Bericht

Unsere Senioren und das Virus

Die Corona-Krise hat unser aller Leben fest im Griff. „Hauptrisikogruppe“ aber sind die Alten. Auch medial wird unaufhörlich klar gemacht, dass das Damoklesschwert vor allem über den Senioren und jenen Menschen mit Vorerkrankungen schwebt. Es gab und wird primär unter dieser Gruppe Tote geben. Was diese Botschaft und die unsichtbare Gefahr der Ansteckung mit der älteren Generation macht und wie wir damit umgehen können, hat prima! erfragt.

Foto: Shutterstock_Timofey Zadvornov

Viele ältere Menschen sind verunsichert, besorgt und einsam. Manche verstehen die Welt nicht mehr, seit das Leben von der Pandemie geprägt ist. Thomas Walter ist klinischer Psychologe, kommt ursprünglich aus Kleinzicken und lebt in Wien. Er arbeitet für die Wiener Pensionisten-Wohnhäuser „Häuser zum Leben“ und ist tagtäglich mit den Ängsten der Hauptrisikogruppe konfrontiert. Dabei hat er aber die Erfahrung gemacht, dass die ältere Generation weniger Angst vor dem Virus als durch den „Ausnahmezustand“, das heißt durch die Maßnahmen hat. „Das Virus ist unsichtbar, nicht greifbar.

Es kommen eher andere Ängste hoch, die mit der Quarantäne und der Beschränkung sozialer Kontakte einher gehen“, so der Psychologe. „Anfangs ging es noch darum, das Virus zu verstehen. Jetzt fragen unsere Bewohner nach, wie lange es noch dauern wird. Es sind nun also der Einschnitt in die Bewegungsfreiheit, der Verlust gewohnter Strukturen und die Ungewissheit, wann die Maßnahmen ein Ende haben werden, die die Angst befeuern. Grundsätzlich darf man aber auch nicht vergessen, dass viele Bewohnerinnen und Bewohner durch Krieg und Nachkriegszeit im Umgang mit schwierigen Situationen Erfahrung haben, auch wenn es schon lange her ist.“

„Die Gefahr ist surreal, die Maßnahmen sehr einschränkend für die persönliche Freiheit“

Immer wieder wird auf die Sterblichkeit aufmerksam gemacht, und natürlich mache auch das etwas mit den Bewohnern der Einrichtungen, in denen Thomas Walter tätig ist. Da es aber vor allem die Maßnahmen sind, die Auswirkungen zeigen, sind kreative Lösungen gefragt. „Geist und Körper anzuregen, ohne zu überfordern, sorgt für Ablenkung, und das wiederum senkt die Angst. Manche Menschen blühen sogar auf. Solidaritätsbekundungen nehmen zu. So basteln Bewohner Schutzmasken, Kinder wiederum schicken Briefe und Zeichnungen, Mitarbeiter bauen einen Rollstuhl-Parcours am Gang einer Einrichtung.“ Die Situation ist eben neu und ungewohnt und einer Pandemie zu schulden, die Maßnahmen noch nie da gewesenen Ausmaßes nach sich zieht.

„Nicht alle Demenzkranken reagieren gleich“

Auch im Oberwarter Demenzzentrum ist alles anders als noch vor wenigen Wochen. Es ist ruhig geworden. Die Senioren-WG „Demenz im Zentrum“ gehört zu den Vorzeigeprojekten dieser Art in Österreich. Hier leben Menschen mit Demenz in kleineren Wohngruppen, so selbstständig wie eben möglich. Ihr Leben hat sich rasch verändert. Auch hier der wohl größte Einschnitt: Angehörige durften bis 1. Mai nicht mehr zu Besuch kommen. „Aber auch Ehrenamtliche, Therapeuten, Schüler oder Zivildiener durften unser Haus nicht betreten. Daher versucht das Personal des Demenzzentrums, die Strukturen so gut es geht zu übernehmen. Die komplette Beschäftigungstherapie obliegt nun den Mitarbeitern“, erzählt die Pflegedienstleiterin Kerstin Nemeth. Der Tagesablauf der Bewohner soll aber möglichst beibehalten werden, das erlaubt den Bewohnern, gut mit Corona umzugehen.

Daher wurde auch das Angebot, Bewohner für die Zeit der Krise zu den Angehörigen nach Hause zu nehmen, nicht angenommen. „Die Pflege ist aufwendig. Außerdem ist das Zentrum hier ihr Zuhause, und Gewohnheit ist ganz wichtig für unsere Klienten.“ Eine neuerliche Eingewöhnung sei oft schwierig und verschlechtere die Situation, so Kerstin Nemeth. „Wir tun unser Bestes, und so stellt diese Zeit für unsere Bewohner keine allzu große Herausforderung dar. Manche fragen, warum sie nicht mehr raus gehen dürfen. Das war´s dann aber auch schon. Aber natürlich verstehen unsere Bewohner Corona je nach Krankheitsgrad anders.“

„Oberste Priorität haben die BewohnerInnen“

Immer wieder müssen Frau Nemeth und ihr Team den Bewohnern erklären, dass ganz Österreich die Maßnahmen mitträgt. Da kein Besuch möglich war, durfte mit Angehörigen nur mit ausreichend Abstand über den Zaun kommuniziert werden, und es fanden zwei Mal in der Woche Videotelefonate statt. „Daran haben sich die meisten gewöhnt. Dass wir Masken tragen ist hingegen für viele verstörend. Aber diesen Umstand erklären wir einfach immer wieder. Bei uns haben die Bewohner weniger Angst als die Mitarbeiter, die auch privat bemüht sind, unnötige Kontakte zu vermeiden, um die Bewohner nicht zu gefährden.“ Das unterstreicht auch Thomas Walter.

„Selbst, wenn Baumärkte, Friseure und Lokale bald wieder ganz normal geöffnet haben, für mich persönlich und meine Kollegen bedeutet das dennoch wenig Freiheit. Distanz wird wichtig bleiben. Die Generationen müssen zusammenspielen, und ich will die Hauptrisikogruppe keinesfalls gefährden. Wir werden als Gesellschaft lange verletzlich bleiben. Irgendwie teilt die Gesellschaft jetzt schon in „Mörder“ (potenzielle Überträger) und „Opfer“ (die Alten und Kranken) ein.“ Normalität wird erst einkehren, wenn das Virus besiegt ist und ein Impfstoff gefunden wurde. Bis dahin werden unsere Ältesten wohl am längsten mit massiven Einschränkungen zu rechnen haben.

Thomas Walter weist auf www.rat-im-netz.at hin. Hier erhalten Senioren und Angehörige in schwierigen Situationen Online-Beratung durch PsychologInnen und SozialarbeiterInnen.

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Thomas Walter
Thomas Walter aus Kleinzicken ist Klinischer Psychologe und arbeitet für die Wiener Pensionisten-Wohnhäuser.

Kerstin Nemeth
Kerstin Nemeth ist Pflegedienstleiterin des Oberwarter Demenzzentrums.

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