Nicole MATSCH / 29. Oktober 2025
© zVg
Auf dem Friedhof werden traditionelle Grablieder gespielt. Manchmal gibt es auch ungewöhnliche Musikwünsche, die die Kapelle von Josef Paul, wenn möglich, erfüllt.
„Mich kennen Gott und die Welt“
Seit 35 Jahren leitet Josef Paul die Blaskapelle Paul aus Olbendorf. „Mich kennen Gott und die Welt“, sagt er lachend – und das stimmt wohl. Jahrzehntelang spielte er bei der beliebten Tanzband The Rangers, fuhr tagsüber Lastzug im Betonwerk von Olbendorf – vorne auf der Fahrerkabine stand in großen roten Lettern sein Spitzname: Ranger Pepp. So nennen den Vollblutmusiker noch heute alle. „Ich bin wie ein bunter Hund. Auch die jüngeren Damen kennen mich noch“, freut er sich. Die Erinnerung an die alten Zeiten huscht über sein Gesicht. Heute hört er überall, wo er auftaucht: „Wenn ich einmal sterbe, musst du bei meinem Begräbnis spielen.“ Er lächelt milde: „Ich sag immer: Ich komm, wenn’s sich ausgeht.“
Das Sterben der Begräbniskultur
Sein erstes Begräbnis spielte Josef Paul mit vierzehn – nachdem er vom alten Kapellmeister Loos, einem Regimentsmusiker zur Kaiserzeit, genug gelernt hatte. „Zehn Töne hab ich erwischt, mehr nicht“, erinnert er sich. Schnee bis zum Knöchel, Glatteis, der Weg bergab. Damals noch vom Haus des Verstorbenen bis zur Kirche. Zehn bis zwölf Märsche lang. „Da bist du abgehärtet worden.“
Seitdem ist er hunderte Male ausgerückt – bei Sonne, Frost, Regen. „Nicht nur einmal sind wir so waschelnass geworden, dass das Wasser bei den Schuhen herausgeronnen ist.“ Doch auch heute lässt sich der mittlerweile 76-Jährige von solchen Unbequemlichkeiten nicht aufhalten. „Du musst Idealist sein. Das ist kein Honiglecken, aber ein Stück Kultur, das sonst verloren ginge.“
Früher wurden die Verstorbenen zu Hause aufgebahrt, Nachbarn kamen zum Beten, beim Totenmahl gab es Most und Bratwurst, und es wurde geredet, manchmal auch gelacht. „Da hat die Gemeinschaft gelebt“, sagt Pepp. Heute sind die Feiern kleiner, oft im engsten Kreis. Der Tod wird ausgesperrt, die Begräbniskultur stirbt. „Früher hat’s geheißen: Wenn keine Musik spielt, können’s sich das wohl nicht leisten. Heute sagen’s: Besser ohne – das spart Geld.“
Ein strenges Regiment
Wenn Pepp eine Begräbnisspielerei aufnimmt, hält er Wort. „Und das verlange ich auch von den anderen Musiker:innen. Ich werde fuchsteufelswild, wenn jemand nicht kommt, obwohl er zugesagt hat.“ Dass Verlässlichkeit bei ihm Gesetz ist, wissen alle, die schon mit ihm gespielt haben – darunter auch Christian und Albert Wieder von der Brass-Formation „Da Blechhauf’n“, oder ihr einstiger Kollege Reinhold Bieber.
Etwa 25 Musikerinnen und Musiker gehören heute zum Stammpersonal von Pepps Kapelle, zehn braucht er für ein Begräbnis; wer Zeit hat, spielt mit. „Da gehört Organisation dazu“, sagt er. „Ich telefoniere, bis ich die Partie beieinander hab.“ Oft sind es dieselben Gesichter, manchmal neue – aber alle wissen: „Wenn der Pepp ruft, ist es ernst.“
Die Uniform aus dem Keller
Im Keller seines Hauses, über die Garage erreichbar, befindet sich das Uniformlager – ordentlich aufgehängt, in Reih und Glied. Sakkos – „Blusen“, wie Pepp sagt –, Kappen, Krawatten, Mäntel, Pullover für kalte Tage. Pepp gibt jede Uniform persönlich aus. Korrekt, detailverliebt. „Ich will, dass wir ein gutes Bild machen.“ Die grauen Monturen sind bis auf die Abzeichen originale Gendarmerie-Uniormen – gleicher Schnitt, gleicher Stoff, aus derselben Vorarlberger Weberei, die einst die Gendarmerie belieferte. Über seine Kontakte zur Polizei ins Ministerium – auch hier machte sich seine Bekanntheit bezahlt – ließ Pepp sie anfertigen. „Früher haben uns wirklich manche für eine Gendarmerie-Kapelle gehalten“, erzählt er mit spitzbübischem Schmunzeln.
