Bericht

„Das einsamste Volk in Europa!“

Walter Reiss über das neueste Buch von Paul Lendvai: „Die Ungarn“.

Foto: Lexi

Europakenner, Journalist, Leiter der Sendung Europastudio und Buchautor Paul Lendvai.

 

„Orban ist ein Wendehals erster Klasse“, meinte der Doyen des europäischen Journalismus, Paul Lendvai, im prima!-Interview vor einem Jahr. An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert, wie man in seinem neuesten Buch „Die Ungarn“ nachlesen kann. Schon vor 30 Jahren erzählte er – spannend, detailreich und gut lesbar – die von Stolz und vielen Niederlagen geprägte Geschichte der Magyaren. Leicht gekürzt, überarbeitet und vor allem aktualisiert ist das Buch „Die Ungarn“ (Verlag Ecowin, € 28,–) nun neu aufgelegt worden.
Der 1929 in Budapest geborene Paul Lendvai ist profunder Ungarn-Kenner, scharfer Orbán-Kritiker und bietet Leserinnen und Lesern in 35 Kapiteln Gelegenheit, zu Ungarn-Verstehern zu werden. Der politisch oft so störrisch empfundene Nachbar Ungarn blickt – anders als das junge, fast hundertjährige Burgenland – auf eine tausendjährige Geschichte zurück:

„Die Verwüstungen des vom Westen wiederholt im Stich gelassenen Landes während des Mongolensturmes 1241, die Katastrophe von Mohács 1526 mit der daraus folgenden, anderthalb Jahrhunderte andauernden Türkenbesetzung, die Niederwerfung des Freiheitskampfes 1848/49 durch die vereinten Streitkräfte der Habsburger und des russischen Zaren, die Zerstörung des historischen Ungarns durch das Diktat von Trianon 1920, die vier Jahrzehnte der Sowjetherrschaft und des Kommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg samt der blutigen Niederschlagung des Oktoberaufstandes von 1956 waren Katastrophen, die das Bewusstsein der Verlassenheit immer wieder verschärften.“

Mit diesem „Gefühl des Ausgeliefertseins“ ist – so Lendvai – Ungarn im 21. Jahrhundert zum politischen Hybrid geworden: Keine Diktatur, aber auch keine Demokratie: „weg von der liberalen Demokratie in eine autoritäre Zukunft.“ Die Prognose des seit 60 Jahren in Wien lebenden Autors: „Angesichts der Passivität der Europäischen Union und der Gleichgültigkeit der internationalen Öffentlichkeit sind die Aussichten auf einen progressiven und liberalen Wechsel in Ungarn düster.“


 

Die Ungarn. Eine tausendjährige Geschichte

von Paul Lendvai
ecowin Verlag


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