Wachito Pablo – ein exklusives Interview mit Dreampop-Kid Boy Pablo
Das ganze Leben ist ein Soundtrack – so sieht es zumindest Laura Weingrill. Denn während sich die Welt dreht, hört sie Musik. Und wem die eigene Playlist mit der Zeit zu eintönig wird, dem verpasst sie hier jeden Monat eine neue Portion aufregender Sounds.
Foto: zVg
Mit Millionen von Kids auf der ganzen Welt, die jeden Tag Musik in und aus ihren Schlafzimmern machen, um der Langeweile zu entkommen, die eine Quarantäne so mit sich bringt, ist es heutzutage immer unmöglicher, aus der Menge auszubrechen und zu einem der großen Stars zu werden. Aber dann ist da Boy Pablo, auch bekannt als Singer-Songwriter Nicolas Pablo Muñoz, der es trotz eines Lebens in einer der regnerischsten Städte Europas geschafft hat, mit seinem Inbegriff sonniges Wohlfühl-Indie-Pops heller als jeder andere zu strahlen.
„Ich bin der Jüngste von vier in meiner Familie und meine Brüder und Eltern haben mir immer viele verschiedene Musikrichtungen gezeigt, daher war es sehr schwer zu vermeiden, mich in Musik zu verlieben,“, erinnert sich Muñoz mit einem Lächeln. Geboren in Norwegen, Bergen, als Sohn chilenischer Eltern, die Ende der 80er Jahre vor der rechten Militärdiktatur unter Augusto Pinochet geflüchtet waren, bestand das erste Kennenlernen des Künstlers mit Musik nicht nur aus funkiger New Wave Latino-Musik, sondern auch aus Rock und Legenden wie Green Day, Blink 182 und den Beatles. Eine gute Mischung von Genres, die es dem mittlerweile 20-jährigen Sänger sehr leicht machte, sein Leben der fantastischen Welt der Musik zu widmen: „Meine Mutter sagte mir immer, ich solle doch zur Universität gehen, aber ich wollte nicht studieren, nur um etwas zu studieren. Und sie fragte mich fast jede Woche, was ich nach der High School machen wollte, also sagte ich ihr einfach, dass ich ein Rockstar werden würde, worauf sie wütend wurde und aufhörte, mich zu fragen.“
Aber Muñoz hielt sich an sein Wort. Denn während seine Freunde und Klassenkameraden gemeinsam ihre Jugend feierten, verbrachte der norwegische Sänger seine Zeit in seinem Zimmer, schrieb Songs und musizierte und kam seinem Traum dabei Schritt für Schritt näher. Und es zahlte sich aus, denn schon wenige Monate später begann seine Musikkarriere nachdem er Ende 2015 zwei Singles namens „Flowers“ und „Beach House“ mit dem Label 777 MUSIC veröffentlichte.
Fünf Jahre später hat sich Muñoz zu einem der größten Namen in der schönen Sphäre des Dream-Pops entwickelt, nachdem ein YouTube-Algorithmus seinen Hit „Everytime“ nach Clips von ähnlichen Schlafzimmer-Pop-Wunderkindern im Jahr 2017 auf Autoplay gesetzt hatte und die kühle Liebeshymne und Boy Pablo der großen Welt vorstellte. Aber während viele andere wahrscheinlich darüber ausgeflippt wären – ganz zu schweigen davon, dass die Klickzahl des Videos heute bei bescheidenen 30 Millionen liegt -, ließ Nicolas das Ganze kalt: „Als das Video explodierte, hat es mich nicht besonders beschäftigt. Ich denke, das liegt daran, dass ich etwas tue, mit dem ich vertraut bin, und daran, dass ich mich mit allem, was ich mache, wohl fühle und wer ich als Person bin. Ich suche nicht die Aufmerksamkeit, ich möchte nur, dass Leute meine Musik genießen.“
Nichts ist einfacher als das, denn wenn es eine Sache gibt, die man schnell mal lieben kann, dann ist es Boy Pablos Musik. Warme, sanfte Melodien gepaart mit großen funkelnden Gitarren und Muñoz‘s tagtraumartigem Gesang liefern in diesen immer dunkler werdenden Zeiten eine Portion dringend benötigten Vitamin Ds und lassen den Hörer dabei fast vergessen, dass die Welt kurz vor dem Zerfall steht. Es überrascht daher nicht, dass seine neueste Platte „Wachito Rico“, was übersetzt „hübscher Junge“ bedeutet, zu keinem besseren Zeitpunkt veröffentlicht werden konnte. „Auf der positiven Seite hat mir die Pandemie die Zeit gegeben, die ich brauchte, um das Album fertigzustellen. