Interview

„Hass und Neid machen mir Sorge“

Als Politpensionist vermisst der ehemalige ÖVP-Landeshauptmannstellvertreter Gerhard Jellasitz die Bereitschaft zu Konsens und Kompromiss. Sorge machen ihm bitterer Hass und Neid im politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Er ist Jahrgang 1949, lebt in Purbach und war mehrere Jahrzehnte in politischen Funktionen tätig: 1982–1993 im Landtag, 1993–2000 Landeshauptmannstellvertreter, dann wieder Landtagsabgeordneter bis 2004. 100 Jahre Burgenland waren für ihn Anlass, im Buch „Sonnenland mit Schattenseiten“ (erste Auflage bereits vergriffen) positive Entwicklungen ebenso zu kommentieren wie Skandale, politische Niederlagen und Kränkungen. Walter Reiss hat den ehemaligen Politiker in Purbach zum Interview getroffen.

Foto: Walter Reiss

Gerhard Jellasitz war von 1993 bis 2000 ÖVP-Landeshauptmannstellvertreter des Burgenlandes. Durch den Bank Burgenland Skandal kam es zu einem völligen Bruch der Koalition der Burgenländischen SPÖ unter Karl Stix mit der ÖVP unter Gerhard Jellasitz. Nach dem Wahlsieg der SPÖ mit Hans Niessl als Spitzenkandidat bei den vorverlegten Neuwahlen im Dezember 2000 gab Gerhard Jellasitz seinen Rücktritt als Landeshauptmannstellvertreter bekannt. Der ehemalige Politiker lebt in Purbach.

 

Es war im Jahr 2000, als Sie am Wahlabend vor laufender Kamera live Ihren Rücktritt als Landeshauptmannstellvertreter bekanntgegeben haben. Zählt dieser Moment im grellen Scheinwerferlicht zu den Schattenseiten Ihres politischen Lebens?

Gerhard Jellasitz: Die Ursache war, dass ÖVP und SPÖ sich beim Bank Burgenland Skandal zerstritten haben. Die Chemie zwischen Landeshauptmann Karl Stix und mir hat im Großen und Ganzen gestimmt, aber es kam zum Bruch. Nicht wegen des Skandals an sich, sondern weil der Landeshauptmann – er kannte schon die Unterlagen von Finanzmarktaufsicht und Nationalbank – den Bankdirektor wieder bestellen wollte. Da wollten wir nicht mehr mit. Es kam zu Neuwahlen, die die SPÖ trotzdem gewonnen hat. Ich war enttäuscht, frustriert und verletzt. Aber nicht diese Gefühle waren der Grund für den Rücktritt, der für mich ein Anlass war, mein Leben zu verändern.

Da kommt mir – angesichts der Commerzialbankaffäre – einiges bekannt vor: Nationalbank, Bankenaufsicht, Kriminalfall…

Gerhard Jellasitz: Selbstverständlich gibt es Parallelen. Es ist erschreckend. Der Kriminalfall ist jeweils nur die halbe Wahrheit. Warum die staatlichen Kontrollorgane, Betriebsprüfer und Aufsichtsräte so versagen können, verstehe ich nicht. Es gab und gibt auch ein politisches Kontrollversagen. Es haben als Zuständige in der Regierung die jeweiligen Landeshauptleute versagt: Bei der Bank Burgenland war es Stix als Eigentümervertreter und bei der Commerzialbank Mattersburg Niessl und zuletzt auch Doskozil. Damit mache ich keine Schuldzuweisungen. Man muss aber klar aussprechen, dass Politiker für Kontrolle zuständig sind und dadurch Mitverantwortung tragen.

ÖVP hat mehrere Chancen vertan

Sie waren als Landeshauptmannstellvertreter immer in einer von der SPÖ angeführten Proporzregierung. Den Proporz gibt es seit 2014 nicht mehr und nun gibt es eine SPÖ-Alleinregierung…

Gerhard Jellasitz: Die ÖVP hat mehrmals eine Chance vertan, den Landeshauptmann zu stellen: 1987 ist Franz Sauerzopf – nach seinem Rücktritt 1982 wegen des WBO-Skandals – wieder zur Wahl angetreten. ÖVP und FPÖ hatten vereinbart, Sauerzopf zu wählen. Ein FPÖ-Abgeordneter ist abgesprungen und plötzlich war SPÖ-Mann Hans Sipötz Landeshauptmann. Seine Rede war vorbereitet, es war ein abgekartetes Spiel und ein politisches Foul. 1991 hat Sauerzopf mit der FPÖ gar nicht mehr verhandelt, die Wunden waren zu tief. Die SPÖ musste ihren Spitzenkandidaten Sipötz zurückziehen und schlug Stix vor. So hat die ÖVP ihn zum Landeshauptmann gewählt. Das war ein parteipolitisch-taktischer Fehler. Übrigens: 2015 hat die SPÖ mit Hans Niessl keine Sekunde gezögert, um mit der FPÖ wieder den Landeshauptmann zu stellen und damit die Weichen einer absoluten Mehrheit für Hans Peter Doskozil zu schaffen. 1996 – es war meine erste Landtagswahl als ÖVP-Spitzenkandidat – hätten wir wieder mit der FPÖ gemeinsam die Mehrheit gehabt. Aber ich hielt die FPÖ für unzuverlässig, zu aggressiv und in ihren politischen Inhalten für historisch belastet. Da wir durch den Proporz die SPÖ trotzdem zur Zusammenarbeit gebraucht hätten, wäre die Regierungsarbeit zu mühsam geworden. So haben wir auch diese Gelegenheit ausgelassen.

