Nicole MÜHL / 10. Oktober 2025
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„Wenn sich jemand das Bein bricht, würde niemand sagen: ‚Reiß dich zusammen‘. Aber bei Depressionen oder Angststörungen hören wir das noch immer“, sagt Dr.in Michaela Wagner, Leiterin des Psychosozialen Dienstes im Südburgenland.
Der Psychosoziale Dienst (PSD) im Burgenland ist Teil der Sozialen Dienste Burgenland (SDB) und bietet in allen Bezirksvororten wohnortnahe, kostenlose und niederschwellige Unterstützung an. Menschen in seelischen Krisen oder mit psychiatrischen Erkrankungen finden hier Beratung, Therapie und Begleitung. 2024 wurden mehr als 5.000 Patient:innen mit rund 43.000 Kontakten betreut – von Behandlungen über Hausbesuche bis zu Therapiesitzungen.
Seit rund einem Jahr leitet Dr.in Michaela Wagner den Psychosozialen Dienst im Südburgenland. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin betont die Bedeutung eines multiprofessionellen Teams: „Man wird nicht von einer Stelle zur nächsten geschickt, sondern kann verschiedene Unterstützungsangebote direkt in Anspruch nehmen. Das erleichtert vieles und hilft, auch schwer erkrankte Menschen gut und über längere Zeiträume multiprofessionell zu betreuen.“
Breites Behandlungsspektrum
Der PSD behandelt ein breites Spektrum an Erkrankungen – von Depressionen und Angststörungen über Suchterkrankungen bis hin zu Schizophrenien. Saisonale Schwankungen, etwa eine Zunahme depressiver Erkrankungen im Herbst, seien zwar erkennbar, grundsätzlich könne aber jede Form psychischer Erkrankung jederzeit auftreten. „Wir leben in Zeiten von Krisen und Unsicherheit. Corona, Inflation, Kriege – das alles führt dazu, dass Ängste und Depressionen zunehmen“, sagt Wagner.
Aufklärung und Prävention
Ein zentrales Anliegen der Ärztin ist der Abbau von Vorurteilen: „Psychiatrische Erkrankungen sind keine Einbildung. Die Ursachen sind vielfältig, unter anderem herrscht ein Ungleichgewicht im Gehirnstoffwechsel.“ Vergleichend führt sie aus: „Wenn sich jemand das Bein bricht, würde niemand sagen: ‚Reiß dich zusammen‘. Aber bei Depressionen oder Angststörungen hören wir das noch immer.“
Wichtig sei daher Aufklärung und Prävention – etwa durch die Fachstelle Suchtprävention der SDB, die bereits in Kindergärten und Schulen ansetzt. „Kinder sollen lernen, mit Emotionen und Konflikten umzugehen – das schützt später auch vor Suchtverhalten“, erklärt Wagner.
Auch Medien hätten eine Verantwortung im Umgang mit psychischer Gesundheit. Sie könnten Bewusstsein schaffen, aber auch Ängste verstärken. Besonders soziale Medien spielten eine große Rolle: „Wenn Menschen ständig perfekte Bilder sehen, fragen sie sich oft: Warum ist mein Leben nicht perfekt? Das kann enormen Druck erzeugen.“
„Sich Hilfe zu holen ist eine Stärke“
Ihre Motivation für die Arbeit fand Dr.in Wagner während des Medizinstudiums in einer Drogentherapie-Einrichtung: „Ich habe gelernt, wie wichtig für eine erfolgreiche Behandlung der Aufbau einer tragfähigen Beziehung, ein wertschätzender und unvoreingenommener Umgang mit Menschen sowie Begleitung sind.“
Zum Aktionstag am 10. Oktober betont sie: „Viele Menschen empfinden es als Schwäche, sich Hilfe zu holen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Sich Hilfe zu holen, ist eine Stärke – keine Schwäche.“

Dr.in Michaela Wagner ist Leiterin des Psychosozialen Dienstes im Südburgenland

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