Editorial

Von Müttern und Sternen

Nicht immer bedeutet Muttertag blumige Geschenke, Familienfotos und Frühstück für Mama ans Bett. Dieser führt uns ans Grab der Sternenkinder nach Oberwart. Als ich die evangelische Pfarrerin Sieglinde Pfänder angerufen und um ein Interview gebeten habe, war mir nicht bewusst, was ich dort erfahren werde. 

Getroffen habe ich eine Frau, die für ihre Durchsetzungskraft und Stärke bekannt ist, aber die selbst nach 29 Jahren plötzlich so viel Traurigkeit über den Verlust ihres Kindes spürte, dass ihre Stimme zwischendurch kaum hörbar war und ihre Augen übergingen. Mir passierte danach, was immer passiert, wenn man achtsam ist: Man erkennt plötzlich, wie viele Menschen betroffen sind. In diesem Fall, wie viele Paare eine Fehlgeburt erlebt haben. Der Großteil redet nicht darüber. Vor allem, weil  der Verlust des Kindes am Anfang einer Schwangerschaft als etwas abgetan wird, das halt passieren kann. Aber wer entscheidet, wann und was wir betrauern dürfen? Ist die Grenze von 500 Gramm Körpergewicht die Erlaubnis der Gesellschaft für Trauer? Eine Freundin, deren Tochter wenige Tage nach der Geburt starb, erzählte mir, dass in ihrem unfassbar tiefen Schmerz ihre damals 86-jährige Großmutter den Mut aufbrachte, über den eigenen Verlust eines Kindes zu reden. Sie hatte ihres im Anfangsstadium der Schwangerschaft verloren und hat darüber geschwiegen, weil ihre Traurigkeit niemand verstanden hätte. Als sie fast ein ganzes Leben später den Tod ihrer Urenkelin betrauerte, fand sie ein wenig Trost darin, in deren Grab auch einen symbolischen Platz für ihr eigenes Kind zu finden. 

Es gibt diese Momente, da muss man nichts sagen, weil man einfach nicht mitreden kann. Und da muss man schon gar nichts bewerten. Da sind die eigenen Gefühle und Erfahrungen nicht die Referenz für die Erklärung des Universums. Da gilt dann einfach nur still sein – denn dann schafft man es vielleicht, dass man die Welt mit den Augen der anderen sieht

Von Nicole Mühl

© Lexi

„Es braucht mehr Menschen, die den Mut haben, den Schmerz der anderen ein Stück weit mitzutragen. Auch dann, wenn er für sie selbst nicht sichtbar ist.“ Evang. Pfarrerin Sieglinde Pfänder

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