Stichwort Regierungsarbeit: Die ÖVP wirft der SPÖ vor, das Land durch absolute Alleinherrschaft zu dominieren. Aber ganz ehrlich: War und ist es nicht auch Traum der burgenländischen ÖVP, einmal allein regieren zu können?

Gerhard Jellasitz: Absolute Mehrheiten haben Vor- und Nachteile. Es war auch ein Fehler von uns, das Proporzsystem zu beenden. Da haben wir uns selbst aus der Regierung katapultiert. Aber man kann das auch anders sehen: Eine Partei soll regieren, die andere kontrollieren. Der regierenden Partei ist die Möglichkeit gegeben, ihr Programm auch umzusetzen. Ich halte das für das Burgenland für einen Rückschritt und für nicht gut. Ich meine: Eine Partei mit etwa 30 Prozent Wähleranteil soll auch in der Regierung vertreten sein.

Macht korrumpiert

Also eine Alleinregierung der ÖVP wäre Ihnen als ÖVP-Politiker auch nicht recht?

Gerhard Jellasitz: Ja, da hätte ich auch meine Bedenken. Macht korrumpiert. Absolute Macht umso mehr. Dabei meine ich nicht Korruption mit und durch Geld. Korrupt ist man auch, wenn man Menschen abhängig macht, oder Personalentscheidungen trifft ohne Rücksicht auf andere Parteien. So etwas halte ich nicht für demokratisch legitim.

Sie bezeichnen Sebastian Kurz als eines der größten politischen Talente. Sind Sie vom Schwarzen zum Türkisen geworden?

Gerhard Jellasitz: Ja! Mir imponieren seine rhetorischen Fähigkeiten, seine Festigkeit bei Werten und wie er die demokratischen Möglichkeiten nützt. Er ist der Einzige, der bisher mit SPÖ, FPÖ und nun mit den Grünen eine Koalition gebildet hat. Ob es ihm als neuen Politikertyp gelingt, gravierende Änderungen herbeizuführen, wird man erst im Nachhinein sehen.

Vom Bund zum Land: Hat die ÖVP die Wandlung von der Regierungs- zur Kontrollpartei schon geschafft? Oder ist es nicht so, dass man – egal ob Schwarz oder Rot – glaubt, als Partei eine Art Naturrecht auf Regierungsverantwortung zu haben?

Gerhard Jellasitz: Die ÖVP hat hier das Glück, dass eine neue und jüngere Generation mit anderem Zugang zur Politik das Sagen hat. Sie muss die neue Rolle der starken kontrollierenden Opposition finden und erfüllen.

In Ihrem Buch heißt es wörtlich „am Ende eines demokratischen Politikers kann nur das Scheitern stehen.“ Das klingt sehr resignativ.

Gerhard Jellasitz: Demokratie bedeutet ständigen Wechsel. Wenn man als Politiker Änderungen herbeiführt, werden nachkommende Politiker das anders sehen, es wieder zurücknehmen oder ändern. Also kann für jeden Politiker – und sei er noch so erfolgreich – am Ende nur das Scheitern stehen. Es ist das Schicksal politisch wirkender Menschen, dass sie irgendwann abgewählt werden.

Würden Sie das auch einem Hans Peter Doskozil ins Stammbuch schreiben?

Gerhard Jellasitz: Selbstverständlich. Jeder Politiker, der lange seine Funktion ausübt, merkt mit der Zeit seine physischen und geistigen Grenzen mit der Einsicht, dass nun andere seine Funktion übernehmen sollen. Das ist das Wesen der Demokratie.

Um aus dem Titel Ihres Buches zu zitieren: Überwiegen für Sie in der Entwicklung des Burgenlandes die Sonnen- oder die Schattenseiten?

Gerhard Jellasitz: Es überwiegt bei Weitem das Positive. Das Burgenland ist eine Erfolgsgeschichte, eine großartige Story. Man muss aber aus der Geschichte auch lernen. Die Jahre 1921 bis 1945 sind da bittere Lehrjahre. Was mir derzeit Sorgen macht, sind der bittere Hass und Neid, die geschürt werden. Man ist zu wenig bereit, Kompromisse zu schließen und Konsens zu suchen. Demokratie heißt, dem anderen zuzuhören und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Ingeborg Bachmann hat geschrieben: „Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie hat keine Schüler.“ Es liegt in der Verantwortung von uns allen, dass der Hass nicht überhandnimmt. Es darf nicht mehr dazu kommen, dass man meint, Probleme mit Gewalt lösen zu können.

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Walter Reiss

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