, wohl aber für das Aufweichen derselben. Schnell redet er sich in Rage über neue Arten des Wohnens, wobei bei ihm „wohnen“ eben nicht diese ganz klare Grenze der privaten Wohnung darstellt, sondern eher ein weiter gefasster Begriff ist, der durchaus die gesamte Lebenssituation betreffen kann: Da geht es um die Aufhebung der Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem, zwischen wohnen und arbeiten, innen und außen. Hierzu erklärt er: „Ein gutes Beispiel sind die Erdgeschoße. Lange waren sie reine Verkaufsflächen für Läden, das Wohnen betraf die oberen Stockwerke. Aber mit der Verknappung des Wohnraums, vor allem in Städten, drückt es die Menschen förmlich in die Erdgeschoße zurück.“

Was aber nicht unbedingt heißt, dass Lichtblau nun Erdgeschoße rein als Wohnungen nutzen möchte, sondern er setzt sich für „multifunktionale“, offene Formen von Raumkonzepten ein: Ein Ort, der als Werkstatt, Wohnraum, Verkaufsfläche etc. genutzt werden kann. Ein Vorgarten, der nicht umzäunt, streng von der Außenwelt abgegrenzt ist, sondern die Umwelt mit einbezieht. Dies ist möglich, indem zum Beispiel eine Bank oder ein Tischchen aufgestellt sind und die Möglichkeit einer Kommunikation mit der Außenwelt eröffnet wird – ohne sie notwendigerweise zu erzwingen. Schließlich kann man ebenso stumm und unbeteiligt auf der Bank sitzen und die Menschen außerhalb des eigenen Grundstückes wie einen Umzug vorüber ziehen lassen.

Ideen für Hartberg

Was nun passiert, wenn diese offene Gedankenwelt, die einem auf den ersten Blick urban, auf multikulturelle Metropolen zugeschnitten vorkommt, auf eine eher beschauliche österreichische Stadt wie Hartberg trifft, konnte man bei der Projektpräsentation des Seminars „(un)gewohnt_produktiv“ in Hartberg am 15. Juli dieses Jahres bestaunen. Aufgabe der Studierenden war es, auf Grundlage der eingegangenen „Idee(n) für Hartberg“ eigene Vorschläge für die Stadt zu entwickeln.
Da war unter anderem von der „freilich(t) bühne“ die Rede, eine Holzplankenkonstruktion, die sich über den Hauptplatz bis zum Innenhof bei der Stadtbücherei ziehen sollte und dort in eine Freilufttribüne mündet. Die Planerin Lena Ruisz beschreibt ihr Projekt so: „Der Alltag wird zum Schauspiel, Fremde zum Publikum. ‚szene hartberg‘ (so der Titel ihrer Idee, Anm. d. Red.) kann sich sehen und hören lassen. Die entstehenden Geräusche auf dem Holz liefern den perfekten Titelsong zum Leben in Hartberg.“ Die Metapher der „Bühne“ ist für Prof. Lichtblau eine perfekte Umschreibung seines gesamten Konzeptes, das wiederum die Grenze zwischen Zuschauer und Akteur zum Verschwinden bringt. Das zugrundeliegende Thema, das dieses Projekt bearbeitet hat, war einerseits den Hauptplatz zu beleben, andererseits ihn möglichst autofrei zu halten.

Ein ganz anderes Thema liegt dem Projekt „begrünung_hofgasse_hartberg“ zugrunde. Oft wurde in den eingereichten Ideen für Hartberg eine Überdachung der Fußgängerzone und allgemeine Begrünung gefordert. Studentin Martina Hausegger greift beides heraus und will mit begrünten Säulen, die durch ein Geflecht oben miteinander verbunden sind, die „Illusion eines Daches“ schaffen und mit der entstehenden „Gesamtskulptur“ ein „entspannendes Umfeld“ erzeugen.

Die Idee der Erdgeschoßwohnungen hat Viktoria Brunner aufgegriffen und verdeutlicht am Beispiel der Wienerstraße 9 und 11, wie ein moderner Lebensraum gestaltet sein könnte: Die ehemaligen Schaufenster werden mit vertikal öffnenden Fenstern in ihrer Größe beibehalten, die, so Brunner, „einen guten Ausblick bzw. Einblick ermöglichen.“ So entsteht bei Öffnung der Fenster ein Zwischenraum zwischen innen und außen. Flexibilität bei der Raumteilung ergibt sich, indem nicht neue Wände eingezogen, sondern Vorhänge aufgestellt werden.

Ziel, so Lichtblau, sei aber auch hier, nicht gleich komplett umsetzbare Pläne zu entwickeln, die genaue Vorgaben enthalten, sondern Gedankenräume aufzumachen, Möglichkeiten aufzuzeigen, die wiederum Impulse für bauliche Maßnahmen vor allem bei den Leerständen in der Innenstadt geben könnten. Ob allerdings diese sehr freie universitäre Herangehensweise für die Hartbergerinnen und Hartberger, die selbst mit ihren Ideen für die Stadt teilweise sehr komplexe und auch recht konkrete Impulse setzten, der angemessene Weg ist und ob am Ende mehr als Luftschlösser gebaut werden, wird sich zeigen.


TU-Professor Andreas Lichtblau
TU-Professor Andreas Lichtblau hat mit Studierenden einige Ideen für Hartberg planerisch umgesetzt.

Thema Begrünung
So widmet sich dem Thema Begrünung die Studentin Martina Hausegger.

Projekt „szene hartberg“
Das Projekt „szene hartberg“ von Lena Ruisz ist ebenfalls aus dem Aufruf „Deine Idee für Hartberg“ an die Bevölkerung entstanden

Erdgeschoßwohnungen
Erdgeschoßwohnungen in der Hartberger Wienerstraße stehen bei der Planung von Viktoria Brunner im Fokus.

Erdgeschoßwohnungen
Statt Wände als Raumteiler einzuziehen, greift sie beispielsweise auf Vorhänge.

Idee(n) für Hartberg zur Belebung und Nutzung der Innenstadt

20.12.2020:
„Deine Idee für Hartberg“ startet. Die Bevölkerung ist aufgerufen, Ideen zur Stadtentwicklung einzuschicken. 61 Ideen wurden eingereicht.

15.07.2021:
Die Ideen wurden von Student*innen der TU Graz aufgegriffen, die daraus 21 Vorschläge formulierten und präsentierten. Im Herbst 2021 ist ein Impulsabend mit möglichen Geldgebern und betroffenen Eigentümer*innen geplant. Dies soll als weiteres Projekt der TU Graz im Rahmen des Masterstudienganges durchgeführt werden. Die genauen Umsetzungsschritte sind noch ungewiss, einzelne Verwirklichungen jedoch geplant. Kosten für Hartberg nach Abzug aller angesuchten Förderungen für die Ideen und Planungen: ca. 7.000 Euro.


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