Geschichten, die bleiben
Es gab Tage, da waren zwei Begräbnisse – und danach eine Hochzeit – zu spielen, heute sind es deutlich weniger. Trotzdem rückt die Blaskapelle Paul noch rund ein Dutzend Mal im Jahr zum Friedhof aus – und das im ganzen Südburgenland. „Wir sind auch schon in Wien engagiert worden“, sagt Pepp nicht ohne Stolz. Obwohl Begräbnisse „das Hauptgeschäft“ sind, spielt die Partie selbstverständlich auch Frühschoppen und kirchliche Feste. Zu Allerheiligen sind sie im Dauereinsatz, in mehreren Orten. „Da kommst kaum zum Durchschnaufen“, bestätigt einer aus der Kapelle.
Aus so vielen Jahrzehnten Begräbnisspielerei ließen sich viele Geschichten erzählen. Eine erzählt Pepp besonders gern. Ein Musikerkollege wollte beim Totenmahl das Gebet des Pfarrers ankündigen. „Mit dem Bassflügelhorn-Mundstück hat er deshalb gegen einen Doppler Wein geschlagen. Der ist zerbrochen, der ganze Wein ausgeronnen, alles geschwommen. Wir haben so gelacht und konnten dann fast nicht mehr spielen.“ Es gäbe noch weitere Anekdoten. „Aber die bleiben unter uns, bei denen, die dabei waren“, sagt er mit einem Zwinkern, aber bestimmt.
Das Leben geht weiter
Wenn Pepp vom Tod spricht, tut er das ohne Pathos. Eher mit dem Pragmatismus eines Mannes, der das Abschiednehmen schon sehr oft begleitet hat. „Wenn’s junge Leute oder Freunde sind, kommen schon die Tränen“, sagt er leise. „Da musst du dich zusammenreißen, dass du überhaupt spielen kannst.“ Viermal hat er selbst Grabreden gehalten – für Musiker, mit denen er Seite an Seite gestanden ist. Dann klingt der Marsch anders, brüchiger, persönlicher. Rainer, einer seiner beiden Söhne, spielt auch mit – am Flügelhorn, gleich neben ihm. „Das freut mich“, sagt er. Mehr nicht – aber man hört, was er meint.
Heute ist Josef Paul 76 Jahre alt, seit 51 Jahren verheiratet, umtriebig wie eh und je und „pumperlg’sund“. Das attestierte ihm auch sein Arzt: „Weißt du, Josef, ich kann dir sagen, warum du so gesund bist: Du machst alles, was du machst, mit Freude.“
Solange Josef „Ranger Pepp“ Paul lebt, will er mit der Blaskapelle weitermachen. Wer würde es denn sonst tun? „Die Energie habe ich noch. Dass du kein Spitzenmann mehr bist wie früher, ist klar, das ist das Alter. Es sind halt nicht mehr hundert Prozent. Dafür hab ich gute Leute um mich, das muss ich auch gestehen.“ Ob sie auch einmal bei seinem eigenen Begräbnis spielen sollen? Er zuckt mit den Schultern. „Wenn’s die Kapelle dann noch gibt, sollen’s spielen. Wenn ich zuschauen könnt, tät’s mich freuen – aber wenn nicht, is’s mir auch recht.“

In seinem Keller bewahrt Josef „Ranger Pepp“ Paul die Uniformen auf. Sohn Rainer, ausgezeichneter Gitarrist und Flügelhornist in der Kapelle, lagert hier auch seine Instrumente.

Ob bei Schnee, Regen, Glatteis oder sengender Hitze – Josef Paul und seine Kapelle spielen seit 35 Jahren bei jedem Wetter.

Der umtriebige Vollblutmusiker ist weithin bekannt. Auch mit Landeshauptmann Hans Peter Doskozil ist er per Du.

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