Diakonie Oberwart beschäftigt erstmals Pflegekräfte aus Indien

„Ohne internationale Fachkräfte
werden wir die Lücke nicht schließen“.
Die Diakonie Oberwart bringt diplomierte Pflegefachkräfte aus Indien nach Österreich – mit umfassender sprachlicher und fachlicher Vorbereitung. Damit reagiert die Diakonie auf den steigenden Pflegebedarf. Eine bestehende indisch-pakistanische Community soll den Einstieg in Beruf und Alltag erleichtern.

Nicole MÜHL / 29. Oktober 2025

Die ersten Pflegefachkräfte aus Indien sind in der Diakonie Oberwart seit wenigen Wochen beschäftigt. Ein Gewinn für alle behaupten: (Reihe vorne v.l.n.r.): Diakonie Südburgenland Geschäftsführerin und Pflegedienstleiterin (Oberwart und Pinkafeld) DGKP Margit Nemeth BA, MSc | DGKP Raji Philip BA | Pflegeassistentin Katrin Kiss | Rektorin und Geschäftsführerin der Diakonie Burgenland und evangelische Pfarrerin A.B. Mag. Sieglinde Pfänder | „Integrationshelferin“ und gebürtige Oberwarterin DGKP Saira Shahid (Reihe hinten v.l.n.r.) Pflegeassistentin Ruth Stöhr | DGKP Naigy Jose BA und DGKP Tesna Narikuzhiyil Sunny BA


Naigy, Raji und Tesna – drei junge Frauen aus Indien sind seit einigen Wochen Teil des Teams der Diakonie in Oberwart. Dass sie nun hier arbeiten, ist das Ergebnis eines langen, sorgfältig begleiteten Weges durch die Wiener Agentur Talent & Care. Ein Jahr lang haben die in Indien bereits auf Bachelor-Niveau ausgebildeten Pflegefachkräfte Deutsch gelernt, Prüfungen abgelegt (B2 Niveau), Bewerbungen geschrieben und Interviews geführt – alle auf Deutsch. Treibende Kraft für das Recruiting indischer Pflegekräfte für das Südburgenland ist die Rektorin und Geschäftsführerin der Diakonie Burgenland und evangelische Pfarrerin Sieglinde Pfänder. „Auch wenn alle drei Frauen in Indien ein fünfjähriges Studium in der Pflege absolviert und Berufserfahrung haben, musste die Bewertung und Anerkennung ihrer Curricula (Ausbildungspläne) im Rahmen des österreichischen Nostrifizierungsverfahrens durch die zuständigen Bildungseinrichtungen und Behörden erfolgen. Das alles wurde aber von der Agentur übernommen“, erklärt Pfänder. 

Bis 2030 werden österreichweit rund 51.000 zusätzliche Pflegekräfte gebraucht.

Der Pflegebedarf in Österreich steigt seit Jahren. Viele Beschäftigte stehen kurz vor der Pension, gleichzeitig wächst die Zahl jener, die Pflege benötigen. „Ohne internationale Fachkräfte werden wir die Lücke nicht schließen können“, sagt Margit Nemeth, Geschäftsführerin und Pflegedienstleiterin der Diakonie Südburgenland. Bis 2030 werden österreichweit rund 51.000 zusätzliche Pflegekräfte gebraucht. „Diese Frauen sind hervorragend ausgebildet“, sagt Nemeth. „Sie bringen Fachwissen, Berufserfahrung und eine große Motivation mit.“ Dennoch müssen sie, wie alle internationalen Fachkräfte, die österreichischen Standards erfüllen: rechtliche Grundlagen, Dokumentationssysteme und die sogenannte Grundpflege, die hier etwas anders geregelt ist. „Das ist keine Frage von Können, sondern von Anpassung an unser System“, erklärt Nemeth.

Warum Indien?

Für Sieglinde Pfänder war von Beginn an klar, dass der Kulturkreis der internationalen Pflegekräfte, die nach Österreich kommen und hier leben, mitberücksichtigt werden muss. „Wir wollten deshalb Pflegefachkäfte aus Indien, weil es hier bereits eine Community gibt, die ihnen Halt geben kann.“ Integration, so Pfänder, gelinge am besten dort, wo Verbindungen wachsen können. Sie dachte an die bereits bestehende indisch-pakistanische Gemeinschaft in Oberwart. Familie Shahid, die seit Jahrzehnten in Oberwart lebt und ein Taxiunternehmen führt – eine der Töchter ist im Gemeinderat, eine andere, Saira, ist selbst DGKP – wird die jungen Frauen bei der Integration unterstützen. Dass die einen Muslim:innen und die anderen Christinnen sind, ist weder für Pfänder noch für die indischen christlichen Kolleginnen ein Thema. „Diese wertschätzende Offenheit ist ein Markenzeichen der Diakonie. Wir schauen auf das, was uns verbindet. Daher sind bei uns alle Menschen herzlich willkommen, die sich friedlich und achtsam begegnen“, so die Pfarrerin. 

