Gewalt ist keine Privatsache

Im heurigen Jahr sind in Österreich bereits 26 Femizide begangen worden. Außerdem gab es 41 Mordversuche an Frauen. Die Täter sind in der Regel (Ex)Partner. Der gefährlichste Ort für Frauen ist ihr eigenes Zuhause. Jede fünfte Frau in Österreich ist von Gewalt durch ihren eigenen Partner betroffen. Und nun steht Weihnachten vor der Tür. Das Fest der Liebe? Für viele Frauen ein Ereignis, dem sie mit Sorge entgegensehen, denn an solch emotionalen Feiertagen eskaliert die Situation daheim häufig. Wobei: Viele Frauen wissen gar nicht, dass sie in einer Gewaltbeziehung stecken. Was das bedeutet und was der erste Schritt in ein selbstbestimmtes, gewaltfreies Leben sein könnte, erklärt Michaela Fassl, fachliche Leiterin der Frauen-, Mädchen- und Familienberatung im Südburgenland.

Nicole MÜHL / 29. November 2023

Foto © shutterstock.com/Tinnakorn jorruang

Was bedeutet Femizid?

Mag. Michaela Fassl: Femizid bedeutet, dass eine Frau aufgrund ihres Geschlechts getötet wird. Von Femizid, also Frauenmord, spricht man, wenn eine Frau getötet wird, weil sie eine Frau ist.

Einem Frauenmord geht ja oftmals eine toxische Beziehung voraus. Was ist das?

Es bedeutet, dass Frauen bzw. Mädchen in Beziehungen sind, wo sie sich nicht frei entfalten können. Wo sie eingeschränkt sind. Wo sie Opfer von Gewalt in den unterschiedlichsten Formen sind. Oftmals würden sie selbst das gar nicht als Gewalt bezeichnen.

Wie erkennt man, dass man in einer Gewaltbeziehung ist?

Der Femizid ist die Spitze des Eisbergs. Oft gibt es davor eine Biografie oder Erlebnisse, wo die Frau schon andere Gewalterfahrungen gemacht hat. Das kann ökonomische Gewalt sein, wenn beispielsweise nur der Partner über die Zugangsdaten zum Konto verfügt oder vielleicht sogar nur er ein Konto hat – da geht es um Macht. Oder wenn der Partner bestimmt, mit wem sich die Frau treffen darf. Gewalt in der Beziehung bedeutet auch, dass die Frau isoliert wird. Oder wenn der Mann bestimmt, ob die Frau berufstätig sein darf und in welchem Beruf. Man glaubt gar nicht, wie oft das auch bei jüngeren Frauen der Fall ist.  

Wie kann man das durchbrechen? Schützt Bildung davor?

Was man nicht sagen kann, ist, dass diejenigen, die besser ausgebildet sind, nicht Opfer von Gewalt sind. Das ist ein Mythos. Gewalt gibt es in allen sozialen Schichten. Für jene mit höherem Bildungsabschluss ist es manchmal sogar schwieriger, sich an eine Einrichtung zu wenden, weil hier die Scham nochmal ein anderes Thema ist.

Aber ist nicht die Selbstständigkeit notwendig, um aus einer solchen Beziehung rauszukommen?

Die formale Abhängigkeit ist größer, wenn man keine Ausbildung oder keinen Führerschein hat. Natürlich. Aber mir ist wichtig festzuhalten, dass Gewalt in ihren verschiedenen Formen überall vorhanden ist. 

Was können Betroffene also tun, um aus der Gewaltbeziehung rauszukommen? Was ist der erste Schritt?