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätten wir wahrscheinlich nicht alle unsere Ideen dafür verwirklichen und die Musikvideos so gut machen können, wie sie sind,“, erklärt der junge Sänger und erwähnt gleichzeitig die Probleme, die mit dem Wegfall all der geplanten Konzerte kamen. „Mir und der Band geht es gut, aber es war schwierig, besonders in Bezug auf das Geld. Ich verdiene Geld mit meiner Musik, aber meine Bandmitglieder leben davon, live zu spielen, also habe ich in der Zeit versucht, sie so gut wie möglich zu unterstützen. Es ist nur fair.“
Diese ständige Achterbahn der Gefühle führte auch dazu, dass Muñoz sich in den Lyrics seines Debüts ein bisschen mehr öffnete, welches nochmal als eine Verstärkung seiner romantischen und sorglosen Gefühle dient und dem Alter-Ego-Charakter Wachito Rico folgt, während dieser durch die vielen Wege der Liebe stolpert. „Ich habe noch nie in meinem Leben so persönliche Texte geschrieben,“, gibt der Sänger zu, während er über sein erstes autobiografisches Werk spricht. „Es ist einfacher, sich hinter einem Charakter zu verstecken, wenn ich über etwas Ernstes und Intimes spreche.“ Dies ist zunächst überraschend, da das Album mit lustigen, glückseligen Pop-Hits wie „rest up“ und „mustache“ glänzt (welches buchstäblich von Pablos Frustrationen handelt, keinen Bart wachsen zu können). Aber das Debüt hat mehr als nur Sommertage zu bieten, auch wenn es die energiegeladenen Instrumentals anders vermuten lassen würden. So erkunden etwas Tracks wie „leave me alone!“ und „te vas // don’t go“, die komplizierteren, dunkleren Seiten, die die Achterbahn der Liebe zu bieten hat.
Neben der Wiederfindung seine eigenen Ichs durch seine Texte, geht Muñoz in seinem Debüt auch auf seine chilenischen Wurzeln zurück. Eine Neuheit, die sehr organisch und als Antwort auf die Bitte der Fans nach mehr Spanisch in der Musik des Sängers kam: „Bei meinen ersten EPs fühlte ich mich nicht wohl genug und hatte nicht die Zeit, mehr spanische Wörter in meinen Tracks einfließen zu lassen. Aber es ist die Sprache, die ich mit meinen Eltern spreche, also hat es wirklich Spaß gemacht, sie diesmal aufzunehmen.“
Es ist ein Stolz, der sich durch die gesamte Arbeit der Stars zieht, welcher von Anfang an der Kapitän seines eigenen Schiffes war und heute sein Label 777 MUSIC ausschließlich mit Hilfe von Freunden und Familie betreibt. Selbst als die großen Labels nach seinem ersten Durchbruch an seine Tür klopften, blieb der norwegische Künstler auf der Stelle – worüber er auch jetzt noch sehr froh ist: „Als wir zum ersten Mal mehr Aufmerksamkeit erhielten, nachdem das Video auf YouTube in die Höhe geschossen worden war, kamen viele berühmte Labels mit ihren fetten Deals zu uns, aber ich bin so glücklich, dass wir keinem von ihnen zugehört haben. Wir waren sicher, dass wir es alleine schaffen würden.“
Und das taten sie, denn heute kann das Indie-Kid mit bescheidenen 3 Millionen monatlichen Hörern auf Spotify glänzen. Eine riesige Menge, die sicher den einen oder anderen Künstler in einen Haufen Egomanie und Arroganz verfallen lassen würde, aber Muñoz vollkommen cool lässt, während er davon spricht, sich niemals in dieser wahnsinnigen Verrücktheit der Musikindustrie verlieren zu wollen: „Es gibt viele von Bands in der Indie-Szene, die ernst und traurig sind und es so sehr versuchen, cool zu sein. Also versuche ich uncool und glücklich zu sein.“ Mit Liedern, die beweisen, dass er mehr als ein One-Hit-Wonder ist und einem Herz an der richtigen Stelle, scheint es nichts zu geben, das den Herzensbrecher auf seiner Mission zur ultimativen Größe jemals aufhalten könnte. Nicht einmal der Regen.
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