„Die Frage, ob ich etwas darf oder nicht, taucht in meinem Denken dort, wo es um künstlerische oder politische Belange geht, überhaupt nicht auf“

Das Burgenland hat es ihm angetan. Seit über 40 Jahren setzt er sich künstlerisch damit auseinander. Auch mit den dunklen Seiten. Der burgenländische Autor und Regisseur Peter Wagner galt schon immer als einer, der polarisiert. Nur nicht für die Politik. Für die war er wohl immer in erster Linie ein Unbequemer, weil er den Finger aus der Wunde auch dann nicht wegnimmt, wenn es ihm selbst schon weh tut. Jetzt ist er Intendant des burgenländischen Landestheaters der Autorinnen und Autoren.

Nicole MÜHL / 1. November 2023

© Michael Foster

Peter Wagner ist Intendant eines gänzlich neuen Typus von Landestheater. Was er unter diesem versteht, ist eine Erweiterung und Ergänzung seiner bisherigen Praxis eines reinen Uraufführungstheaters, wie er dies seit Anbeginn des OHO bereits praktiziert. Seit 2022 ist er Obmann der von ihm mitbegründeten Theaterinitiative Burgenland.

Peter Wagner: Weil das Konzept eines Uraufführungstheaters dahintersteckt. Ich weiß nicht, ob es so etwas irgendwo auf der Welt gibt. Ein Theater, das nicht auf Repertoire und schon vorhandenen Stücken aufbaut, sondern das wirklich ganz gezielt Autorinnen und Autoren diese Landes anspricht und sie bittet, zu einem gewissen Thema ein Stück oder einen Teil eines Stückes zu verfassen. Ich glaube, dass das wirklich etwas Neues ist. 

Trotzdem mache ich selbst ja seit meinem ersten Stück im OHO (1989, Anm. d. Red.) nichts anderes als Uraufführungstheater und in gewisser Weise haben wir uns ein Publikum auch dazu erzogen, das zu akzeptieren. 

Neuland ist es für mich nicht. Neuland ist eher der Umfang der Produktion und auch die Akzeptanz durch den Fördergeber im Land für diese Erweiterung.

Gefragt hat mich überhaupt niemand. Es hat vor eineinhalb Jahren eine Initiative der Kulturabteilung des Landes gegeben, bei der Künstlerinnen und Künstler aller Genres in kleinen Gruppen um ihre Einschätzung der Kultursituation des Landes befragt wurden. Dieser Gruppe habe auch ich angehört, vor allem aber durfte Klartext gesprochen werden. Auch mit dem Landeshauptmann, der da einige Dinge erfahren hat, die ihm als im Grunde nicht so wahnsinnig kunstaffinen Politiker ziemlich neu waren. So würde ich das, zumindest im Nachhinein, einschätzen.

Unsere Einschätzung der Rolle der Kulturzentren etwa. Die Kulturzentren kämpfen ganz enorm gegen den Publikumsschwund, was aber nicht nur auf die Pandemie zurückzuführen ist, sondern auf veraltete Konzepte. Also das typische Tourneetheater, eingekauftes Theater, das Allerweltsthemen aufgreift und eigentlich zum Land selbst keinen Bezug hat. Mitunter nicht einmal zur Gegenwart. Es ist halt Boulevard und man glaubt, sich und das Publikum damit retten zu können. Wir (Theaterinitiative Burgenland, Anm. d. Red.) haben halt in einem provinziellen Bereich wie dem Burgenland andere Erfahrungen gemacht. Wir decken eine Nische ab, die Kulturzentren bisher nicht aufgegriffen haben und vermutlich auch nicht werden, weil sie sich anders beauftragt verstehen. 

Und dann haben wir den Landeshauptmann, der ja bekanntermaßen eine starke Schlagseite zu sozialen Themen hat, mit Nachdruck auf die prekäre soziale Situation von Künstlerinnen und Künstlern hingewiesen. Auch da sind seitens des Landes neuere Gedanken aufgetaucht, wie man Kunstschaffenden etwa mit Stipendien entgegenkommen könnte. Es war sogar kurz einmal die Rede davon, sie seitens des Landes anzustellen, was ich persönlich für einen Humbug halte, denn dann sind wir wirklich bald sehr nahe an dem Konzept der Staatskünstler dran. Abgesehen davon, wenn man angestellt ist vom Land, ist man einem Land auch anders verpflichtet als wenn man durch ein Stipendium zumindest die Möglichkeit hat, frei für ein Jahr zu arbeiten. Es ist für unseren Berufsstand von der ethischen Seite her ein wichtiger Aspekt, dass sich ein Kunstschaffender niemandem und vor allem keiner Institution oder keiner politischen Strömung verpflichtet fühlen muss. 

