Nicole MÜHL / 26. November 2025
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Das Tradwife-Ideal verkauft eine romantisierte Illusion: das Bild vom harmonischen Heim, vom starken Mann, der versorgt, und von der Frau, die sich in der Fürsorge erfüllt. Doch diese Rollenverteilung blendet aus, dass die gesellschaftliche Realität längst komplexer ist. Frauen, die sich ausschließlich auf das Heim zurückziehen, zahlen dafür oft mit ihrer ökonomischen Unabhängigkeit – und verlieren damit jene Sicherheit, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
Der Begriff Tradwife ist ein Trend, der auf Plattformen wie TikTok, Instagram oder YouTube derzeit immer stärker wird. Es geht dabei um Frauen, die sich bewusst dafür entscheiden, ein traditionelles Rollenverständnis zu leben: Sie kümmern sich um Haushalt und Kinder, während der Ehemann fürs Einkommen sorgt. Sie präsentieren sich in Petticoats und High Heels, ganz im Stil der Fünzigerjahre, geben Tipps für ein erfüllendes Eheleben, in dem sich die Frau dem Mann unterordnet und vor allem glorifizieren sie ihr Leben als Hausfrau, deren wichtigste zwei Fragen sind: „Was soll ich anziehen?“ und „Was soll ich kochen?“ Manche sehen darin eine Befreiung von den Zwängen der modernen Arbeitswelt, eine Rückkehr zu einem einfacheren Leben. Andere jedoch warnen: Dieses Ideal, das mit Hashtags wie #tradwife oder #homemaker Millionen Aufrufe auf TikTok und Instagram generiert, drohe, mühsam erkämpfte Fortschritte der Frauenbewegung zu unterlaufen.
Seit über einem Jahrhundert kämpfen Frauen weltweit für Rechte, die heute selbstverständlich scheinen – das Wahlrecht, den Zugang zu Bildung, zu Beruf und Selbstbestimmung. Die ersten Wellen des Feminismus ebneten den Weg, die zweite in den 1960er- und 70er-Jahren forderte gleiche Bezahlung und gesellschaftliche Teilhabe, während die dritte und vierte Welle den Fokus auf Diversität und individuelle Freiheit legten. All diese Bewegungen hatten ein Ziel: Frauen sollten wählen dürfen, welchen Weg sie gehen – frei von gesellschaftlichem Zwang oder ökonomischer Abhängigkeit. Ein Thema, das Tanja Stöckl, Wirtschaftskammer-Obfrau der Regionalstelle Oberwart, selbst Unternehmerin und Mutter einer Tochter, seit vielen Jahren beschäftigt. „Frauen haben noch nicht so lange das Wahlrecht und die freie Entscheidungsmöglichkeit, ohne Einverständnis des Mannes arbeiten zu gehen. Frauen haben ja oft die Möglichkeiten, einen Vollzeit-Job zu bekommen, arbeiten aber nur Teilzeit, auch wenn sie keine Betreuungspflichten haben.“
Auf der einen Seite steht der Wunsch, sich gegen den Leistungsdruck moderner Arbeitswelten zu stemmen – eine nachvollziehbare Sehnsucht in Zeiten von Überforderung und ständiger Erreichbarkeit. Auf der anderen Seite jedoch birgt die vermeintliche „Freiheit“, sich dem häuslichen Ideal zu verschreiben, eine gefährliche Ambivalenz. Denn wer sich auf finanzielle Abhängigkeit vom Partner einlässt, verzichtet nicht nur auf Einkommen, sondern auch auf Sicherheit, Mitbestimmung und soziale Absicherung. Dass ein vermeintliches „Zurück an den Herd“ wieder Konjunktur hat, beobachtet Tanja Stöckl im Alltag wie in der Online-Kultur: „Man merkt, dass hier eine gesellschaftliche Entwicklung greift, die befürwortet, dass die Frau zu Hause bleiben soll.“ Doch genau diese Bewegung romantisiert die ökonomische Abhängigkeit.
Stöckl benennt die ideologische Verpackung: „Es wird dieses Zuhausebleiben bei den Kindern verkauft als die Keimzelle der Demokratie. Unter dem Deckmantel dieser hehren Ideologie wird durch das Hintertürl die Frau von einem Karriereweg abgehalten und damit in die Altersarmut getrieben. Diese Ideologie stellt die Familie über alles – das bestreitet auch niemand – aber da kommst du argumentativ nicht dagegen an. Die Frauen, die nicht daheim bleiben bei den Kindern, gelten dann als Rabenmütter.“ Doch genau das ist für Stöckl der Kern der Argumentation gegen Retro-Schürzen und Backformen: Nicht die Familie wird kritisiert, sondern die Pflicht der Frau zur Unterordnung.
Pensionssplitting gegen Altersarmut
In der Realität kann ein Leben nach dem Tradwife-Ideal schwerwiegende Folgen haben. Eine Frau, die über Jahre oder Jahrzehnte nicht erwerbstätig ist, hat kaum Rentenansprüche. Im Alter bedeutet das oftmals: finanzielle Not, Altersarmut, Abhängigkeit von Partner, Kindern oder dem Staat. Eine Scheidung kann die Lage zusätzlich verschärfen – besonders, wenn kein eigenes Einkommen vorhanden ist, kein aktueller Berufsabschluss, keine Rücklagen. Während der Mann seine Erwerbsbiografie fortsetzen kann, steht die Frau oft vor dem Nichts, muss nach langer Pause in den Arbeitsmarkt zurückkehren – häufig in prekäre Beschäftigung.
