Interview

„Die Zahl der Konflikte steigt“

Walter Reiss im Gespräch mit Moritz Ehrmann, dem neuen Leiter des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung auf Burg Schlaining.
Mit der Ausstellung über das burgenländische Jahrhundert ist die renovierte Friedensburg derzeit touristischer Schauplatz. Sie ist aber seit 1982 auch Arbeitsplatz: Das von Gerald Mader gegründete Institut konzentrierte sich auf Friedensforschung. Heute beschäftigt sich das Team von Experten und Expertinnen außerdem noch mit Friedensbildung und Vermittlung in internationalen Konflikten.

Wie fühlt man sich als neuer Chef im Friedenszentrum der alten Burg?

Moritz Ehrmann: Ich war schon vor mehr als einem Jahrzehnt als Teilnehmer von Trainingskursen hier. Es war eine Ausbildung in sogenannter Feldarbeit, wo man lernt, in Krisengebieten damit umzugehen, wenn geschossen wird oder es zu Verletzungen der Menschenrechte kommt. Da haben sich etwa Soldaten des Bundesheeres als Milizionäre verkleidet und uns entführt. Das ist übrigens ein Trainingsformat, das heute noch angeboten wird.

Stichwort Krisengebiet: Waren Sie überrascht, als in Afghanistan nach Rückzug amerikanischer und deutscher Militärs die Taliban umgehend die Macht übernommen haben?

Moritz Ehrmann: Da waren alle – auch die Expert*innen – überrascht. Nicht einmal die US-Geheimdienste haben damit gerechnet. Erst hat man vermutet, dass die Taliban mit ihrem Vormarsch nur ihre Verhandlungsposition stärken wollten. Ein paar Tage später waren sie vor Kabul.

Wird das Talibanregime vielleicht doch gemäßigter agieren als befürchtet?

Moritz Ehrmann: Fakt ist: Sie sind Machthaber. Sie werden auch nicht so schnell wieder verschwinden. Wenn sie aber ihre Macht erhalten wollen, werden sie sich nicht so benehmen können wie in den Neunzigerjahren.

Krieg ist keine Lösung

Als 9/11 passiert ist, meinte der damalige US-Präsident George Bush: „Wir führen Krieg gegen den Terror!“ Es wurde ein 20-jähriger Krieg. War er vergebens?

Moritz Ehrmann: Genau darüber habe ich vor diesem Gespräch mit ausländischen Kollegen geredet. Man muss den Umgang mit Konflikten immer in mehreren Phasen betrachten. Die Terrorbekämpfung ist nur eine davon. Man ist draufgekommen, dass der Krieg gegen den Terrorismus einige Gefährder eliminiert und dass das kurzfristig und symbolisch gut wirkt. Langfristig muss man anders agieren. Das haben mittlerweile auch schon die Akteure in den USA erkannt.

Wird Afghanistan wieder eine Brutstätte des islamistischen Terrors werden – nach dem Motto: Taliban gegen den Rest der Welt?

Moritz Ehrmann: Das sehe ich nicht so. Wenn die derzeit tätige neue Führung der Taliban weiterhin an der Macht bleiben will, braucht sie internationale Anerkennung. Sie können daher ihr Land zu keinem Brutnest für Terror machen: Sie dürfen das weder selbst tun noch den Islamischen Staat gewähren lassen.

Ist das Konzept des globalen Westens, im Speziellen der USA, Weltpolizei für liberale Demokratie zu spielen, gescheitert?

Moritz Ehrmann: Die nach der Katastrophe von 9/11 getroffenen Entscheidungen kamen aus Wut, Ohnmacht und Angst. Wie man weiß, sind das keine guten Ratgeber. Aus Emotionen heraus den Weltpolizisten zu spielen, bringt nur Krieg, Folter und Tod. Das hat dem Image der USA sehr geschadet. Und wie man sieht, schwindet das Interesse der USA, diese Rolle weiterhin auszuüben.

Empathie statt Eskalation

In Ihrem Fachgebiet hört man oft den Begriff Friedensmediation. Geht es da um Vermittlung und empathische Verhandlungstaktik?

Moritz Ehrmann: Ja, genau das ist hier Lehrinhalt und das führen wir auch in verschiedenen Konfliktregionen der Welt praktisch durch. Es geht hier um Angebote an Konfliktparteien, die nicht mehr miteinander reden, über eine dritte Partei zu Lösungen zu kommen. Dieser dritten Partei – und das können wir sein – müssen beide Konfliktparteien vertrauen. Das beruht natürlich auf Freiwilligkeit.

