Interview

„Das wird schlimm und teuer!“

Walter Reiss im Gespräch mit dem bekannten langjährigen ORF-Wirtschaftsredakteur und Buchautor Walter Sonnleitner.

Foto: Walter Reiss

Walter Sonnleitner

 

Wenn man über 40 Jahre lang als gelernter Wirtschaftswissenschafter und TV-Fachredakteur die heimische und internationale Ökonomie beobachtet und erklärt hat: Was geht einem da beim Corona-Lockdown durch den Kopf?

Walter Sonnleitner: Meine erste Reaktion war eigentlich logisch: Das wird schlimm. Wenn von einem Tag auf den anderen Unternehmen geschlossen und auf null heruntergefahren werden, hat das schwere Folgen für Firmen und Beschäftigte. Die Bundesregierung hat mit der Aktion Kurzarbeit zwar gut reagiert, aber eines war klar: Das wird sicher teuer. Bis wir das abgezahlt haben, wird es Generationen dauern.

Während wir hier in Schölbing bei Hartberg dieses prima!-Gespräch führen, werken im Hintergrund Baumaschinen: Es werden Datenkabel verlegt. Man sieht also, dass digitale Kommunikation und dazugehörige Branchen in Coronazeiten boomen und profitieren.

Walter Sonnleitner: Corona hat nicht nur Schaden verursacht. Es hat sich in einigen Monaten unglaublich viel geändert: Vieles zum Positiven. Vor 20 Jahren haben Zukunftsforscher schon gesagt: Das tägliche Fahren zur Arbeit wird zu Ende gehen. Lange hat sich daran nichts geändert, plötzlich waren viele bereit, zu Hause zu arbeiten. Manager und Politiker fliegen nun nicht mehr Luxusklasse und frequentieren noble Hotels. Büromenschen videokonferieren von zu Hause mit Kolleginnen und Kollegen und müssen auch nicht Kleid oder Anzug tragen. Das kam nun dazu zur weltweiten Kommunikation via Web. Und auch der Online-Handel ist ja schon marktbestimmend. Allerdings profitieren da nur große internationale Konzerne.

„Zum Weinen zumute“

Nicht nur Wirtschaft war und ist für dich ein Thema, sondern auch persönliche Schicksale: Deine erste und auch deine zweite Ehefrau sind an Krebs gestorben und du selbst hast vor 23 Jahren die Diagnose Krebs bekommen. So entstand 2004 das Buch „Das Leben mit dem Tod“.

Walter Sonnleitner: Das hat mich alles sehr geprägt. Es war mir ein Bedürfnis, anderen Menschen zu sagen, wie man diesen Schock und die Krankheit bewältigen kann. Ich schreibe über ein kräfteraubendes Dreieck: Den sterbenden Angehörigen Kraft und Mut zu geben, den Kindern Zuversicht zu vermitteln und sich dann noch im Berufsleben – ich war als ORF-Journalist oft vor der Kamera – nicht anmerken zu lassen, dass einem eigentlich zum Weinen zumute ist.

„Wie ein Vogel im Käfig“

Im Homeoffice hier in der Oststeiermark entsteht nun das neue Buch „Die Coronafalle – Vom Wutbürger zum Angstbürger“. Es soll im September erscheinen. Wie funktioniert die Corona-Falle und wen erwischt sie?

Walter Sonnleitner: Es ist wie beim Rauchverbot oder bei der Gurten- oder Helmpflicht: Sie wurden verfügt, um andere Menschen und wohl auch sich selbst zu schützen. Um also die Gesellschaft zu schützen, müssen Regierende in verfassungsmäßig garantierte Freiheitsrechte eingreifen. Corona hat vielen z.B. das Recht, das eigene Leben zu finanzieren, genommen. Da hat der Staat verfügt, dass von heute auf morgen viele kein Einkommen mehr haben. Die Rechte des Einzelnen werden eingeschränkt, wenn es um das Wohl der Gesamtgesellschaft geht. Man nennt das – etwas verharmlosend – Gemeinwohl. Viele Philosophen haben schon davon gesprochen, dass sich das eigene Wohl dem Gesamtwohl unterzuordnen hat.