Pfänder erinnert sich an das erste Aufeinandertreffen mit den neuen Oberwarterinnen am Flughafen Wien: „Ich habe sofort gespürt, dass sie offen, neugierig und mutig sind.“

Warum Indien?

Die Arbeit auf den Stationen der Pflegeeinrichtungen der Diakonie in Oberwart begann behutsam. Jede der drei Frauen wird vom ersten Tag an von einer erfahrenen Kollegin begleitet. Ruth Stöhr und Katrin Kiss, beide langjährige Pflegeassistentinnen, fungieren als Mentorinnen. Sie zeigen Abläufe, erklären Pflegepläne, helfen bei der Dokumentation und übersetzen, wenn der Dialekt der älteren Bewohner:innen zu stark wird. „Ich war überrascht, wie gut unsere neuen indischen Kolleg:innen Deutsch sprechen“, sagt Katrin Kiss.

Die Vielfalt der Pflegekräfte ist ein Gewinn.

Auch Ruth Stöhr erzählt, dass die neue Kollegin Tesna trotz sprachlicher Hürden schnell Vertrauen gewonnen hat: „Die Bewohner:innen freuen sich, wenn sie kommt. Sie spüren, dass sie Zuwendung ernst meint. Und das ist es, was in der Pflege zählt.“

Die drei Inderinnen selbst sehen die Unterschiede im Berufsalltag sehr deutlich. In Österreich erleben sie ein Arbeiten auf Augenhöhe – das kennen sie aus Indien nicht. „Dort gibt es viele und strenge Hierarchien. Ärztinnen und Ärzte stehen ganz oben. Pflegekräfte – auch jene mit akademischem Abschluss – haben kaum Mitspracherecht“, erzählen sie. „Hier in Österreich reden alle miteinander, trinken gemeinsam Kaffee. Das ist neu für uns, aber sehr schön.“ In Indien sei das Gesundheitssystem stark belastet: In öffentlichen Krankenhäusern herrsche Überbelegung, im privaten Bereich sei eine Behandlung für die meisten Inder nicht leistbar. Pflegekräfte arbeiten lange, meist ohne Pausen und verdienen wenig. „Auch das ist in Österreich anders. Wir haben hier geregelte Arbeitszeiten, Freizeit, und wir werden respektiert“, sagen sie.

Sie alle hoffen, dass ihre Kinder hier bessere Chancen haben werden. „Wir möchten in diesem Land bleiben, weil wir hier eine Zukunft sehen“, sagt Tesna in einwandfreiem Deutsch. Noch leben sie in einer WG der Diakonie, bald sollen ihre Ehemänner und Kinder nachkommen. Dafür müssen auch diese Deutsch lernen, ein Sprachlevel nachweisen, Wohnungen finden. Die Diakonie begleitet sie.

Warum Indien?

Vielleicht ist das Schönste an dieser Geschichte, dass sie keinen großen Schluss braucht. Drei Frauen aus Indien sind in Oberwart angekommen. Sie arbeiten nun hier, lernen, planen ihr Leben, schließen Freundschaften – ganz selbstverständlich. „Es berührt mich, dass es im diakonischen Bezirk Oberwart möglich ist, dass Menschen aus aller Welt zusammenfinden und friedlich miteinander leben und arbeiten“, sagt Sieglinde Pfänder. „Ich bin als evangelische Pfarrerin sehr stolz, dass wir hier diese Offenheit leben.“ 

Geschäftsführerin Nemeth sieht in der Vielfalt der Pflegefachkräfte einen Gewinn: „Unterschiedliche Hintergründe bereichern jedes Team.“ Die Pflege ist ein Beruf, in dem Menschlichkeit zähle, der Zusammenhalt und das offene Zugehen aufeinander. Das sei dringend notwendig, denn die Pflege der Zukunft müsse internationaler werden, um den steigenden Bedarf decken zu können.

Gruppe von Reisenden am Flughafen mit Koffern und Taschen, lächelnd vor Ankunftstafel, ideal für Prima Magazin.
©zVg

Anfang September hat Pfarrerin Sieglinde Pfänder gemeinsam mit Ernst Loos (evang. Pfarrgemeinde Oberwart) und dem Leitungsteam der Agentur Talent & Care die neuen indischen Pflegefachkräfte Raji, Naigy und Tesna am Flughafen Wien willkommen geheißen.

