Interview

„Ich sehe keine Alternative zur gedruckten Lokalzeitung“

240 Regional- und Gratiszeitungen vertritt der Verband der Regionalmedien (VRM) Österreichs. Dahinter steckt nicht etwa ein riesiger Apparat à la  Wirtschaftskammer. Die Kraft, mit der der Verband nicht weniger engagiert und erfolgreich die Interessen der lokalen Gratiszeitungen vertritt, geht von zwei Personen aus: Mag. Dieter Henrich als Geschäftsführer und Dr. Nicole Süssenbek als Projektleiterin.

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Auch die Lokalzeitungen sind von der Energiekrise schwer betroffen. Doch ohne Print geht es auch in Zukunft nicht. Sie decken den Informationsbedarf in der Region. Das sichert ihre Existenz.

 

prima! im Gespräch mit den Medienexperten über die Bedrohung der Zeitungsbranche durch die immer noch steigenden Papierpreise, über die Digitalisierung der Medien und warum es lokale Printzeitungen auch noch in zehn Jahren geben wird.

 

Der VRM hat heuer sein 30-jähriges Bestehen und vertritt 240 Zeitungstitel. Warum ist ein Verband für Regional- und Gratiszeitungen überhaupt notwendig? 

Mag. Dieter Henrich: Regional- und Gratiszeitungen haben keine gesetzliche Interessensvertretung wie etwa die gewerbliche Wirtschaft in der Wirtschaftskammer. Also gibt es eine freiwillige Interessensvertretung, den VRM. Eine Interessenvertretung ist so wie eine Versicherungspolizze. Man zahlt was ein und hofft, dass man es nie braucht, aber wenn man es braucht, ist man froh, dass man es hat. 

 

Die derzeitige Situation ist – im negativen Sinn – völlig einzigartig. Der Papierpreis ist zum Teil um 80 Prozent gestiegen. Was erhalten Sie von den Zeitungen für Rückmeldungen? Ist die Branche bedroht?

Dr. Nicole Süssenbek: Interessanterweise haben die Zeitungen trotzdem große Umfänge. Aber wir sehen, dass eine andere Papierqualität genommen wird, weil manches Papier eben nicht mehr verfügbar oder zu teuer im Einkauf ist.

Mag. Dieter Henrich: Die Papierpreise sind schon eine Herausforderung bzw. Bedrohung. Es gibt ja jetzt Förderungen für die energieintensiven Betriebe – da gehört die Papierindustrie dazu. Wir vom VRM werden beobachten, ob diese Unterstützungen an die Papierindustrie auch weitergegeben und nicht etwa als Körberlgeld geschluckt werden. Da werden wir darauf achten – im Sinne unserer Mitglieder.

 

Welche Medien werden es Ihrer Meinung nach nicht schaffen? Wird es  beispielsweise zukünftig noch Hochglanzmagazine geben?

Henrich: Im Special-Interest-Bereich ja, aber da reden wir auch von Miniauflagen. Aber im General-Interest-Bereich kann ich mir das nicht vorstellen.

 

Das neue Medienpaket sagt, dass auch Gratiszeitungen Förderungen bekommen sollen. Man wolle die Medienvielfalt absichern und die regionale Berichterstattung fördern, sagt Medienministerin Susanne Raab. Ist das gelungen und sind Sie als Vertreter der Regionalzeitungen zufrieden mit dem Medienpaket?

Henrich: Nachdem es ja noch keinen offiziellen Entwurf gibt, kann ich offiziell auch nichts sagen. Was ich weiß, ist, dass es ein riesengroßer Schritt ist, dass Gratismedien zweitmalig nach der Digitalisierungsförderung in vollem Umfang dabei sind. Die Presseförderung baut auf der Anzahl der angestellten Journalist*innen auf, was bis zu einem gewissen Grad auch verständlich ist. Dass man das als ausschließliches Kriterium heranzieht, gefällt mir weniger. Wenn man regionale Berichterstattung fördern will, sollte man sie an einem gewissen inhaltlichen Anteil festmachen. 

 

Warum ist es mit der Förderung für den Lokalsjournalismus so zäh? Woran scheitert es? Ist es eine Missachtung der Politik Lokalzeitungen gegenüber?

Henrich: Wir haben die Erfahrung gemacht, wenn Entscheidungsträger in den Regionen verwurzelt sind, ist es viel leichter, das Thema zu kommunizieren. Es ist schon ein Nachrang des Lokaljournalismus in der Bundespolitik feststellbar. Die Bundespolitiker denken in Tageszeitungsdimensionen.

 

Der VRM ist ja auch Mitglied des Presserates. Sie waren bis vor Kurzem auch Präsident des Presserates. Wie sind denn hier die Regionalzeitungen verankert? 

Henrich: Man muss sagen, dass die Mitglieder des VRM die einzigen sind, die sich geschlossen dem Presserat verpflichtet haben. Diese Selbstverpflichtung gibt es bei keinem anderen Trägerverein des Presserats. Die Anzahl der Abmahnungen ist sehr, sehr gering. 

