Reportage

Album Review: Kings of Leon – When You See Yourself

Das ganze Leben ist ein Soundtrack – so sieht es zumindest Laura Weingrill. Denn während sich die Welt dreht, hört sie Musik. Und wem die eigene Playlist mit der Zeit zu eintönig wird, dem verpasst sie hier jeden Monat eine neue Portion aufregender Sounds.

Es ist über vier lange Jahre her, dass ein neues Kings of Leon Album unsere Ohren und Herzen berührt hat. Mit „WALLS“, dem bislang größten kommerziellen Erfolg der Band, landete das Quartett zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit einem umfangreichen Katalog von 20 Jahren Erfahrung in der Branche muss sich die Gruppe schon lange nicht mehr neu erfinden oder beweisen, warum die Mitglieder zu Legenden unter den Göttern im Rockhimmel geworden sind. Das heißt aber nicht, dass sie nicht noch für einen weiteren Überraschungsschlag bereit sind.

Kings of Leon sind ein Lehrbuchbeispiel für die typische Rockband – alle männlich,  direkt aus Nashville heraus geboren und zu Hause, wo die Mengen ihre Namen aus vollem Herzen schreien. Früher als die Band bekannt, zu der The Strokes geworden wäre, wenn sie im Süden der USA ansässig gewesen wäre, haben die talentierten Herren diesen Teil ihrer Geschichte schon vor langer Zeit hinter sich gelassen – wie man das eben so macht, wenn man einmal einen vierten Grammy gewonnen hat. Aber jetzt ist die Gruppe mit einem nicht so typischen Rockalbum zurückgekehrt, das bereit ist, Stereotypen zu zerstören und seine Zuhörer in eine Welt der Selbstreflexion zu führen und die Geschichte einer Band zu erzählen, die so viele Höhen hat wie Tiefen.

Die Songs auf „When You See Yourself“ sind lang (die Hälfte von ihnen erreicht leicht die Fünf-Minuten-Marke), die Texte sind entweder in einer längst verwehten Vergangenheit oder in einer Zukunft, die gefeiert werden will, eingebettet, und während himmlische Vocals den Weg weisen, wirbeln schwere Gitarrenzüge, aufregende Basslinien und süchtig machende Schlagzeugschläge in einem Sturm von Klängen und Stimmen herum. Von Anfang an ist klar, dass das Rock-Outfit, bestehend aus drei Brüdern und einem Cousin – Caleb Followill am Lead-Gesang und der Rhythmusgitarre, Jared Followill am Bass, Nathan Followill am Schlagzeug und Matthew Followill an der Lead-Gitarre – seine Rowdy-Rock-Momente auf dem Weg zu seinem achten full-length Abenteuer nicht verloren hat, sie ihnen aber einfach an die Leine genommen und ihren großen Balladen einen kleinen Hauch von Melancholie verliehen haben.

Aufgenommen in ihrem Studio in Nashville mit Arcade Fire und Florence and the Machine  Produzenten Markus Dravs, war es Ende 2019 bereit, das Licht der Welt zu erblicken – aber wir alle wissen ja, was dann geschah. Jetzt, über ein Jahr später, und die Welt an einem etwas besseren Ort, stützt sich die Platte auf die Wurzeln der Band und fügt Kings of Leons blühender musikalischer Leinwand noch ein paar neue Striche hinzu. Einerseits glänzen Songs wie „The Bandit“ und „Echoing“, die mit schmutzigen Gitarren und krächzenden Vocals gefüllt sind, die so eingängig sind, dass man beim Anhören schon fast die Mengen auf zukünftigen Festivalfeldern den Chor singen hören kann. Aber dann gibt es auch die ruhigeren Momente, die mit einer zarten Intimität in den Tracks wie „100.000 People“, „Claire and Eddie“ und dem leichten „Supermarket“ einhergehen – letzteres geht auf eine dunklere Zeit in der betrunkenen Vergangenheit von Frontmann Caleb zurück, mit Lyrics wie „I’ll never be whole again until I get clean“.

Am Ende sind es die Songs, die das Wertvollste aus beiden Welten verbinden, die felsige Vergangenheit der Band und ihre ruhigere Gegenwart, die das Album zu seinem Besten bringen. Während das elektrische „A Wave“ leise beginnt und ein düsteres Klavier im Hintergrund spielt, bevor es zu einem eindringlichen Ad-hoc-Zusammenspiel zwischen Synthesizern und dem Schlagzeug kommt, sieht das energiegeladene „Stormy Weather“ Caleb Followill’s Good-Time-Vocals gemischt mit beißenden Gitarren, die leicht direkt aus den Anfängen der Band stammen könnten.

Mit dem verträumten „Fairytale“ am Ende, einem nachhallstarken, musikalischen Kaleidoskop, das sich mit seiner elektrischen Saitensektion als der herausragendste Hit der Platte erweisen könnte, stellt „When You See Yourself“ Kings of Leon vor neue Herausforderungen und sieht sie eine neue Rolle musikalischer Expertise schlüpfen. Und auch wenn sie sich mit ihrem achten Record möglicherweise nicht in eine völlig neue Form zwängen, sind es die kleinen Anpassungen und Ergänzungen, die dem Album seine subtile Magie verleihen. Kings of Leon befinden sich zwischen Hymnen auf Arena-Ebene und Balladen der Studio-Intimität und haben einen Schritt nach Außen gewagt, indem sie nach Innen geschaut haben. Dies hat zu einigen ihrer persönlichsten und ehrlichsten Lyrics in einem Jahrzehnt geführt und zu einem Album, das dazu gemacht ist, von Millionen von Menschen live genossen zu werden.


Laura Weingrill
Musikjournalistin Laura Weingrill stammt aus Bad Tatzmannsdorf und lebt derzeit in London.

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