„Brutstätten der Misshandlung“
Die Bilder sind schwer auszuhalten. Doch sie zeigen ein System, das in Österreich Standard ist: Der Verein gegen Tierfabriken (VGT) veröffentlicht Anfang Juli ein Video, das die Haltung der Schweine in einem burgenländischen Mastbetrieb zeigen soll (prima! hat online berichtet). Wieder einmal legt der VGT den Finger in die Wunde, die entstanden ist, weil die Politik versagt und die Medien ihrer Verpflichtung, Missstände aufzudecken, zu wenig bis gar nicht nachkommen. prima! im Gespräch mit VGT-Obmann Martin Balluch über den Begriff, „regional“, unzureichende Kontrollen in den Zuchtbetrieben, über Tierethik und warum der Mensch sein Mitgefühl dem Tier gegenüber verloren hat.
Foto: VGT.at
Die Haltung auf Vollspaltenböden, kein Stroh, niemals Sonne, eingesperrt in Käfige – das ist die Haltung der Mastschweine in Österreich.
Herr Balluch, am 6. Juli 2021 hat der VGT ein Video veröffentlicht, das einen verstörenden Einblick in die Haltung von Zuchtschweinen in einem burgenländischen Schweinezuchtbetrieb gibt.
Martin Balluch: Das Video (www.vgt.at, Rubrik Video) zeigt einige hundert Mutterschweine, die in einen Kastenstand gesperrt sind, also in einen Käfig, der die Größe ihres Körpers hat. Seit 2012 ist diese dauerhafte Haltung EU-weit verboten. Für diese Mutterschweine heißt das, sie stoßen überall an die Metallstäbe. Sie können sich nicht einmal ordentlich hinlegen und wenn sie flachliegen, ragen sie in den Käfig des anderen Muttertieres. In den ersten sieben Tagen werden die männlichen Tiere kastriert, indem man ihnen die Hoden rausschneidet ohne Betäubung, was ein furchtbarer Schmerz ist. Sechs Euro würde es pro Ferkel kosten, wenn das ein Tierarzt oder eine Tierärztin machen würde. Das sind die Betriebe aber nicht bereit zu zahlen.
Die Tiere werden auf Vollspaltenböden gehalten auf einer Fläche von 0,55 m2 pro 85 Kilo-Schwein. Sie haben blutige Hufe, geschwollene Gelenke, Schwielen wegen der Kanten und sie werden nie ausgemistet. Die Tiere sind völlig neurotisch und beißen sich gegenseitig. Deshalb schneidet man ihnen die Schwänze ab. Das ist EU-widrig. Man darf den Schweinen nicht routinemäßig die Schwänze abschneiden. Aber in Österreich geschieht das in 95 Prozent der Fälle.
Unter diesen Bedingungen bekommen die Tiere – wie wir aus Untersuchungen wissen – zu 43 Prozent Lungenentzündung, Leberschäden, Spulwürmer in der Leber. Gelenkschäden, Verletzungen an den Körpern. Sie beißen und kratzen sich. Man hat auch viele Tiere mit einem Nabelbruch und einem Darmvorfall gesehen.
Das AMA-Gütesiegel wird gerade weiterentwickelt – unter anderem gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium. Bis 2032 sollen Schweinemastbetriebe mit AMA Gütesiegel keine Haltung auf Vollspaltenböden mehr führen. Reicht das?
Martin Balluch: Nein, das reicht nicht! Zum einen sind nur 40 Prozent der Schweine AMA Gütesiegel-Schweine. Die wesentliche Botschaft ist aber: Ein Verbot der Vollspaltenböden ist zu wenig, denn es heißt nicht, dass die Tiere Stroh bekommen. Aber das brauchen sie, um beispielsweise nicht Schwielen zu bekommen. Die Tiere brauchen auch mehr Platz, denn dann hätten sie einen Liegebereich mit Stroh, den sie sauber halten. Schweine tun dies nämlich. Und im entfernteren Eck, wo ein Spaltenboden ist, könnten sie koten. Sie könnten hin und her gehen. Das wäre ein Minimum an Lebensqualität.Wir brauchen deshalb unbedingt eine gesetzliche Änderung. Und es braucht bessere Förderungen für die Betriebe, diesen Umbau durchzuführen.
Was bedeutet das AMA Gütesiegel?
Martin Balluch: Es geht nicht um eine bessere Tierhaltung, wie man in der Werbung sieht. Es zeigt nur, dass das Fleisch von österreichischen Betrieben stammt. Tatsächlich sind wir aber bei den Mastschweinen in Österreich das absolute Schlusslicht in Europa. Wir sind hier unter dem EU Mindeststandard.
Viele Konsument*innen glauben, wenn sie ihr Fleisch regional kaufen, ist das in Ordnung, denn regional bedeutet Tierwohl. Ist das so? Reicht regional?
Martin Balluch: Regional sagt nichts, wenn man in einem schweineindustriellen Gebiet lebt. Auch im Burgenland ist das so. Wenn die Herkunftskennzeichnung von Fleisch gefordert wird, dann muss man auch bedenken, dass wir bei Mastschweinen den miesesten Standard in der EU haben. Die Herkunftskennzeichnung bei Schweinefleisch wäre für Österreich somit eine negative Kennzeichnung.
Es wäre aber sehr wichtig, dass es eine Kennzeichnung für die Haltungsform gibt. Bio gibt es beim Schweinefleisch selten. Es gibt einige Vorzeigebetriebe, aber die sind im Bereich von unter einem Prozent.
