Interview

„Wir wollen die Pflegeangebote noch mehr ausbauen“

Ab 1. Oktober können pflegende Angehörige beim Land angestellt werden – mit 1.700 Euro netto bei einer 40 Wochenstunden-Betreuung. Doch das ist nur der Anfang. Soziallandesrat Christian Illedits (SPÖ) im prima! Interview über das Burgenland als Vorreiter in Sachen Pflegemodell, über Chancen und zukünftige, zielgerichtete Pflegemaßnahmen.

Foto: Shutterstock

Burgenlands Landesrat Christian Illedits (SPÖ) sieht in der Anstellung pflegender Angehöriger nur den Beginn weiterer Pflegeangebote, die das Land umsetzen will.

 

 

Ab 1. Oktober können Angehörige beim Land angestellt werden und die Pflege übernehmen. Wie intensiv ist die dafür nötige Ausbildung?

LR Christian Illedits: Es handelt sich um eine notwendige Grundausbildung, die 100 Stunden umfasst. Der pflegende Angehörige verdient bei einer Vollzeitanstellung von 40 Wochenstunden 1.700 Euro netto. Das heißt, es ist gerechtfertigt und wichtig, dass man eine gewisse Grundausbildung fordert. Auch, um die Qualität zu gewährleisten.

Angestellt ist man beim Land. Wie tritt dieses als Arbeitgeber auf?

LR Christian Illedits: Man bekommt ein Anstellungsverhältnis bei der Pflege Service Burgenland GmbH (100%-ige Tochter der KRAGES, die Teil der Landesholding Burgenland ist, Anm. d. Red.) und es ist ein normales Dienstverhältnis – inklusive Urlaub und Krankenstand. Man muss übrigens nicht im gemeinsamen Haushalt leben, um die Pflege zu übernehmen. Man muss aber natürlich die Stunden, die man angestellt ist, in der Betreuung verbringen. Für Interessierte haben wir die Pflegehotline 057/600-1000 eingerichtet.

Wie kann sich das Land das leisten?

LR Christian Illedits: Es wird finanziert, so wie jetzt auch die Altenwohn- und Pflegeheime. Zum Teil über das Pflegegeld. Zum anderen Teil auch über die Pension. Wir nehmen dafür den Ausgleichsrichtsatz her. Das bleibt. Alles was darüber ist, wird zur Finanzierung verwendet. So wie jetzt auch. Die Differenz zahlt das Land.

Was würde für das Land an Mehrkosten dazukommen?

LR Christian Illedits: Aufgrund einer Erhebung gehen wir von 400 bis 600 Personen aus, die jetzt Angehörige im Burgenland pflegen. Wenn diese alle angestellt werden, dann gehen wir von Mehrkosten von 13 Millionen Euro für das Land Burgenland aus.

Das Land Burgenland fördert seit 1.1.2018 die 24-Stunden-Betreuung mit bis zu 600 Euro. Wird es diese auch weiterhin geben?

LR Christian Illedits: Ja, die Förderung für die 24-Stunden-Betreuung wird es weiterhin geben. Das Land Burgenland gewährt seit 1. Januar 2018 österreichweit als erstes Bundesland zusätzlich zur bisherigen Förderung, die vom Sozialministerium abgewickelt wird, eine eigene Landesförderung für die 24-Stunden-Betreuung. Die durchschnittliche Förderhöhe beträgt 400 Euro. Die Förderung ist einkommensabhängig und mit bis zu 600 Euro pro betreuter Person (bzw. für ein Paar) und in Sonderfällen bis 800 Euro begrenzt.

Will das Land die privaten Agenturen ausschalten?

LR Christian Illedits: Nein. Diese wird es weiterhin geben. Wir haben auch von Landesseite die Idee, so etwas selbst zu organisieren, aber das hat jetzt nicht Priorität. Viele Menschen können sich die 24-Stunden-Betreuung nicht leisten, weil die Kosten steigen und es sich mit Pflegegeld und Pension nicht ausgeht. Aber was wir als Alternativmodell anbieten, ist eben die Anstellung von pflegenden Angehörigen. Das ist die Alternative dazu.

Wird man all diese Pflegekräfte brauchen?

