Bericht

Hart an der Grenze

Armut hat viele Gesichter. Oft trifft es alleinerziehende Frauen oder solche, die sich ein halbes Leben lang in erster Linie um die Familie und nicht um ein eigenes Einkommen gekümmert haben. Bei „Mamas Küche“, einem Projekt für langzeitarbeitslose Frauen in Oberwart, hat uns Helga G. ihre Geschichte erzählt. Und der Weg, den sie aufzeigt, um aus der Armutsfalle zu kommen, beginnt damit, die Scham abzulegen und Hilfe anzunehmen. Doch dieser erste Schritt ist womöglich der schwierigste.

Foto: Shutterstock / Gabriele-Rohde

Ihre Lebensmittel kauft sie im Sozialmarkt. Ihre Kleiddung oft im Carla Shop der Caritas. Jeder Cent wird genau eingeteilt. Allein die Fixkosten betragen monatlich 1.300 Euro. Ohne Auto, denn das wäre nicht leistbar. Das Leben ist immer an der Grenze zur Armut. In Armutsfallen tappt man schnell. Derzeit ist es eine Nachzahlung für den Strom von über 400 Euro. Die Konsequenz daraus bedeutet, den Gürtel noch enger zu schnallen.

„Gearbeitet hab‘ ich immer“

Helga G. (Name der Red. bekannt) lebt mit ihren zwei Kindern in Oberwart. Sie ist Alleinerzieherin. Bei „Mamas Küche“ hat die 40-Jährige eine Beschäftigung gefunden.Einem sozialökonomischen Projekt der Volkshilfe Burgenland, um langzeitarbeitslosen Frauen beim Wiedereinstieg in den Beruf zu helfen. „Ich bin sehr froh, dass ich hier sein kann“, sagt sie. Auch wenn die Arbeit um sieben Uhr morgens beginnt. Aber hier fühlt sie sich gebraucht und hier bekommt sie Unterstützung, wenn sie organisatorisch nicht weiterkommt.

Helga G. hat Ziele. Die Ausbildung zur Pflegeassistentin hat sie vor vier Jahren gemacht. Den Traumberuf hat sie nicht ausüben können, weil ihre Gelenke nicht mitgespielt haben. Gearbeitet hat sie aber immer. „Und wenn es ein Putzjob war.“ Jetzt will sie unbedingt die Ausbildung zur Behindertenfachbetreuerin machen. „Aber das geht nur, wenn das AMS die Ausbildungskosten übernimmt.“ Dass ihr Berufswunsch, der mehr Einkommen und ihr und ihren Kinder ein sorgenfreieres Leben ermöglichen würde, eventuell wieder am Geld scheitern könnte, nimmt sie geduldig hin. Dann schließt sie kurz die Augen und meint leise: „Aber ich weiß, dass es diesmal klappen wird.“

Corona hat vieles verschlimmert. Die Stimmung daheim habe sich verschlechtert. Der Begriff Homeschooling stößt ihr bitter auf. Laptop, Internetanschluss – das alles sind Kostentreiber und wenn man mehr daheim ist, geht auch die Kühlschranktür öfters auf. „Man braucht einfach mehr Geld für Lebensmittel“, sagt sie. Und fügt gleich hinzu: „Aber meine Kinder leiden nicht darunter. Da schau ich schon.“

„Nicht genieren – Hilfe annehmen!“

Helga G. hat ihr eigenes System, um zu sparen. „Am Monatsanfang zahle ich alle Fixkosten weg. Was übrig bleibt, heb ich ab und mit dem muss ich auskommen. Zur Bank gehe ich zwischendurch nie. Wenn mir vom Einkaufen Geld übrigbleibt, gebe ich es gleich in eine Spardose. Da kommt schon einiges zusammen.“

Hätte sie ihre Freundinnen nicht, wäre es schwieriger durchzukommen, sagt sie. „Wir helfen uns gegenseitig. Ohne sie wäre ich aufgeschmissen.“ Selbstorganisation ist wichtig. Aufstehen und handeln! Das kann sie jeder Frau raten, die auch an der Grenze lebt. „Hilfe annehmen und sich nicht genieren, wenn man zum Sozialmarkt geht oder andere Stellen aufsucht. Und vor allem zum AMS schauen“, sagt sie. Es ist wichtig, Arbeit zu haben oder eine Ausbildung zu machen. Dadurch ist sie zu Mamas Küche gekommen. Und das ist für sie hoffentlich die Brücke auf dem langen, schweren Weg zu ihrem Traumjob – und um von der Armutsgrenze weiter wegzurücken.