In einem weiteren Video, das dem VGT zugespielt worden war und laut Tierschützer Aufnahmen aus dem Zuchtbetrieb zeigt, ist zu sehen, wie Ferkel an den Hinterbeinen aus den Buchten gerissen und mehrmals mit dem Kopf auf den harten Boden aufgeschlagen werden. Herr Balluch, Sie sind promovierter Tierethiker. Was passiert da mit den Menschen? Warum fehlt jegliches Mitgefühl für das Tier?
Martin Balluch: Diese Menschen denken „Es sind ja nur Viecha“ und sie haben schon als Kinder gelernt, dass sie sich nicht in Tiere hineinversetzen dürfen. Man erklärt ihnen, Tiere sind anders und ihnen muss man das sogar antun. Wenn Kontrolle und Mitgefühl fehlen, herrschen brutale Zustände. Das finden wir in Schweinemastbetrieben, aber auch in Schlachthöfen. Wir haben gesehen, dass Mitarbeiter*innen bei Tieren, die zur Tötungsstelle getrieben werden, Zigaretten ausdrücken. Dass sie sie prügeln und mit Elektroschocks malträtieren.
Was muss passieren, damit sich etwas ändert?
Martin Balluch: Es ginge von einer Generation auf die nächste, wenn man dieses Mitgefühl sich entwickeln lässt – beispielsweise im Rahmen eines Ethikunterrichts an Schulen. Aber unser Problem ist die industrielle Tierproduktion. Man kann nicht am Fließband stehen, ständig Schweinen in den Hals stechen und dabei mitleiden. Man kann nicht 3.000 Schweine in einer Halle haben und Mitgefühl haben. Wir müssen von diesem industriellen Produktionsprozess wegkommen. Das muss Hand in Hand gehen mit einer tierfreundlicheren Einstellung und Erziehung.
Wie geht es nach der Anzeige eines solchen Betriebes weiter?
Martin Balluch: In der Tierschutzkon-trollverordnung steht, dass im Mittel jede Schweinefabrik nur alle 50 Jahre kontrolliert werden muss. Wenn man weiß, dass es nie auffallen wird, was man den Tieren antut, ist das natürlich eine Brutstätte für Misshandlungen. Abgesehen davon gibt es Misshandlungen, die bei den Kontrollen nicht auffallen. Das ist das Töten der Ferkel, die man mit dem Kopf auf den Boden knallt. Dazu gehört das Rausreißen der Hoden. Dazu gehört, dass die Tiere ständig im Kastenstand eingesperrt sind. Es gibt ein Vollzugsdefizit beim Tierschutz in Österreich. Selbst wenn die Gesetze schön klingen, sind die Verordnungen schlecht. Und wenn kontrolliert wird, wird das oft schlecht oder von Menschen durchgeführt, die diesen Umgang mit den Tieren gewohnt sind. Die Strafen betreffen oft nur wenige Hundert Euro und das bei Subventionen von Tausenden Euro jährlich. Unsere Erfahrung mit dem Vollzug ist wirklich schlecht.
Worauf sollen die Konsument*innen beim Einkaufen achten?
Martin Balluch: Einerseits müssen wir generell den Fleischkonsum überdenken. Wenn so eine große Gesellschaft wie wir ständig Fleisch isst, dann kann man das nicht wirklich tiergerecht produzieren. Man müsste es viel seltener essen. Zweitens: Nie zu einem Aktionsfleisch greifen! Zwei Drittel des Fleisches werden als Aktionsfleisch verkauft. Fleisch, das so billig ist, kann nicht tiergerecht produziert worden sein.
Der nächste Schritt wäre, auf Bio zu schauen. Das ist sicher besser als die konventionelle Haltung. Und man sollte auf Gütesiegel achten, die nicht von der Industrie kommen, sondern von unabhängigen Stellen eingeführt und kontrolliert wurden. Wie z.B. jenes von „Gesellschaft! Zukunft Tierwohl!“. Diese jährlichen Kontrollen werden von Leuten durchgeführt, die selber kein Eigeninteresse am Verkauf des Fleisches haben. Aber das alles ist wirklich das Minimum an Lebensqualität für das Tier. Der VGT hat die Website www.wie-hats-gelebt.at eingerichtet. Da kann man angeben, welche Ansprüche in der Tierhaltung für einen selbst beim Fleischkauf wichtig sind und man sieht dann, welche Gütesiegel diese Kriterien erfüllen. Da ist man dann meist erstaunt, weil fast alle Gütesiegel schlechtere Tierhaltung garantieren als man erwarten würde.
Eine gesetzliche Änderung der Haltung der Mastschweine fordert VGT-Obmann DDr. Martin Balluch, denn „Österreich ist bei der Haltung unter dem EU-Mindeststandard.“
DDr. Martin Balluch
ist Obmann des VGT (Verein gegen Tierfabriken). Er promovierte in Physik und Philosophie im Bereich Tierethik.
Der VGT (Verein gegen Tierfabriken)
ist ein unabhängiger Verein mit dem Ziel, Mitgefühl und Respekt gegenüber Tieren in der Gesellschaft zu verankern. Der Verein macht immer wieder auf extreme Missstände im Tierschutz aufmerksam.
www.wie-hats-gelebt.at
Wie hat das Schwein gelebt, bevor es als Fleisch verpackt im Supermarkt angeboten wird? Diese Website des VGT liefert transparente Informationen über Aufzucht, Haltung und Schlachtung der Tiere, damit Konsument*innen im Supermarkt selbst entscheiden können, welches Fleisch sie meiden möchten. Sie sehen hier, welche Supermärkte und welche Gütesiegel den eigenen Kriterien entsprechen. Jeder Einkauf entscheidet über die Haltung der Tiere!
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2 Antworten
„Brutstätten der Misshandlung“
Danke das es hier thematisiert wird!
Es muss endlich generell ein Umdenken beim Konsum tierischer Produkte her.