Dem Volkslied auf den Spuren – die ukranische Band Yagody im OHO

Yagody, eine Band, die sich der ukrainischen Folklore widmet, sieht sich vor dem Hintergrund des anhaltenden Krieges in ihrer Heimat in einer besonderen Rolle. Die Gruppe, die ihre musikalischen Wurzeln in den von ihren Großmüttern überlieferten Liedern findet, hat sich von einer reinen Frauenband zu einer gemischten Besetzung entwickelt. Ihr Repertoire ist eine Darstellung der ukrainischen Kultur und Folklore im Zusammenspiel mit modernen Einflüssen. Das alles mit dem Hintergrund, dass vor ihrer eigenen Haustür nach wie vor Krieg herrscht. Yagody trat in diesem Jahr zum Vorentscheid des Eurovision Song Contest an, verpasste die Teilnahme nur knapp. Ihre Musik zeigen sie im Offenen Haus Oberwart (OHO) am 8. März.

Chiara PIELER / 28. Feber 2024

Seit 2016 gibt es die ukrainische Folk-Band Yagody bereits. Ursprünglich aus den vier Studentinnen bestehend, hat die Band mittlerweile sieben Mitglieder. 

Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass es für jeden Moment im Leben eines Menschen ein Lied gibt. Wie spiegelt sich diese Philosophie in der Gründung von Yagody und in der Auswahl Ihrer Lieder wider? 

Yagody: Die ukrainische Bevölkerung hat etwa 200.000 Lieder geschaffen. Durch diese haben unsere Leute ihr gesamtes Leben widergespiegelt: den Kampf gegen Naturgewalten, wirtschaftliche Anliegen, Freude und Leid, Hoffnungen und Träume. Wir können uns kein einziges Ereignis im Leben eines Menschen vorstellen, das ohne ein Lied auskommen könnte. Das sagt viel über unsere Kultur aus, denn ein ukrainisches Volkslied ist mehr als nur eine schöne Melodie. Es enthält die DNA unserer Nation, daher ist es kein Zufall, dass es so wichtig für uns ist, es wiederzubeleben. 

Sie haben bereits viele verschiedene Länder bereist, um die lokalen musikalischen Traditionen zu erforschen. Welche spezifischen Einflüsse oder Erkenntnisse haben diese Reisen in Ihre Musik gebracht?

Es ist wichtig zu wissen, dass wir nicht reisen, um nach musikalischen Einflüssen zu suchen. Die meisten Lieder in unserem Repertoire sind Familiengesänge, die unsere Mütter und Großmütter uns als Kinder vorgesungen haben. Das ist alles Musik mit einer Geschichte, die uns am Herzen liegt. Ohne unsere Großmütter und ihre Liebe zum Gesang würde unser Projekt nicht existieren – wir wüssten nicht einmal, was ein ukrainisches Lied ist. Unsere Seele reagiert auf Volksmusik. Sie wird zu einem Mittel, um unsere Verbindung mit der Erde und dem Himmel wiederherzustellen.

Da Yagody im Theater verwurzelt ist, wie wird Dramaturgie in die Live-Auftritte integriert?

Theater spielt eine wichtige Rolle in unserer Musik, da alle Sängerinnen (Zoryana Dybovska, Sofia Leshyshak und Tetiana Voitiv) in erster Linie professionelle Schauspielerinnen sind. Zoryana und Sofia kombinieren ihre musikalischen Aktivitäten mit Theaterarbeit am  Akademischen Dramatischen Theater Lwiw. Daher analysiert die Band alle musikalischen Werke nach dem dramaturgischen Prinzip, taucht in die Handlung ein, rekonstruiert die Atmosphäre und verwandelt die Aufführung eines Liedes in eine separate Vorstellung. Unsere Musik ist nicht nur zum Hören da, man muss sie sehen.

Können Sie mehr über den kreativen Prozess hinter Ihrem Debütalbum erzählen und wie sich Yagody seitdem von einer reinen Frauenband zu einer gemischten Gruppe weiterentwickelt hat?  

