„ME/CFS: Wir stehen noch in den Startlöchern“

Hinter dem Begriff ME/CFS steht eine chronische Multisystemerkrankung, die je nach Schweregrad zu einer weitreichenden Behinderung, sowie Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit führt.
Das Burgenland möchte nun eine ME/CFS Anlaufstelle errichten – als möglicher Standort wird Bad Tatzmannsdorf genannt. Ein umfassendes Konzept soll bis 2026 ausgearbeitet werden.
Doch womit genau hat es die Wissenschaft hier zu tun?
Neuroradiologe Lukas Haider ist auf den Spuren komplexer Erkrankungen.

Walter Reiss / 28. Mai 2025

Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere Multisystemerkrankung.

„Das Gehirn war immer schon in meinem Fokus“, sagt der in Güssing aufgewachsene junge Mediziner Lukas Haider. Der Neuroradiologe erforscht an der Medizinischen Universität Wien als Spezialist für Diagnosen von Erkrankungen wie Multipler Sklerose und ME/CFS Grundlagen für gezielte Behandlung der Betroffenen. Gerade für an „Myalgischer Enzephalitis/chronischem Fatigue-Syndrom“ erkrankte Personen ist es enorm wichtig, dass ihre Probleme in Forschung, Medizin und Gesundheitspolitik ernst genommen werden. Es gibt noch zu viel Unverständnis und Unklarheiten. Lukas Haider beschreibt im Gespräch mit Walter Reiss unter anderem eine interessante Forschungsmethode und begrüßt eine burgenländische Initiative. 

Hat Sie als Neuroradiologe das menschliche Gehirn schon immer fasziniert? 

Lukas Haider: Mich fasziniert die Tatsache, dass das Gehirn, das uns als Menschen ausmacht, ein Stück ist, das Sie in einer Hand halten könnten. Nun kann man dieses Stück, das unsere Wahrnehmung bestimmt, in einen Scanner legen und sozusagen hineinschauen. Das Gehirn war immer schon in meinem Fokus.

Lächelnder Mann mit Brille im Sonnenlicht, blaues Hemd, grüner Hintergrund. Optimistisch und freundlich.
© Haider
Dr. Lukas Haider im Interview

Dr. Lukas Haider ist Radiologe und erforscht an der Med.Uni Wien die chronische Multisystemerkrankung ME/CFS. Er ist in Güssing aufgewachsen.

Was erforschen Sie derzeit durch den Scannerblick ins Gehirn? 

Lukas Haider: Wir versuchen zu begreifen, wie sich das Gehirn unter Erkrankung verändert und wie man dadurch Patienten helfen kann. Bei multipler Sklerose ist es z.B. so, dass Menschen in sehr verschiedener Form betroffen sein können, manche nur leicht, andere schwer. Auch Therapien wirken nicht immer gleich. Da versuchen wir, mehr Klarheit zu bekommen. Bei MS ist es so, dass das Immunsystem zu aggressiv wird und bestimmte Bereiche im Gehirn angreift.

Ist es bei ME/CFS nicht auch so, dass man da kein einheitliches Krankheitsbild kennt und es deshalb so viele Missverständnisse, Vorurteile, Unklarheiten und Diskriminierung von Betroffenen gibt? 

Lukas Haider: Ja, absolut. Bei MS hat man im Lauf der letzten 150 Jahre immer mehr Kenntnisse erlangt. Man kann sie heutzutage gut diagnostizieren und gut behandeln. Bei ME/CFS stehen wir noch in den Startlöchern. Allerdings werden wir in der Erforschung bestimmt schneller sein als bei der MS. Was ME/CFS ist, wo es anfängt, wo es aufhört und in welchen vielfältigen Formen es auftreten kann: Da herrscht noch weitgehend Unklarheit. Erst wenn man genau weiß, wovon man hier redet, kann man konkret behandeln. 

Sie können mit modernsten Geräten wie Magnetresonanztomographen ins Gehirn hineinschauen. Kann man damit Krankheiten wie ME/CFS sichtbar machen?

Lukas Haider: Derzeit nein. Es gibt zwar erste Hinweise auf technische Fortschritte, aber es gibt noch keine bildgebende Methode, mit der Sie ME/CFS auf dem Schirm sehen können. 

Testfall: Höhenluft

Ihr Fachgebiet ist nicht die Therapie, sondern die Diagnose. Was untersuchen Sie genau?

Lukas Haider: ME/CFS ist eine neurologische Erkrankung, bei der schwere Erschöpfung durch Belastung hervorgerufen wird. Wir untersuchen die Funktion des Gehirns unter Belastung. Diese Belastung erzeugen wir, indem wir Sauerstoff aus der Atemluft nehmen. Damit simulieren wir etwa, dass die Patienten sich in einer Seehöhe von etwa 3.000 bis 4.000 Meter befinden, wie dies z.B. bei Langstreckenflügen oder beim Skifahren vorkommt. Diese Belastung ist für Patienten durchaus verkraftbar, aber doch eine gewisse Herausforderung. Und da sehen wir uns nun an, wie sich das Gehirn verändert, etwa in der Durchblutung und in der Verarbeitung von Zucker.