Diese Abhängigkeit ist nicht nur finanzieller Natur. Sie beeinflusst auch Machtverhältnisse innerhalb einer Beziehung. Wer kein eigenes Einkommen hat, hat weniger Mitspracherecht in finanziellen Entscheidungen – manchmal auch in grundlegenden Lebensfragen. Ökonomische Abhängigkeit kann sich schleichend in emotionale Abhängigkeit verwandeln. Und dort, wo das Selbstverständnis der „Unterordnung“ Teil des Lebensmodells wird, entstehen Strukturen, in denen Kontrolle und Machtmissbrauch gedeihen können.
Dabei gäbe es, so Stöckl, Möglichkeiten auch für Frauen, die wegen der Kinder Arbeitsjahre auf ihrem Pensionskonto verlieren, diese auszugleichen. „Das Pensionssplitting ist eine Möglichkeit, finanzielle Nachteile für den Elternteil, der sich vorwiegend um die Kinder kümmert – also in der Regel die Frau – in der späteren Pensionszeit abzufangen. 50 Prozent der Pensionsgutschrift des Mannes können auf die Frau übertragen werden.“ Stöckl selbst war im Rahmen von „Frau in der Wirtschaft“ an Vorträgen beteiligt und hat versucht, Elternpaaren dieses Modell näherzubringen. Das Ernüchternde: „In vielen Fällen waren es die Frauen, die dagegen sind. Das ist teilweise so weit gegangen, dass die richtig böse waren“, erzählt Stöckl. Die Abhängigkeit der Frau beginne oft im Kleinen – in der Scheu, Finanzen offen zu verhandeln: „Frauen wollen ihre Männer damit nicht konfrontieren bzw. belasten. Sie trauen sich nicht, darüber zu reden. Gerade wenn sie frisch verheiratet sind.“
Tanja Stöckl argumentiert nicht aus der Distanz, sondern biografisch: Als alleinerziehende Unternehmerin musste sie früh lernen, Kind, Verantwortung und Beruf miteinander zu vereinbaren. „Natürlich war ich weniger im Betrieb, aber ich hätte nicht ganz ausbleiben können“, sagt sie. Die gesellschaftlichen Vorurteile kennt sie gut: „Man hat mir damals prognostiziert, dass sich mein Kind nicht normal entwickeln würde, weil ich weiterhin unternehmerisch tätig war.“ Trotzdem blieb sie beruflich aktiv – aus Überzeugung. Heute studiert ihre Tochter Publizistik, arbeitet bei einer Zeitung und im Unternehmen der Mutter – und zahlt bereits als Jugendliche in ihr Pensionskonto ein.
Für Mutter und Tochter ist Arbeit ein Privileg und eine Chance, sich zu verwirklichen: „Frauen müssen sich eingestehen, dass sie arbeiten gehen müssen, um eine Pension zu bekommen. Und zwar so viel wie möglich. Auf der ganzen Welt ist niemand so lange in Karenz wie in Österreich. Wir glauben, wir leben auf einer Insel und niemand sagt, dass das in Zukunft nicht mehr geht, weil die Frauen in der Wirtschaft fehlen.“ Aber es gehe dabei nicht nur um Geld. Die Unternehmerin sieht Arbeit als Erfüllung. „Als etwas, wo ich anderes erleben, erfahren und wo ich mich weiterentwickeln kann. Der Herrgott hat uns so viele Fähigkeiten mitgegeben. Die werden oft nicht ausgeschöpft. Man redet immer von Belastung. Ich sehe vieles als Bereicherung.“
Zum Einwand, dass „Care-Arbeit aber doch an Frauen hängen bleibt, hält sie pragmatisch dagegen: „Unterstützungsmöglichkeiten nutzen! Und die gibt es. Sowohl in der Kinderbetreuung, als auch in der Betreuung pflegebedürftiger Eltern.“
Planung und Kommunikation als
Basis für ein selbstbestimmtes Leben
Tanja Stöckls Gegenentwurf zum Tradwife-Ideal heißt Planung und Kommunikation mit dem Partner bzw. der Partnerin: „Wie organisieren wir Kinderbetreuung, Pflege, Beruf? Wir denken oft zu kompliziert – dabei wäre vieles einfacher, wenn wir klar reden und vorausplanen.“ Für Stöckl ist das die Grundlage eines selbstbestimmten Lebens: ein realistischer Plan, offene Gespräche und der Wille, Verantwortung zu teilen. Ihre Haltung ist klar: Wer arbeitet, bleibt unabhängig – und wer unabhängig ist, kann sein Leben gestalten.
Genau darin liegt für die Unternehmerin die Reibfläche mit dem Tradwife-Narrativ: Es verklärt Abhängigkeit als Harmonie. „Dabei erinnert uns die Geschichte der Frauenbewegung daran, dass Freiheit nie selbstverständlich war. Wer heute das häusliche Ideal preist, sollte wissen, welchen Preis frühere Generationen dafür bezahlt haben.“

Tanja Stöckl aus Mariasdorf ist Unternehmerin und Betreiberin einer Tankstelle in Mariasdorf, mit zusätzlichen Serviceleistungen wie Cafe, Lotto und Trafik. Darüber hinaus ist sie seit Oktober 2020 Obfrau der Regionastelle Oberwart der Wirtschaftdkammer Burgenland und Obfrau-Stellvertreterin des Fachverbandes der Garagen, Tankstellen- und Serviceunternehmungen der Wirtschaftskammer Österreich. Sie wird auch als Expertin für branchenbezogene Themen vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLF) gewürdigt. (Foto zVg)

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