Unsere Band existiert seit 2016, aber lange Zeit betrachteten wir die Musik als ein Hobby. Jedes Bandmitglied hat einen anderen Hauptberuf. Wir mochten es, mit Volksmusik zu experimentieren und uns in den Prozess der ukrainischen Folklore zu vertiefen. Im Jahr 2020 veröffentlichten wir unser Debütalbum, in dem wir ukrainischen Gesang, Motive aus aller Welt und ein wenig theatralische Magie kombinierten. Mit unseren Musikvideos, Konzertreisen und neuen Bandmitgliedern hat sich viel verändert. Jetzt bestehen wir aus drei Sängerinnen, einem Akkordeonisten, einem Bassgitarristen, einem Schlagzeuger und einem Zimbalonspieler (Zimbalon = ein mit Klöppeln geschlagenes Hackbrett). Immer öfter hörten wir von unseren Hörerinnen und Hörern, dass wir unser Glück beim Eurovision Song Contest probieren sollten. Also schrieben wir unser erstes eigenes Lied und bewarben uns für die nationale Auswahl für den ESC 2024. Unser Lied „Tsunamia“ wurde unter 389 Liedern in die letzten zehn gewählt. Leider haben wir die Teilnahme nur knapp nicht geschafft. 

Wie verbinden Sie traditionelle Folk-Elemente aus der Ukraine mit modernen Musikstilen, um einen so vielseitigen und einzigartigen Sound zu kreieren?

In unserem Umfeld gab es nie Intonation, Musikstücke wurden immer mündlich weitergegeben. Jede Darstellerin, jeder Darsteller modifiziert sie daher und der Inhalt ändert sich dadurch. Das wichtigste für uns ist es, einen hochwertigen Rahmen für das Lied zu schaffen und ihm einen neuen Klang zu geben – ohne aber seine Essenz zu nehmen. Wir experimentieren auch oft mit Volkskunst und ihrer genrebezogenen Darstellung. Deshalb kann man in unseren Liedern immer öfter elektronische Elemente und sogar Rock hören.

Der Name „Yagody“ wurde Ihnen spontan von einem Moderator bei Ihrem ersten Konzert gegeben. Welche Bedeutung hat dieser Name für Ihre Musik?

„Yagody“ bedeutet auf Ukrainisch „Beeren“. Sie ähneln leuchtenden Perlen, die auf einem einzigen Faden aufgereiht sind. Ähnlich kombiniert unser Lied verschiedene musikalische Elemente aus unterschiedlichen Kulturen und Stilen. Perlen waren einst ein besonders wertvolles Erbe und Mitgift für ukrainische Frauen. Mütter teilten ihre Halsketten mit ihren Töchtern und gaben so auch ihre Geschichte weiter. Auf die gleiche Weise kehren wir in unserer Arbeit ständig zu unseren Wurzeln, unserem musikalischen Erbe und unseren Traditionen zurück. 

Angesichts des anhaltenden Konflikts in der Ukraine, wie beeinflusst die aktuelle Situation Ihre Musik und künstlerische Ausdrucksweise?

Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine haben Auslandstourneen eine neue Bedeutung erlangt. Unsere Band tritt aktiv auf ausländischen Bühnen auf. Wir tun das, um die Welt mit der ukrainischen Kultur bekanntzumachen, da wir wissen, wie wichtig kulturelle Diplomatie in unserer Zeit ist. Wir möchten singen, über den Krieg zu sprechen und die zivilisierte Welt nicht vergessen zu lassen, dass jeden Tag Bomben auf das größte Land Europas fallen. 

Auf welche musikalische Erfahrung dürfen sich die Besucherinnen und Besucher Ihres Konzerts im OHO freuen? 

Satte Gesangsstimmen, melodische Instrumentalparts und kraftvolle Rhythmen – all diese Dinge erschaffen den einzigartigen Klang von Yagody. Die Besucher*innen sollen sich daher auf einen unvergesslichen Abend freuen, der sie erstaunen und mit unglaublicher Energie erfüllen wird. 

Hinweis: Das Interview wurde auf Englisch geführt, alle Antworten und Fragen sind daher die deutsche Übersetzung des Gesprächs.


 Konzert der Folk-Band Yagody

Das Konzert der Folk-Band Yagody findet am 8. März um 20 Uhr im OHO in Kooperation mit dem Verein Frauen für Frauen Burgenland statt

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