Das kann man schon so sagen. Wir haben bei diesem ersten Gespräch gar nicht so sehr auf ein Theater hin argumentiert. Das ist seitens der Kulturbeamtin gekommen und da habe ich schon das Gefühl gehabt, dass Tendenzen da sind, das Theater aufzuwerten. Daraufhin habe ich ein Konzept verfasst, das die Philosophie eines Landestheaters der Autor*innen, wie es jetzt am Tisch liegt, beschreibt. Ich war doch sehr erstaunt, dass dieses Konzept vollinhaltlich auch so akzeptiert wurde. 

Nein. Das Landestheater der Autorinnen und Autoren ist ein Projekt der Theaterinitiative Burgenland, deren Obmann ich bin. Das Land Burgenland fördert dieses Projekt jetzt einmal für drei Jahre. Ich werde mir selbst nicht untreu werden und Liebdiener einer Landespolitik sein, wie immer die ausschaut. Ganz im Gegenteil. Ich denke, Theater muss ja vorhandene und herrschende Verhältnisse auch hinterfragen können, dürfen und müssen. Insofern habe ich da jetzt ein Stück Freiheit dazugewonnen und mir nicht weggenommen.

Indem ich meinen Aktionsbereich durch eine höher Anzahl an Produktionen verbreitern kann.

Die Frage, ob ich etwas darf oder nicht, taucht in meinem Denken dort, wo es um künstlerische oder politische Belange geht, überhaupt nicht auf. Ich könnte mir, jetzt mal als spontane Idee, zum Beispiel vorstellen, dass man Autorinnen und Autoren beauftragt, für ein Sammelstück, das sich „Die Absolute“ nennt, Texte zu verfassen. Wir haben ja im Burgenland momentan diese politische Konstellation. Wobei ich nicht so sehr die Herrschaft einer bestimmten Partei damit meine, sondern generell den Vorhof der autokratischen Verführung, wie uns diese ja von unserem direkten Nachbarn Orbán vorgelebt wird. Das ist aber jetzt einmal nur ein Gedankenspiel, das vor allem von meiner Seite noch gründlicher durchdacht werden müsste. Aber es wäre ein spannender Versuch. Würden sich Autor*innen über ein Thema, das die unmittelbare politische Realität eines Landes tangiert, wagen? Und wenn ja, in welcher literarischen Art und Weise? Ein diskursiver Beitrag wäre es auf jeden Fall, den das Theater hier leisten könnte. Wenn auch sicher nicht alle damit glücklich wären.

Ich glaube, dass Politiker wie Doskozil in ihrem Gegenüber instinktiv auch dessen Stärke haben wollen. Menschen, die auf sie keinen Eindruck machen, werden sie vielleicht mit gewissen Funktionen betrauen. Aber für Menschen, die eine gestaltende Position besetzen, für die sollte schon gelten, dass sie die entsprechende Persönlichkeit und Energie mitbringen. Wenn ein Politiker das bei einem anderen Menschen instinktiv spürt, dann ist er vielleicht eher bereit, dem auch eine wirkliche Aufgabe, eine kreative Aufgabe zu überantworten. 

Natürlich in dem Augenblick, wo ich merke, dass meine eigenen Konzepte aufgehen und dass das auch für die Autorinnen und Autoren eine wichtige und neue Erfahrung ist. Wenn das  Zusammenwirken der Genres auf der Bühne gelingt, wenn spürbar ist, dass eine gewisse Bewegung da ist, die auf das Publikum übergreift. 

Dass natürlich auch das Publikum als Faktor eine große Rolle spielt, ist klar. Wir wollen ja nicht für uns selbst dieses Theater machen. Es ist nicht ausgemacht, dass dieses doch riskante Unternehmen auch akzeptiert wird. Aber mit diesem Risiko lebe ich seit 40 Jahren und warum soll ich nicht weiter damit leben. Sicherheitsversionen habe ich ohnehin nie gemacht. 

OPER
Musik: Erling Wold
Libretto: Katharina Tiwald
Inszenierung: Peter Wagner
Premiere: FR., 3. Nov. ‘23, 19.30 Uhr, OHO
Weitere Termine: www.oho.at

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