Interview

„Die Weltlage schaut nicht gut aus“

Kindheit in Rohrbach an der Teich bei Mischendorf, Karriere in New York: Spitzendiplomat Thomas Stelzer im prima!-Gespräch mit Walter Reiss.

Foto © Walter Reiss

Spitzendiplomat Thomas Stelzer

 

Ihre neue Aufgabe in Österreich, der Corona-Lockdown und der Stopp aller Auslandsreisen haben Sie Ihrer Heimat nähergebracht. Wenn Sie nun beispielsweise ein Bekannter im Burgenland nach Ihrem derzeitigen Job fragt: Was antworten Sie ihm?

Thomas Stelzer: Ich leite die Internationale Antikorruptionsakademie. Das ist eine zwischenstaatliche Organisation mit 80 Mitgliedsländern. Übrigens weltweit die einzige internationale Einrichtung, die sich ausschließlich mit Korruptionsbekämpfung befasst. Wir sind aber keine Staatsanwaltschaft, die Korruption verfolgt, sondern wir machen Prävention. Wir versuchen zum Beispiel, dem Justizpersonal aus vielen Ländern zu helfen, die Strafgesetzgebung so zu gestalten, dass Korruption wirksam bekämpft werden kann. Korruption darf nicht straflos bleiben.

Der betrügerische Missbrauch öffentlicher Gelder wird allgemein als Korruption verstanden. Man hat den Eindruck, dass es sie immer schon gegeben hat und sie nicht auszumerzen ist. Wie korrupt ist diese Welt?

Thomas Stelzer: Es gilt, ein Bewusstsein für Korruption zu schaffen. Es gibt dafür keine global gültige Definition. Was als Korruption gilt, ist von Staat zu Staat verschieden und wird dort in Gesetzen formuliert. Ganz wichtig ist aber, zu erkennen, wo der Unterschied liegt zwischen Schlamperei, Großzügigkeit, Nachlässigkeit und strafwürdigem Verhalten. Es geht um Kriminalisierung der Korruption. Wer sich unrechtmäßig einen Vorteil verschafft, der ihm nicht zusteht, der handelt korrupt. Korruption ist wie ein Krebsgeschwür. Sie schadet jedem, dem ganzen Gemeinwohl. Sie nützt nur kurzfristig dem Profiteur. Und sie nützt ihm vor allem dann, wenn es keine entsprechende Rechtsordnung und unabhängige Antikorruptionsstaatsanwälte gibt.

„Österreich ist auch kein Paradies“

Korruption ist ja schwer messbar, weil verdeckte und versteckte Dollar- oder Euro-Millionen- und -Milliardengeschäfte illegal ablaufen. Man kennt das genaue Ausmaß nicht. Trotzdem gibt es ein internationales Ranking, Da zählt Österreich auf Platz 14 unter 179 Ländern zu den eher „Braven“.

Thomas Stelzer: Österreich ist eine hoch entwickelte Gesellschaft. Hier gibt es weniger Korruption als anderswo. Aber Österreich ist auch kein Paradies.

Stichwort Ibiza-Skandal…kann Österreich in Sachen Korruptionsbekämpfung auch noch etwas lernen?

Thomas Stelzer: Als internationale Organisation beurteilen wir Mitgliedsstaaten prinzipiell nicht. Es liegt mir fern, Österreich hier ein Zeugnis auszustellen.

Eine gekonnt diplomatische Antwort…

Thomas Stelzer: Na ja, eines kann man schon sagen: Bevor die Coronakrise uns erfasst hat, gab es in Österreich eine sehr intensive Diskussion über Korruption. Diese Diskussion war sehr wichtig und heilsam. Ich denke da an ein ZIB-2-Interview mit dem Chef der Finanzprokuratur (und vormaligem Innenminister der Regierung Bierlein, Anm. d. Red.) Wolfgang Peschorn. Es ging da um öffentliche Beschaffungen, die noch immer nicht aufgearbeitet sind.

Es ging um Kompensationsgeschäfte beim Kauf der Eurofighter…

Thomas Stelzer: Ja, da fielen klare Worte, und es ist wichtig, zu erkennen, dass es hier um unglaubliche Summen an Steuergeldern geht und dass es Sinn macht, Korruption wirksam zu bekämpfen. Wie kommen die Steuerzahler dazu, für korruptes Verhalten zu bezahlen? Diese öffentliche Wahrnehmung und Diskussion ist der erste Schritt zur Korruptionsbekämpfung. Der Rechtsstaat muss ausgebaut werden. Man muss wissen, dass man nicht straflos davonkommt. Und es muss weltweit klar gemacht werden, dass sich Korruption langfristig nicht rechnet. Wien ist so etwas wie ein internationales Antikorruptionszentrum, weil sich hier ansässige UNO-Organisationen mit Korruption befassen.

Zum Beispiel soll durch rechtliche Maßnahmen verhindert werden, dass sich Politiker und Kleptokraten eine luxuriöse Pension sichern, indem sie Volksvermögen ins Ausland schaffen. Wir haben immer gewusst, wo dieses Geld liegt. Diese Konten wurden zwar eingefroren, aber wir hatten keine Möglichkeit, das Geld wieder den betroffenen Ländern zurückzugeben. Das ist nun rechtlich möglich geworden durch eine UNO-Konvention, an der ich mitwirken durfte.