Sie versuchen also Licht ins Dunkel unklarer Diagnosen zu bringen und abzuklären, ob die bei dieser Studie von Ihnen untersuchten Patienten tatsächlich ME/CFS haben? 

Lukas Haider: Ja, das ist unser Ziel, die Studie läuft noch. Es ist eine sehr fordernde Fragestellung, aber wir können momentan noch nicht sagen, wie konkrete Ergebnisse aussehen werden. 

ME/CFS: „Wir tappen noch im Dunkeln“

Zu konkreten Zahlen: Weiß man eigentlich, wie viele Menschen an MS oder ME/CFS erkrankt sind?

Lukas Haider: Bei Multipler Sklerose gibt es solide Daten: Auf 1.000 Österreicher:innen kommt eine Erkrankung. Bei ME/CFS tappen wir immer noch im Dunkeln, es gibt nur Schätzungen und die belaufen sich auf etwa 100.000 Erkrankte in Österreich.  

Das ist eine alarmierend hohe Zahl, die von der Gesundheitspolitik wohl nicht ignoriert werden darf. 

Lukas Haider: Das ist natürlich ernst zu nehmen. Es sind chronische Erkrankungen und es handelt sich um Patienten, deren Zustand durch Belastung schlechter wird, und die sofort oder zeitverzögert unter Erschöpfung leiden. Das kann psychische, kognitive oder körperliche Belastung sein. Wobei zu beachten ist, dass der Grad der Belastung je nach Person und ihrer Leistungsfähigkeit völlig verschieden sein kann. 

Ist die MRT-Untersuchung mit sauerstoffarmer Atmung für die Patienten gefahrlos? 

Lukas Haider: Ja. Im Unterschied zu Computertomografie, wo es doch eine minimale Strahlenbelastung gibt, haben wir bei MRT keinerlei Hinweise auf schlechte Einflüsse auf den Körper.

Was sagen Sie zum Plan des Landes Burgenland, eine Anlaufstelle für an ME/CFS Erkrankte in Bad Tatzmannsdorf einzurichten? 

Lukas Haider: Das ist sehr wichtig und zeigt, dass das Burgenland hier innovativ und Vorreiter ist. Denn in Österreich gibt es Stellen dieser Form noch nicht. Es wäre gut, dieses Vorhaben im Laufe des nächsten Jahres zu realisieren. Dass das am Programm steht, ist sehr positiv. Für Betroffene ist es ungemein wichtig zu wissen, wo sie in einem „Point of Care“ fachkundige Hilfe erhalten. 

Stichwort fachkundig: Ist das Gesundheitspersonal in Pflege und Ärzteschaft überhaupt für den Umgang mit ME/CFS-Erkrankten ausgebildet?

Lukas Haider: Meine Generation – ich habe das Studium 2013 abgeschlossen – hat im Medizinstudium nicht systematisch von ME/CFS gehört. Da gilt es nachzulernen, um auf dem jeweils aktuellen Erkenntnisstand zu sein. Da Medizin auch in anderen Bereichen immer stark in Veränderung ist und Fortbildung fest in der österreichischen Ärzteschaft verankert ist, wird das glatt laufen. 

Welchen Stellenwert hat Ihr neuroradiologisches Forschungsprojekt im internationalen Vergleich? 

Lukas Haider:  Sowohl in der Erforschung von MS als auch ME/CFS sind wir als Med-Uni Wien vorne dabei.

Info-Box

ME/CFS: „Myalgische Enzephalomyelitis/
chronisches Fatigue-Syndrom“

Schwere körperliche, chronische Multisystemerkrankung, oft fälschlich als
 „chronisches Erschöpfungs- oder Müdigkeitssyndrom“ oder „psychische
Erkrankung“ bezeichnet. Tritt nach Infektionen, Influenza, COVID-19 oder
Operationen auf und betrifft das zentrale Nervensystem, das Immun-
system und den Stoffwechsel. Hauptmerkmal ist PEM: „Post-Exertionelle
Malaise“. Nach Belastung kann der Körper trotz Ruhe nicht regenerieren. Es kommt zum „Crash“, einer schweren Energiekrise, in der der Körper auf weitere Belastungen nicht mehr reagieren kann. Aufbautraining ist nicht nützlich,
sondern schädlich. Trotz offizieller Anerkennung der Krankheit durch die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) herrscht eklatanter Versorgungsmangel, auf den die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS hinweist. In mehreren Protestaktionen forderten von ME/CFS Betroffene ein Ende der
Diskriminierung und mehr Hilfe und Unterstützung.

Info-Box

Informationen für von 
ME/CFS Betroffene:
www.mecfs.at
Öst. Gesellschaft für ME/CFS

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