Süssenbek: Lokaljournalisten sind ja grundsätzlich in der Region verhaftet. Man kann es sich nicht leisten, etwas nicht gut Recherchiertes oder Falsches zu schreiben. Man ist ja auch hier persönlich verankert.

 

Thema Digitalisierung. Durchgeführt wird die Förderung durch die RTR – zur Stärkung der Medien im Online-Bereich. Aber: Auch hier sind Regionalmedien wieder im Nachteil: Zum einen sagen die Förderrichtlinien, dass die Berichterstattung nicht bloß regionale Bedeutung haben darf – das macht man am Erscheinungsgebiet und nicht an den Themen fest. Zum anderen werden Projekte ab einer Mindestprojekthöhe von 100.000 Euro gefördert. Für kleine Medienunternehmen ist das völlig unrealistisch. 

Was bringt die Digitalisierungsförderung den Regionalmedien? 

Henrich: Ein auf der Digitalisierung aufgebautes Geschäftsmodell hat noch keiner gefunden bzw. ist es mir nicht bekannt. Ich glaube, den kleineren Medienunternehmen hilft die Digitalisierung bei den Arbeitsabläufen im Produktionsbereich.

Ein anderes haltbares Geschäftsmodell als die Zeitungen auf Papier den Haushalten zuzustellen, ist mir nicht bekannt. Der digitale Auftritt ist eine notwendige Begleitmusik. Aber leben kann keiner davon. 

 

Das heißt Lokalzeitungen wird es in 10 Jahren auch noch in Printversion geben?

Henrich: Ganz sicher. Ich sehe eigentlich keine Alternative zur gedruckten Lokalzeitung.

 

Was macht Sie da so sicher?

Henrich: Das Geschäftsmodell der Lokalzeitungen beruht darauf, dass sie etwas bringen, das die Menschen interessiert. Die Medienanalyse zeigt, dass bei Männern und Frauen und bei Alten und Jungen eines gleich ist: das Interesse an Ereignissen in der näheren Umgebung. Solange die Lokalmedien diesen Informationsbedarf gut bedienen, ist ihre Existenz gesichert und berechtigt. 

Süssenbek: Globale Informationen bekomme ich von allen Medien. Aber die Info, was in meiner Nähe passiert – ob in der Volksschule im Ort etwas Neues angeboten wird, wo ein Bauprojekt stattfindet etc. – diese Sachen kann ich nicht auf großen Kanälen nachlesen. Das lese ich durch Lokalzeitungen in meiner Region. Für die Menschen in der Region ist das wichtig, weil es ihr Leben unmittelbar betrifft.

 

Aber trotzdem ist der online Auftritt wichtig. Und nicht nur das: es wird eine crossmediale Berichterstattung gefordert. Redakteure müssen in allen Bereichen – Print, Hörfunk, Video, Online und auf Social Media – firm sein. Ist das machbar für Regionalzeitungen?

Süssenbek: Die Frage ist, ob man sich da nicht verzettelt. Eine Regionalzeitung hat nicht die große Anzahl an Redakteur*innen. Aber die Sachen müssen professionell gemacht werden. Man kann nicht ein bisserl Zeitung machen und ein bisserl Radio und ein bisserl TV – denn dann ist keines dieser Produkte wirklich professionell. Daher: Sich lieber auf einen oder einen zweiten Bereich konzentrieren und das wirklich ordentlich machen, sonst besteht die Gefahr, dass es auf allen Kanälen unprofessionell ist. 

Wir wollen ja Qualitätszeitungen haben. Aber wenn ich zu viele Kanäle bediene, habe ich keine Zeit für eine qualitative Berichterstattung. 

Dieses Problem haben ja im Grunde alle Firmen, wenn sie beispielsweise über ihre Social Media Auftritte nachdenken. Diese Kanäle müssen alle bespielt werden. Wenn man dann aber auf Facbook nur einmal im Jahr etwas postet und zweimal auf TikTok und dreimal auf LinkedIn, kommt nichts Ordentliches dabei raus. Daher lieber auf eine Kernkompetenz konzentrieren und die ordentlich machen. Das ist sinnvoll.

Henrich: Es ist wichtig, dass sich Zeitungen in ihrem Selbstverständnis sehen als geschriebenes Wort, angereichert mit Bildern. 

 

Haben die Lokalzeitungen den Verkauf digitaler Anzeigen verschlafen? 

Henrich: So würde ich das nicht sehen. Aber letztlich kommt aus dem digitalen Aufritt bei Weitem nicht die Werbewirkung zustande, die ich aus dem Printbereich zusammenbringe. Dort, wo es um Programmatic Advertising (automatisierter Einkauf von Werbeflächen) geht, kann ich nicht genau oder nur begrenzt steuern, in welchem Umfeld die eigene Werbung platziert wird. Und dann kommt dazu: Man zahlt nach der Anzahl an Kontakten. Sie können aber nicht sicher sein, ob der Kontakt ein Mensch ist oder ein Bot. Hinzu kommt auch noch, dass es gerade für ein kleines lokales Unternehmen ja wichtig ist, dass seine Werbung in seinem Einzugsgebiet erscheint. Da nutzt ein Kontakt in Deutschland oder Vorarlberg nicht viel. 