Wenn man akut von Gewalt betroffen ist, dann ist es wichtig, die Polizei zu rufen. Bitte nicht zögern! Wenn es aktuell nicht akut ist, dann sind unsere Beratungsstellen zu empfehlen und hier gilt: Keine Angst! Es wird nichts sofort in Gang gesetzt. Oft ist nämlich die Sorge da, dass sofort Anzeige erstattet wird, wenn man eine Einrichtung aufsucht. Das ist nicht der Fall. Bei vielen Frauen und Mädchen, die zu uns in die Beratung kommen, zeigt sich, dass schon allein das darüber Reden hilfreich sein kann, also dass sie einmal ihre Geschichte erzählen können. Wir haben ein multiprofessionelles Team und viel Erfahrung im Gewaltbereich – wir stülpen niemandem etwas über und machen keinen Druck. Manche Prozesse brauchen Zeit und wir können gemeinsam mögliche Wege aus der Gewalt erarbeiten. Die Beratung ist vertraulich und kostenlos.

Oft wissen Frauen gar nicht, dass sie Gewalt erleben. Was sind solche Warnsignale?

Wenn man Angst hat. Wenn man sich eingeengt fühlt. Frauen sind das leider manchmal so gewohnt, vielleicht aufgrund der eigenen Biografie und auch aufgrund geschlechtsspezifischer Sozialisation. Deshalb ist das neutrale Gegenüber von außen wichtig, das ihnen hilft, zu erkennen, dass das nicht normal ist, was sie erleben. Und dass sie nicht schuld sind!

Oft sind es ja gerade Freunde oder Angehörige, die dazu raten, dass man „aushalten“ muss, oder?

Ja, das familiäre Umfeld ist nicht immer hilfreich, denn oft wird den Frauen die Schuld zugeschoben. Und auch in der Zivilgesellschaft erleben wir immer noch, dass  die Leute wegschauen.

Dafür haben wir das Projekt „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ laufen. Da gibt es viele Aktionen, wo es um die Sensibilisierung der Zivilbevölkerung geht. Nachbarinnen und Nachbarn beispielsweise sind oft diejenigen, die mitbekommen, wenn Gewalt im Spiel ist. Da geht es darum zu vermitteln, dass man etwas tun muss und auch darum, wie man einschreiten kann.

Was kann man denn tun, wenn man beim Nachbarn Gewalt mitbekommt?

Rezepte gibt es nicht, aber ein paar Ideen. Wichtig ist immer, dass man auf den eigenen Schutz achtet. Aber man kann zum Beispiel anklopfen und nach Milch fragen. Also kreative Wege suchen, ohne direkt zu konfrontieren. Man gibt damit zu verstehen, dass man etwas mitbekommen hat. Wichtig ist auch, die Frau anzusprechen, wenn sie alleine ist und ihr beispielsweise einen Folder einer Beratungsstelle in die Hand zu geben. Man zeigt damit, dass man achtsam ist, ohne sich selbst zur Beraterin zu machen. Man vermittelt, dass man etwas wahrnimmt. Eines ist wichtig: Gewalt ist keine Privatsache!

Was sagen Sie einer Frau, die überzeugt ist, dass ihr Mann die Gewalt bereut und ihr versprochen hat, dass es nie wieder vorkommt?

Es ist häufig der Fall, dass Frauen trotz Gewaltvorfällen zum Partner zurückgehen. Wir sagen der Frau nicht, was sie tun soll. Wir versuchen zu ergründen, was gerade möglich ist. Wir schauen, was sie für Ressourcen hat und was ihr Ziel ist. Natürlich versuchen wir immer gemeinsam Alternativen zu erarbeiten. Aber wir sagen nicht, was zu tun ist. Wir wissen um die Gewaltspirale, wo sich Spannung aufbaut und in Form von Gewalt entlädt – in dieser Phase sind Frauen am ehesten empfänglich für Unterstützung. Wir wissen aber auch, dass danach die Honeymoon-Phase folgt, wo das Paar oftmals zusammenfindet, bis sich die Situation wieder auflädt und erneut eskaliert. Mit diesem Wissen muss natürlich auch die Beratung arbeiten. Wir zeigen Alternativen auf, aber holen die Frau dort ab, wo sie gerade im Prozess ist.

Wie kann man Gewalt und letztendlich Frauenmorde verhindern? Was halten Sie für sinnvoll?