Nach jahrhundertelang erlebter Erfahrung gab und gibt es die kriegerische Konfliktaustragung mit militärischen Mitteln. Dann gibt es noch die – auch nicht immer erfolgreiche – Ebene der Diplomatie. Worin liegt nun die Stärke der Friedensmediation?

Moritz Ehrmann: Ich bin ja selbst gelernter Diplomat und weiß genau: Die Diplomatie verfolgt Interessen. Jeder Staat hat legitime – manchmal auch nicht legitime – Interessen. Da geht es darum, sich in Verhandlungen zwischen zwei oder mehreren Staaten für die eigene Sache durchzusetzen. Friedensmediation versucht nicht, eigene Interessen durchzubringen, sondern zwischen zwei oder mehreren Parteien zu vermitteln.

Arbeitsfelder Sudan und Irak

Sie und Ihr Team sind konkret und international tätig. Sind diese Verhandlungen geheim oder können Sie ein aktuelles Beispiel nennen?

Moritz Ehrmann: Manche Initiativen sind tatsächlich geheim, aber ich kann sagen, dass wir derzeit im Sudan zwischen der einzigen noch bewaffneten Rebellentruppe und der sudanesischen Regierung vermitteln. Im Irak vermitteln wir derzeit in einem handfesten Konflikt zwischen einer jungen Protestbewegung und Vertretern der Parlamentsparteien.

Gerade der Irak ist Ihnen sehr vertraut. Sie waren dort für das Rote Kreuz aktiv. Sie haben darüber kein Sachbuch geschrieben, sondern einen Roman.

Moritz Ehrmann: Als ich dort war, hat der Islamische Staat ein Drittel des Landes besetzt. Das niederzuschreiben, war eine Art, den Konflikt persönlich zu verarbeiten. Ich wollte aber auch darstellen, wie es dazu kommen konnte und wie die irakische Gesellschaft damit umgeht. Und da es bewusst nicht für Fachpublikum gedacht war, ist es ein Roman geworden.

Das ÖSFK setzt einen Arbeitsschwerpunkt auf Friedenspädagogik und arbeitet mit den Schulen eng zusammen. Wird es dieses Angebot weiterhin geben?

Moritz Ehrmann: Das hoffe ich sehr. Diese Arbeit bindet uns an den Ort. Und ich kann mir gar nichts Wertvolleres vorstellen als Eltern, die erzählen, dass ihre Kinder hier in der Friedensburg gelernt haben, durch Teambuilding mit Konflikten in der Klasse und in der Gemeinschaft umzugehen.

„Weltversteher“

Sie haben bei Ihrem Dienstantritt den Wunsch nach Wachstum des ÖSFK geäußert. Mehr Geld, mehr Personal, mehr Ressourcen, mehr Forschungsaufträge?

Moritz Ehrmann: Alles das. Mehr Aufträge, mehr Projekte und Initiativen. Dafür braucht man natürlich Personal und dafür wiederum Geld. Aber wir wachsen schon: Anfang September umfasste unser Team 17 Personen, nun sind wir schon 20.

Wird man als Experte für Frieden und Konfliktlösung so etwas wie ein „Weltversteher“?

Moritz Ehrmann: Ja, vielleicht schrittweise … man lernt Mentalitäten besser kennen, weil man ja mit Empathie arbeiten muss. Man behält zwar immer noch seine eigene Wesensart, aber man bekommt Verständnis für viele andere Sichtweisen auf diese Welt. Was ich aber leider auch sagen muss: Weltweit steigen leider Anzahl und Intensität der Konflikte.

Es sind also noch mehr Friedensmediator*innen gefragt?

Moritz Ehrmann: Das würde man sich nicht wünschen, aber das wird wohl so sein.


 

Moritz Ehrmann

Als gelernter Diplomat hat er seit 2008 schon mehrere Stationen im Österreichischen Auswärtigen Dienst hinter sich: Im Vatikan, bei der OSZE und in der Abteilung für den Nahen Osten und Nordafrika. Drei Jahre lang war er für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Kolumbien, Jordanien und im Irak. Dort entstand sein Roman „Im Labyrinth Irak“ (Taschenbuch, Region-Verlag, 2018). Im Dienst des Außenministeriums und der OSZE war er Leiter eines Programms zur Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus und Terrorismus. Danach engagiert er sich in der internationalen Friedensmediation. Er ist mit einer Iranerin verheiratet und Vater von zwei Söhnen. Die Familie lebt in Drumling.

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