 

„Armut ist oft versteckt. Aber es gibt Hilfe. Daher bitte keine Scheu vor der Behörde!“

Interview mit der ehrenamtlichen Präsidentin der Volkshilfe Burgenland, Landtagspräsidentin Verena Dunst

Ab wann ist man arm?
Die Armutsgefährdungsschwelle liegt bei einem Ein-Personen-Haushalt bei 1.286 Euro, bei einem Erwachsenen mit einem Kind bei 1.671 Euro monatlich. Aber Armut ist immer sehr individuell. Man muss sich die jeweilige Situation anschauen. Und Armut versteckt sich oftmals. Wir haben im Burgenland etwa 6.000 Kinder, die in Familien leben, die armutsgefährdet sind.

Nun sind ja Frauen oft an der Armutsgrenze, weil sie nur teilzeitbeschäftigt und auch noch Alleinerzieherinnen sind.
Alleinerziehende Mütter und Väter – und das sind über 10.000 im Burgenland – sind oft sehr nahe dran, dass sie das alleine nicht schaffen können. Als Alleinerziehender kann man schwer einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen und Fakt ist: Arbeit schützt vor Armut. Daher ist es so wichtig, auf Systeme bauen zu können – also Hilfe bei der Kinderbetreuung etc.

Was meinen Sie mit Systeme?
Viele Frauen haben eine Scheu davor, zur Behörde – wie zur Jugendwohlfahrt – zu gehen, weil sie dann nicht mehr anonym sind. Diese Angst möchte ich ihnen nehmen. Bei den Behörden laufen die Kompetenzen zusammen und letztlich auch die Geldflüsse. Daher mein Appell: Bitte nicht zurückschrecken. Das bedeutet für Alleinerzieherinnen ganz konkret die Botschaft: Es gibt Hilfe, wenn man sich an die Behörde wendet.

Was sind denn nun die Armutsfallen?
An erster Stelle steht sicherlich der Arbeitsplatz. Arbeit schafft Einkommen. Die zweite Armutsfalle ist der Bereich, wenn es ums Wohnen geht. Was kann man sich leisten? Und im dritten Bereich geht es um Mobilität und Kostentreiber wie Energie. Aber es gibt für alle Bereiche Fördermöglichkeiten und Zuschüsse. Man muss sich bitte nur melden.

Ältere Frauen sind ja oft in einem Abhängigkeitsverhältnis, weil sie sich in erster Linie um die Familie gekümmert haben, vielleicht keine Ausbildung – in manchen Fällen nicht einmal einen Führerschein – haben. Wo kann man ansetzen?
Es gibt auch hier viele Qualifizierungsförderungen. Das AMS hat einiges möglich gemacht. Auch für eine 52-Jährige muss eine Ausbildung möglich sein und sie ist es auch. Das Pensionsalter wird nach oben gehen und daher ist es immer wichtig, sich weiterzubilden.

Viele Frauen haben ihr Selbstbewusstsein verloren und in Qualifizierungsmaßnahmen wie bei Mamas Küche lernen sie wieder das Selbststeuern ihres Lebens. Manche haben vor vielen Jahren Kompetenzen erworben, die heute nicht mehr in die Zeit passen. Das heißt, man muss diese Kompetenzen in die heutige Zeit bringen. Und sie müssen oft auch erst lernen, sich selber und den Tag zu organisieren.

Ihr Appell an die Frauen:

Auf sich selber achten! In vielen Bereichen des Lebens, aber unbedingt auch darauf, dass man ein eigenes Einkommen erzielt. Einkommen macht unabhängig und macht Leben erst möglich. Wenn Frauen den Mut und die Courage haben, können sie sich super gegenseitig unterstützen. Daher ganz wichtig: Selbstorganisation. Und bitte die Zeit nutzen, wenn man jetzt zuhause ist. Bei uns, bei der Volkshilfe, hat im Jänner eine Frau in der Hauskrankenpflege eine Anstellung bekommen. Sie hat im Zuge des Pflegemodells im Burgenland ihren Angehörigen begleitet und sich hier viele Kompetenzen erworben. Auch das ist möglich.

Hier geht es zu den Ergebnissen der Umfrage zur „Corona und Kinderarmut“ >>

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