Das klingt ja logisch und vernünftig…

Walter Sonnleitner: Ja, es kann aber auch – siehe Hitlers NS-Regime oder die chinesische Form des Kommunismus – gefährlich, grausam und menschenverachtend eingesetzt werden. In westlich geprägten Demokratien gelingt hier noch die Balance. Gefährlich wird es in diktatorischen oder autokratischen Regimen: Wer anders denkt, wird bestraft. Wenn Corona weitergeht, werden einschränkende Ausnahmebestimmungen verlängert und schleichend landen wir in einer Politik, die die Menschen steuert. Eine „neue Normalität“ darf nicht zur Falle werden. Es ist wie in einem Vogelkäfig: Ein frei fliegender Vogel ist ja der Inbegriff der Freiheit. Steckt man ihn in einen Käfig, geht es ihm scheinbar gut: Er ist vor der Katze geschützt, bekommt immer was zum Fressen und singt dafür brav. Aber er kann nicht mehr hinaus! Eine tückische Falle. Es gilt also für Regierende wie auch die Opposition, Maßnahmen kritisch zu hinterfragen. Aber auch wir als Bürgerinnen und Bürger müssen das tun. Wir dürfen uns an eine freiheitsraubende Falle einfach nicht gewöhnen.

„Schon wieder!“

Fast gewöhnen müssen wir uns wohl auch an Bankskandale: 1998 kracht die Grazer Riegerbank mit einem Schaden von 50 Millionen Euro. Im Jahr 2000 fliegt der Bank-Burgenland-Skandal auf: Schaden 130 Millionen Euro. Erinnern wir uns an die BAWAG-Affäre mit einer Schadenssumme von 6,5 Milliarden Euro oder an die Hypo-Alpe-Adria. Und jetzt sind bei Martin Puchers Commerzialbank Mattersburg etwa 700 Millionen Euro weg. Was ist da los im Bankenwesen?

Walter Sonnleitner: „Schon wieder!“ hab ich mir gedacht. Es ist immer wieder dieselbe Szenerie und derselbe Ablauf. Da gibt es immer zunächst eine schillernde Einzelperson. Das war bei der Riegerbank genauso wie bei Helmut Elsner an der Spitze der BAWAG oder denken Sie an den Herrn Hom-Rusch bei der Bank Burgenland. Diese Personen hatten immer auch gute Freunde in der Politik. Und diese Personen sind fast immer auch Mäzene: Egal, ob in der Kultur, im Sozialbereich oder im Sport – wie im Fall Mattersburg. Als Förderer eines Fußballklubs gilt man hierzulande sowieso als Hero. Fans eines Vereines würden einem Geldgeber alles verzeihen.

Ist es die enge Verflechtung von Finanzwelt und Politik, die hinter Skandalen steckt und unsaubere Geschäftspraktiken deckt und es auch so schwer macht, sie aufzudecken?

Walter Sonnleitner: Ja, in irgendeiner Form waren in der Vergangenheit regierende Parteien mehr oder weniger mit verantwortlich. Wobei man dann immer einen Prügelknaben gefunden hat. Egal, ob in Kärnten oder in der BAWAG oder in der Bank Burgenland.

Bei der Commerzialbank Mattersburg wird man wohl keinen Sündenbock mehr suchen müssen?

Walter Sonnleitner: Ja. Da scheint die Hauptverantwortung wohl klar zu sein. Und wie bei früheren Bankaffären wird es auch hier nicht anders sein: Es dauert Jahre und Jahrzehnte, bis alles herauskommt.

„Die Leute blöd sterben lassen“

Müssen wir uns an Korruption und Kontrollversagen gewöhnen?