LR Christian Illedits: Ja, es ist auch eine Chance für das Land. Wenn jemand daheim seinen Angehörigen pflegt, hat er im Pflegeberuf bereits angedockt. Es wäre nun eine Möglichkeit, dass jemand dann auch die Ausbildung zur Heimhilfe absolviert und in diesem Job bleibt. Die Grundausbildung, die ja bereits absolviert wurde, wird dann angerechnet. Für uns ist es eine Möglichkeit, diese Fachkraft in einem solchen Beruf einzusetzen. Und da brauchen wir sehr, sehr viele, weil wir unser  Angebot sehr stark erweitern werden. In jeder Facette der Pflege. Wir werden etwa sehr stark die mobile Hauskrankenpflege erweitern, weil wir natürlich sehen, wenn die Leute daheim bleiben, werden sie auch die mobile Krankenpflege mehr brauchen. Die Menschen werden älter. Wir haben jetzt ca. 30.000 über 75-Jährige im Burgenland. 2030 werden wir 37.000 haben. Das heißt, wir werden älter. Wir wollen, dass die Pflegepyramide sukzessive bedient wird. Wir wollen für jeden in der jeweiligen Situation das jeweils für ihn beste Angebot haben. Ganz am Ende ist dann erst das Altenwohn-, und Pflegeheim. Alles soll vorher bedient werden und deshalb werden wir auch ein ziemlich starkes Pflegenetz ausrollen. Da sind alle dabei: die Gemeinden mit den Angeboten wie betreutes Wohnen, betreubares Wohnen, betreubares Wohnen Plus und viele Initiativen, die auch privat passieren. Da sind viele Vermischungsformen mit freiwilliger Arbeit. Nicht zu vergessen natürlich die Seniorentageszentren.  Wir wollen das alles noch mehr verstärken, weil wir diese Angebote natürlich sehr wohnortnahe brauchen. Wir wollen schauen, dass wir den dörflichen Charakter beibehalten. Die Menschen sollen sich ähnlich wohl wie daheim fühlen, aber sie sollen raus kommen aus den vier Wänden. Man stelle sich jemanden vor, der noch nicht wirklich eine Pflege braucht, der aber den ganzen Tag daheim sitzt. Da passiert sehr schnell eine Vereinsamung und dieser Mensch wird schneller dement. Die Spirale dreht sich in die negative Richtung und das wollen wir mit vielen Maßnahmen so lange wie möglich hinausschieben, sodass es den Menschen in jedem Stadium gut geht. Wir wollen da viele Bausteine haben und für jeden das Angebot, das er braucht. Das ist natürlich eine finanzielle Frage. Aber nicht nur für uns. Wir sind jetzt im Burgenland in einer Vorreiterrolle. Wir sind  speziell mit dem Anstellungsangebot momentan ganz allein. Alle schauen auf uns. Alle beobachten uns. 

Wer kontrolliert die pflegenden Angehörigen?

LR Christian Illedits: Man ist im Normalfall Betreuerin. Das bedeutet, man braucht ja auch die Hauskrankenpflege – außer es handelt sich um Pflegestufe drei. Aber üblicherweise kommt ja auch die Hauskrankenpflege und diese nimmt bereits alles wahr, was passiert. Wie ist der Zustand des zu Betreuenden? usw…. Wir sehen das nicht als Kontrolle, sondern als Unterstützung. Alles wird dokumentiert. Diese Kontrollen werden gerade in eine Richtlinie gepackt. Es gibt auf den Bezirkshauptmannschaften die Pflegeberaterinnen, die sogenannten Case & Care Manager. Diese werden das auch machen. Aber ihre Besuche sind als Hilfestellung zu sehen. 

Wie dicht wird diese Kontrolle sein?

LR Christian Illedits: Es wird in dem notwendigen Ausmaß sein. Aber keiner braucht sich fürchten, dass die „Sozialpolizei“ kommt. Es wird jeder gerade am Anfang froh sein, wenn er Unterstützung bekommt. Die Case & Care Manager sind auch diejenigen, die angerufen werden können, wenn man nicht weiter weiß – auch bezüglich Förderungen. Diese Beratung ist wichtig und ist die unterste und breiteste Ebene in der Pflegepyramide. Das betone ich immer wieder: Das Case und Care Management ist das Wichtigste. Und das bauen wir aus. Wir haben dafür derzeit acht Personen angestellt im Burgenland und stocken gerade auf. Diese sind die erste Anlaufstelle. Es gibt eine Hotline geben für den Notfall. Das wollen wir professionalisieren. Wir wollen da auch die Gemeinden miteinbinden. Es gibt im Südburgenland bereits Gemeinden, die da mitmachen. Denn die Gemeinden sind auch Anlaufstelle. Wir  wollen das Informationsnetz ausbauen und natürlich das Pflegenetz. 

Wer springt ein, wenn ein pflegender Angehöriger Urlaub hat?

LR Christian Illedits: Wir haben dafür einen Pool an Fachkräften. Diese sind in der Pflege Service GmbH, eine Tochter der Krages, angestellt und von dort wird es Ersatz geben. Wir werden auch Kurzzeitpflege anbieten, wo es möglich ist. Das heißt, eine stationäre Einrichtung, wo dann die Möglichkeit für eine Kurzunterbringung besteht. Natürlich muss der bzw. die Betroffene einverstanden sein. Unser Vertragsverhältnis ist immer mit dem zu Pflegenden und nicht mit dem, der betreut. Der zu Pflegende bestimmt. Das ist unser Vertragspartner. 

Wo kann man die Grundausbildung absolvieren?

LR Christian Illedits: In den Erwachsenenbildungseinrichtungen, also BFI und WIFI. 

Soll man den Kurs bereits präventiv absolvieren?

LR Christian Illedits: Der Kurs sollte doch zeitnah absolviert werden, damit es zu keinem Wissensverlust kommt. In der Betreuung perfektioniert man ja das erlernte Wissen.