Man müsste an so vielen Ecken und Enden anfangen. Ich selbst komme aus der Pädagogik und sehe, dass auch die Schulen hier einen enormen Bedarf haben zum Thema Gewalt. Oft ist ein Erklärungsmuster, warum Männer in Partnerschaften Gewalt an Frauen ausüben jenes, dass sie mit ihren Gefühlen nicht umgehen können. Es wäre wichtig, schon von klein auf mit Kindern zu arbeiten, wie man mit eigenen Gefühlen umgeht. Aggression ist ja an sich eine notwendige Emotion. Aber die Frage ist, wie findet sie ihre Wege und da ist Gewalt kein adäquater und nicht zu akzeptieren. 

Ein weiteres großes Potenzial seh ich beim Thema Geschlechterrollen. Das ist für mich die Basis für viele Ungleichheiten in unserer Gesellschaft. Beim Thema häusliche Gewalt steckt ja dahinter, dass Männer Macht ausüben. Sie gehen davon aus, dass sie über die (Ex)Partnerin verfügen dürfen. Es ist ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen. Das resultiert zum Teil aus der Geschichte, denn es war tatsächlich lange Zeit so, dass Männer über den Frauen standen. Das wirkt sich bis heute aus, auch wenn die Gesetze diese Haltung nicht mehr repräsentieren. Da müssen wir ansetzen: dass Burschen mehr darin gefördert werden, über ihre Gefühle zu reden. Und Mädchen gestärkt werden, sich nichts gefallen zu lassen und ihren Weg zu gehen.

Weihnachten steht vor der Tür und das Fest der Liebe ist in vielen Familien eine enorm spannungsgeladene Zeit. Was empfehlen Sie Frauen, die Angst davor haben, dass es eskalieren könnte?

Wenn Gewalt immer wieder ein Thema ist, dann empfehlen wir betroffenen Frauen, dass sie die wichtigsten Dokumente und Geld bereit halten. Dass sie Notfallnummern einspeichern – die Nummer der Polizei fällt einem oft in der Akutsituation nicht ein, daher vorbeugen. Dass sie aus dem nahen sozialen Umfeld eine Person haben, der sie sich anvertrauen können und wo sie eventuell hinkönnen. Und ich kann es nur nochmals betonen: In ein Beratungs- und Krisenzentrum zu kommen bedeutet nicht, dass sofort etwas in Gang gesetzt wird. Es bedeutet oftmals nur, sich auszusprechen, erste Informationen zu bekommen und hier auch gemeinsam einen Notfallplan zu erstellen. Wir können gemeinsam vorsorgliche Maßnahmen treffen. 

Sind Sie von Gewalt betroffen?

Wichtige Beratungsstellen (kostenlos)

• Frauen- und Mädchenberatung Bezirk Oberwart, Güssing & Jennersdorf

• Frauen- und Mädchenberatung Hartberg:

• Gewaltschutzzentrum Steiermark:

• Frauenhaus Burgenland: 05 09 44 4000

• Frauenhäuser Steiermark: 24/7 Notruf: 0800 202017

• Hotline: Frauenhelpline gegen Gewalt 24 h: 0800 222 555

Themenabend Femizide in Österreich

„Heimat bist du toter Töchter“ Lesung mit Yvonne Widler 

Im Anschluss an die Lesung diskutiert die Autorin gemeinsam mit KARIN GÖLLY (Gewaltschutzzentrum), ROBERT GAMEL (Männerberatung) und JENNIFER WATZDORF (Projekt StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt) die unumgänglichen Fragen: Wer sind die Täter und was haben sie gemeinsam? Wo liegen die Wurzeln der Frauenfeindlichkeit in Österreich? Und vor allem: Wo müssen wir im Kampf gegen systemische Gewalt gegen Frauen ansetzen?

Dienstag, 5. Dezember 2023, 17 Uhr, Moderation: Michaela Fassl

Frauenberatungsstelle Oberwart | Prinz Eugen-Straße 12

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