1,5 Billionen Dollar im Jahr

In der öffentlichen Meinung und auch in Medien beobachtet man ein eher simples Schema: Da ist die Rede von „guten“ und „bösen“ Ländern. Man liest und hört von Korruption in den ehemaligen Ostblockstaaten und von Oligarchen. Oder in Entwicklungs- und Schwellenländern in Afrika oder Südamerika vermutet man das Versickern von Hilfs- und Spendengeldern bei diktatorischen Machthabern. Das fühlt sich hierzulande an wie moralische Überheblichkeit: Korrupt sind immer die anderen…

Thomas Stelzer: Das ist eine richtige Beobachtung, und das stimmt auch, solange über Korruption nicht ehrlich und offen diskutiert wird. Jedes Jahr werden der Weltwirtschaft etwa eineinhalb Billionen Dollar durch dunkle Korruptionsgeschäfte entzogen. Da entgeht den ärmeren Ländern viel mehr, als sie durch internationale Entwicklungszusammenarbeit, durch Direktinvestitionen oder durch von Gastarbeitern nach Hause geschicktes Geld jemals bekommen können.

Die Coronakrise zeigt unter anderem, dass Weltorganisationen wie die UNO, aber auch die Europäische Union in eine Vertrauenskrise geraten sind. Es wird eher national gedacht und egoistisch gehandelt, anstatt gemeinsam zu agieren.

Thomas Stelzer: Die UNO ist keine Regierung. Sie kann nicht politische Wunder wirken. Sie ist aber ein wichtiges und richtiges Instrument für globales Management. Der einstige UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld hat einmal gesagt: „Die Vereinten Nationen wurden nicht geschaffen, um die Menschheit in den Himmel zu führen, sondern um sie vor der Hölle zu retten.“ Aber es stimmt, dass – auch in Europa – das nationalstaatliche Denken um sich greift.

Als Diplomat bekämpfen Sie nun die Schattenseiten internationaler Geschäftspraktiken. Wie ist Ihr Befund der derzeitigen weltpolitischen Lage, die gekennzeichnet ist vom riskanten Poltern eines Donald Trump, vom Vormarsch von Populisten, vom Regime eines Vladimir Putin oder dem unberechenbaren Machtfaktor China?

Thomas Stelzer: An sich bin ich Optimist. Aber der Trend zu nationalstaatlichem Denken macht mir Sorge. Insgesamt schaut die Weltlage nicht gut aus. Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben – Klimawandel, Migration, Pandemien – sind nun einmal grenzenlos. Einfach die Grenzen dicht zu machen, wenn es brenzlig wird, ist keine Lösung. Globale Probleme werden wir nur gemeinsam lösen können.


Kompetenz gegen Korruption

Durch das altehrwürdige barocke Palais Kaunitz-Wittgenstein in Laxenburg südlich von Wien weht internationales Flair. Das einstige Landschloss ist Sitz der IACA (International Anti-Corruption Academy) und Kompetenzzentrum für postsekundäre Aus- und Weiterbildung von SpezialistInnen in Sachen Korruptionsbekämpfung: Trainingsprogramme, Workshops und sogar ein Masterstudiengang werden angeboten. Wer hier die Schulbank drückt? Entscheidungsträger aus Politik, Verwaltung, Justiz, aber auch aus der Privatwirtschaft, internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft. Man spricht hier im Kampf gegen internationale wie grenzenlose Korruption Klartext: in der Arbeits- und Konferenzsprache Englisch.

www.iaca.int#

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Thomas Stelzer
Eine Diplomatenkarriere wie aus dem Bilderbuch: Der kleine Bub sieht im Fernsehen – vor damals einzigem TV-Gerät im Dorf – Bilder des Gipfeltreffens Kennedy-Chruschtschow in Wien und vom imposanten UNO-Glaspalast am Hudson River in New York. Es keimt eine Art „amerikanischer“ Traum in ihm, dorthin zu gelangen. Und es ist ihm gelungen.

Nach Studium und Dienst im Außenministerium wird Thomas Stelzer ständiger Vertreter Österreichs bei den in Wien ansässigen internationalen Organisationen. In den USA wirkt er unter anderem als Beigeordneter Generalsekretär in der Abteilung für Wirtschafts- und Sozialfragen bei den Vereinten Nationen in New York. In der Chefetage der UNO gehört er zum engsten Kreis um den damaligen UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon. Dann leitet er Österreichs Botschaft in Portugal, und im März 2020 – ausgerechnet mit Beginn des Corona-Lockdown – übernimmt er die Führung der in Laxenburg ansässigen Internationalen Antikorruptionsakademie IACA. Der Reisestopp – für den Weltdiplomaten ein Supergau – führt ihn auch zurück in seine Heimat…

Walter Reiss
Er war 40 Jahre lang beim ORF Burgenland als Redakteur, Chef vom Dienst und Regisseur in Radio und Fernsehen tätig. Walter Reiss war Gestalter von insgesamt 50 TV-Dokumentationen der Serien „Österreichbild“ und „Erlebnis Österreich“ für ORF 2 und 3sat. 2000 wurde er mit dem Bgld. Journalistenpreis ausgezeichnet.

Nach wie vor ist er tätig als Moderator von Podiumsdiskussionen, Tagungen und Veranstaltungen zu politischen, gesellschaftspolitischen und sozialen Themen.

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