Das Land will zukünftig nur mehr Heime ab 60 Betten bauen. Warum?

LR Christian Illedits: Weil diese interprofessionell errichtet werden. Man macht fünf 12-er Einheiten, die man interprofessionell nutzen kann. Darum geht es eigentlich. Wir haben jetzt Menschen in den Heimen zwischen Pflegestufe 3 und 6 bzw. 7. Man hat Demenzpatienten, die muss man in eine andere Abteilung geben, um optimal betreut zu werden und auch zur Entlastung der anderen Patienten. Man kann hier auch Menschen mit Behinderung unterbringen. Diese brauchen eine andere Ausstattung. Und dann geht es um Menschen mit  COPD. Oder sogar Palliativbetreuung. Es gibt also viele Stadien, die man in einer solchen größeren Einrichtung unterbringen kann. Und auch die Kurzzeitpflege hat hier Platz. Die Case & Care Manager sind erstmalig mit solchen Kurzzeitpflegen vernetzt. 

Es heißt nicht, dass die kleineren Einheiten schlechter arbeiten, aber man hat dort aber nicht die Möglichkeit der interprofessionellen Arbeit. Dort sind Menschen von Pflegestufe 3 bis 6 oder 7 gemeinsam. Wir wollen verschiedene Abstufungen schaffen, um gezielter auf die jeweiligen Bedürfnisse einzugehen. Wir brauchen in jeder Versorgungsregion verschiedene Angebote. Wir werden ja auch nicht überall alles machen. Man kann ja nicht überall Behinderteneinrichtungen bauen, weil man sie ja auch nicht überall braucht. Aber wir müssen die vorhandenen qualitativ hochwertig und professionell betreuen können. Man kann sich auf professionelle Fachkräfte verlassen. In einer solchen größeren Einrichtungen kann man besser switchen. Man hat mehr Personalressourcen. Das macht Sinn.

Was wünschen Sie sich an Unterstützung von der Bundesregierung?

LR Christian Illedits: Wir wollen viele Dinge im Land selbst organisieren, aber gewisse Dinge müssen bundeseinheitlich geschaffen werden, und dazu gehört vor allem die Finanzierung. Ein konkreter Ansatz: Das Sozialministerium fördert derzeit die 24-Stunden-Betreuung mit 550 Euro (für 2 Betreuerinnen). Ich würde mir das auch für unser Anstellungsmodell im Burgenland wünschen. Alle unsere Vorschläge wurden in Wien überreicht. Die Gespräche waren sehr gut.

Sehen Sie sich nach der Landtagswahl im Jänner in der Regierung?

LR Christian Illedits: Ich habe mich in das Pflege-Thema richtig tief eingearbeitet, und es ist enorm spannend und wichtig. Es ist das Thema Nummer eins. Natürlich wünsche ich mir, dass die Sozialdemokratie weiter die führende Kraft im Land ist und dass wir weiter Verantwortung übernehmen und gestalten dürfen. Und wenn ich dabei sein darf, freue ich mich.

Das Interview finden Sie in gekürzter Form in der Printversion der September 2019 Ausgabe.

 

Lesen Sie dazu auch:

Burgenland: Pflegende Angehörige können sich ab sofort melden


Christian Illedits
Landesrat (SPÖ)
Christian Illedits (* 20. Juli 1958) war von 2000 bis 2019 Abgeordneter zum Burgenländischen Landtag und ab 2015 dessen Erster Präsident. Seit dem 28. Februar 2019 ist er Landesrat der Burgenländischen Landesregierung Doskozil für die Ressorts Soziales, Sport und Gemeinden.

Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

3 Antworten

  1. Für Mutti und mich zu spät, aber sicher kein schlechter Anfang.
    Es sollte aber auch endlich „rückwirkende Anerkennung“ für pflegende Angehörige im 24h-Dienst geben, die bisher nichts (!) bekamen – zB in Anrechnung von Pensionszeiten und Pensionsbeiträgen. Also, das diese etwas früher und mit etwas mehr Geld in die eigene Pension gehen können. Dennsie/wir sind die nächsten Opfer, haben einen eigen Job fürs finanzielle Überleben und Pension ausgeführt und uns „nebenbei“ kaputt gemacht – seelisch und körperlich – mit der oft schweren Pflege, Betreuung und Versorgung unserer Liebsten.

  2. Ich wünsche mir dieses Model schnellst möglich auch in der Stmk. Trotzdem finde 1700€ zuwenig. Ich habe eine Behinderte Tochter und somit einen intensiven 24 Std Job und das 7 Tage die Woche. Gehe noch geringfügig arbeiten, teilzeit habe ich probiert. Leider hatte ich im März mein 3.burn out und einen gehörsturz. Somit ist eine teilzeit Arbeit derzeit unmöglich. Und Reha von 6 wochen geht schon gar nicht, obwohl es sicher gut tun würde. Umso mehr würde ich das Model auch in der Stmk begrüßen, aber es sollte generell die Pflege im allgemeinen mehr geschätzt und dementsprechend entlohnt werden. Derzeit ist es ja ausbeuten. Da wird keiner diese Ausbildung wählen.