 

Was ist Ihr Wunsch bzw. Appell an die Regierung als Geschäftsführer des VRM und Vertreter von 240 Zeitungen? Was würde den Lokalzeitungen wirklich etwas bringen?

Henrich: Ein bisschen mehr Sensibilität für die Bedeutung des Lokalen. Das bedeutet, weniger Hürden bei der Zugänglichkeit zu Förderungen für Regionalmedien. Die Digitalisierungsförderung zielt ja auch darauf ab, die österreichischen Medien gegenüber den Riesen wie Google, Facebook und Co. zu stärken. In der derzeitigen Situation kommen Gemeinschaftsprojekte zu kurz. Diese sind zu kompliziert, was schade ist. Denn wenn wir ehrlich sind, sind selbst die größten österreichischen Medienhäuser Gartenzwerge gegenüber Google und Co. Hier würde es helfen, wenn man Gemeinschaftsprojekte erleichtert, die dann über Brancheninstitutionen abgewickelt werden. 

 

Was wäre so ein Projekt?

Henrich: Nehmen wir die kleinen Mitglieder im VRM. Eines im Südburgenland und eines in Tirol – die stehen in keinerlei Konkurrenz. Sie haben aber wahrscheinlich ähnliche Probleme. Was spräche dagegen, dass der VRM ein solches Projekt zentral einreicht für die kleinen Mitglieder bzw. für die, die es wollen. 

Süssenbek: Gemeinsam ist man stärker als alleine. Das würde auch erleichtern, die vorgeschriebene Mindestsumme bei Förderungen zu erreichen.

Es gibt ja auch andere Dinge, mit denen alle zu kämpfen haben. Alle kämpfen mit dem Papierpreis. Gemeinsam könnte man mehr erreichen.

 

30 Jahre VRM – das ist eine Ära und da hat sich viel verändert. An welchen Dingen können Sie es festmachen?

Henrich: Als ich angefangen habe, waren die Regionalzeitungen die Underdogs. Heute sind das selbstverständliche und anerkannte Medien. Das war ein weiter Weg. Heute sind die VRM-Mitglieder in 8 von 9 Bundesländern Reichweitenführer – nachgewiesen durch die Media-Analyse. 

Süssenbek: Auch die Anzahl der Titel hat sich vergrößert. Wir sind jetzt bei 240 Titel. Die Branche wächst. Und es tut sich Vieles auf dem Markt und wenn die Media-Analyse zeigt, dass das die Leute wirklich lesen, dann ist das eine tolle Bestätigung.

 

Was war für Sie einer der größten Erfolge, den Sie für die Regional- und Gratiszeitungen erzielt haben?

Henrich: Als ich beim VRM begonnen habe, war die Zustellung der Regionalmedien durch die Post ein Betriebsversuch, der jederzeit abgedreht werden konnte. Wir haben mit der Post die ersten allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgehandelt und erreicht, dass die Zustellung von Regionalzeitungen ein regelmäßiges Produkt der Post ist. Das ist heute noch ein großer Punkt, denn die Zustellung muss gesichert sein. 

 

Ihr Wunsch an die Lokalredaktionen?

Henrich: Ich würde mir wünschen, dass auch jene Lokalzeitungsverlage, die noch nicht Mitglied beim VRM sind, sich uns anschließen. 

Süssenbek: Der VRM arbeitet im Interesse seiner Mitglieder. Wer Mitglied ist, redet mit und beeinflusst den Weg mit. Je größer wir sind, desto stärker sind wir.

 


„Der digitale Auftritt ist eine notwendige Begleitmusik. Aber leben kann keiner davon.“


Verband der Regionalmedien Österreichs

Regional- und Gratiszeitungen haben keine gesetzliche Interessensvertretung wie etwa die gewerbliche Wirtschaft in der Wirtschaftskammer. Der VRM ist seit 1992 die Interessensvertretung und Dachorganisation der Regional- und Gratiszeitungen Österreichs und vertritt rund 240 Zeitungen. Die Mitgliedschaft ist freiwillig.

Alle Mitglieder des VRM haben sich geschlossen dem Presserat verpflichtet. Dieser beinhaltet Regeln für die tägliche Arbeit der Journalisten, die die Wahrung der journalistischen Berufsethik sicherstellen. Er dient der Förderung von verantwortungsvollem Journalismus sowie der Gewährleistung der Pressefreiheit. Eine wichtige Aufgabe ist die Herausgabe und Adaptierung des Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Der VRM sieht sich auch als zentrale Informations- und Servicestelle für alle Fragen rund um die Mediengattung „kostenlose Regionalzeitung“.

prima! ist Mitglied des VRM.


Mag. Dieter Henrich ist seit 1998 Geschäftsführer des Verbandes der Regionalmedien Österreichs

Dr. Nicole Süssenbek ist seit 2000 beim VRM und als Projektleiterin die zweite tragende Säule für die Regionalmedien Österreich.

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