Walter Sonnleitner: So grauslich das ist: Wie es scheint, ist Korruption Teil unseres Wirtschaftssystems. Die einen verschaffen sich Profit, andere zahlen drauf. Und was die Kontrolle betrifft: Gerade bei der CMB gab es Aufsichtsräte, die nicht Wirtschaft studiert haben, die nicht wussten, wie Buchhaltung funktioniert oder was ein Deckungsbeitrag ist. Die haben nichts zu reden gehabt. Und so manche Vorstände – z.B. früher in der Verstaatlichten Industrie – haben „gelernt“, wie man einen Aufsichtsrat behandelt: Vorstandsberichte und Unterlagen werden zu Beginn der Sitzung den Aufsichtsräten als sogenannte „Tischvorlage“ in die Hand gedrückt. Wer sich fachlich nicht wirklich auskennt, durchblickt das dicke Paket an Unterlagen nicht. Wer den Sachverstand nicht hat, nickt eben Beschlüsse einfach ab. Schon von den Bestimmungen her hat man als Bankvorstand die Möglichkeit, die Leute blöd sterben zu lassen. Und Buchprüfer haben vielleicht manchmal doch den Auftrag ihrer Chefs, ein wenig „die Brille wegzulegen“ und nicht so genau hinzusehen. Ob dieses Wegschauen Absicht war, wird man nicht beweisen können. Aber einem erfahrenen Prüfer müsste doch aufgefallen sein, dass etwas nicht stimmen kann. Oder fast zynisch angemerkt: Wenn schon bei der BAWAG ein Schaden von 6,5 Milliarden Euro nicht entdeckt wurde, wie sollte das dann bei den 700 Millionen Euro bei der Commerzialbank Mattersburg auffallen?

In der wohl andauernden Coronakrise wartet alle Welt auf einen Impfstoff gegen Covid 19. Wird da in einer durch die Pandemie angeschlagenen Weltwirtschaft nicht erst recht ein totaler und globaler Handels- und Preiskrieg ausbrechen? Wittern Pharmakonzerne und Staaten schon das große Geschäft mit dem Effekt, dass nur zahlungskräftige Länder zugreifen können, ärmere hingegen wieder durch die Finger schauen?

Walter Sonnleitner: Da wird es wohl gewaltige Milliardengewinne der Pharmaindustrie geben. Wobei man bedenken muss, dass einige der größten Pharmaerzeuger in China zu Hause sind. Auf der anderen Seite steht das große Konglomerat der Pharmaindustrie mit europäischen und US-amerikanischen Herstellern. Donald Trump hat sich schon 100 Millionen an Einzeldosen gesichert. Wenn dann bei uns über die Krankenkassen der Impfstoff kommt, dann wird der Staat, dann werden wir alle dafür bezahlen. Und dann werden wir die ohnehin schon laufende Diskussion über die Impfflicht und damit auch über Freiwilligkeit und persönliche Freiheit intensiv führen müssen. Damit wären wir wieder bei der sensiblen Frage der Freiheit in der „Corona-Falle“.


Walter Sonnleitner: Oststeiermark – Wien – und retour
Walter Sonnleitner – ein nach wie vor bekanntes „ORF-Urgestein“ – ist Publizist, Wirtschafts- und Lebensberater. Er ist Jahrgang 1947 und stammt aus Sinnersdorf. Er maturiert an der HAK Oberwart und absolviert Wirtschaftsstudien in Wien, St. Gallen und München. Im ORF beginnt er vorerst nicht als Redakteur, sondern in der Honorarverrechnung und Musikabteilung. 1979 ist er Gründungsmitglied der Redaktion des TV-Magazins „Schilling“ (heute „eco“), liefert Berichte und Live-Analysen für die „ZIB“ und gestaltet TV-Dokumentationen. 2010 folgt ein kurzer Ausflug in die Wiener Stadtpolitik: Für das BZÖ tritt er als parteifreier Kandidat an, der Einzug in den Landtag wird deutlich verfehlt.

Seine Gabe, komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen, ist auch nachzulesen in mehreren Büchern: „Steuerwege in die EU“ (1995), „Wie funktioniert Wirtschaft wirklich?“, „Stirb Bankrott!“ (2009). Ein Verkaufshit war „Erben und erben lassen“ (2001). Persönliches thematisiert er – nach dem Krebstod seiner ersten und zweiten Ehefrau und eigener Krebsdiagnose - in „Das Leben mit dem Tod“ (2004).

Er lebt und arbeitet heute in Schölbing bei St. Johann in der Haide. Dort entsteht im Homeoffice sein neuestes Buch „Die Corona-Falle. Vom Wutbürger zum Angstbürger“. Es erscheint im Herbst im Verlag Frank&Frei der Team Stronach Akademie.

ZiB
Walter Sonnleitner (re.) ist unter anderem bekannt durch seine Live-Analysen in der ZiB
.

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