Drei Fragen an Talent & Care Geschäftsführer Frederic Metlewicz und Gründer Josef Missethon über die Vermittlung indischer Pfegekräfte

Talent & Care will durch die Vermittlung von akademischen Pflegefachkräften aus Asien und Südamerika den Pflegefachkräftemangel im deutsprachigen Raum senken. Nun wurden an die Diakonie Oberwart erstmals indische Pflegefachkräfte vermittelt. Warum gab es bislang noch keine bzw. wenige indische Pflegefachkräfte in Österreich?
Die drei Pflegekräfte, die wir kürzlich in Österreich begrüßen durften, sind die ersten, die im Rahmen unseres Talent & Care-Programms erfolgreich aus Indien vermittelt wurden. Wir haben bereits 2016 mit der internationalen Fachkräfterekrutierung begonnen – damals lag unser Schwerpunkt allerdings auf Ländern wie Kolumbien, Ecuador, den Philippinen oder Indonesien. Indien wurde erst in den letzten Jahren systematisch in unsere Rekrutierungsstrategie aufgenommen. Damit Pflegekräfte aus Indien gut vorbereitet in Österreich starten können, mussten wir zunächst passende Strukturen aufbauen – etwa qualitativ hochwertige Sprachschulen, klare Auswahlprozesse sowie tragfähige Modelle für die Nostrifizierung.
Dass es bis jetzt kaum Pflegekräfte aus Indien in Österreich gab, hatte mehrere Gründe: Es fehlten langfristig angelegte Programme, die Anerkennung indischer Abschlüsse war oft mit Hürden verbunden, und sprachliche sowie kulturelle Unterschiede wurden häufig unterschätzt. Mit unserem Know-how konnten wir genau diese Lücken schließen – und erstmals indische Pflegefachkräfte erfolgreich und nachhaltig in den österreichischen Arbeitsmarkt integrieren.


Wie stellen Sie sicher, dass die Pflegefachkräfte aus Indien nicht nur fachlich, sondern auch menschlich und kulturell gut auf das Leben und Arbeiten in Österreich vorbereitet sind?
Unser Anspruch ist es, nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte zu vermitteln, sondern Menschen, die langfristig in Österreich ankommen – beruflich wie persönlich. Deshalb setzen wir auf eine ganzheitliche, mehrstufige Vorbereitung.
Zentral ist dabei die Sprachqualifizierung: Alle Teilnehmenden absolvieren eine intensive Schulung bis zum B2-Niveau bereits im Herkunftsland. Das ist eine wichtige Basis für einen erfolgreichen Start und eine gute Integration. Darüber hinaus bieten wir gemeinsam mit dem ÖIF (Österreichischer Integrationsfonds) weitere Sprachtrainings an – damit sprachliche und kulturelle Unterschiede nicht zur Hürde, sondern zur Bereicherung werden.
Wir fördern frühzeitig den direkten Kontakt zu den zukünftigen Arbeitgeber:innen, etwa durch Video-Calls, um gegenseitige Erwartungen transparent zu machen. Nach der Ankunft in Österreich begleiten wir die Pflegekräfte gegebenenfalls mit Workshops und individueller Nachbetreuung. Wichtig ist uns auch, dass die Nostrifizierung reibungslos und rasch abläuft – hier arbeiten wir eng mit Fachhochschulen zusammen. Und der gesamte Prozess ist für die Bewerber:innen kostenfrei. Die Finanzierung übernehmen die künftigen Arbeitgeber:innen.


Wie gehen Sie mit der ethischen Verantwortung um, wenn qualifizierte Pflegefachkräfte aus Ländern abgeworben werden, die selbst Fachkräftemangel haben?
Uns ist sehr bewusst, dass internationale Fachkräftegewinnung mit einer großen ethischen Verantwortung einhergeht – und genau deshalb setzen wir bei Talent & Care auf faire, transparente und partnerschaftliche Prozesse, denn im Mittelpunkt steht der Mensch und ethisches Recruiting ist für uns eine Herzensangelegenheit. Wir orientieren uns an den höchsten Standards der fairen internationalen Fachkräfteanwerbung und gehen dabei über gängige Leitlinien hinaus. Als Träger des staatlich anerkannten Gütesiegels für faire Anwerbung in Deutschland und mit unserem eigenen Wertekodex stellen wir sicher, dass alle Rekrutierungsprozesse transparent, fair und nachhaltig gestaltet werden. Auch halten wir uns an die Safeguardliste der WHO, indem wir aus keinem Land rekrutieren, welches selbst einen Mangel an Pflegekräften für die Eigenversorgung hat. Ganz zentral: Die Pflegekräfte zahlen nichts für ihre Vermittlung – sämtliche Kosten übernehmen die Arbeitgeber:innen. Zudem arbeiten wir in den Herkunftsländern mit eigenen Tochterunternehmen oder Partner:innen zusammen, was auch dort zu Wertschöpfung beiträgt.
Letztlich dürfen wir nicht vergessen: Der Pflegebedarf in Österreich lässt sich strukturell nicht mehr allein durch inländische Ausbildung decken – gerade mit Blick auf die bevorstehende Pensionierungswelle der Babyboomer zwischen 2025 und 2035. Internationale Pflegekräfte sind daher keine Übergangslösung, sondern eine notwendige dritte Säule neben nationaler Ausbildung und Systemoptimierung. Unser Anspruch dabei ist klar: Fachkräfte sollen nicht nur kommen – sie sollen bleiben, sich entwickeln und ein neues berufliches Zuhause finden.

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